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       # taz.de -- Wallenstein und die Kriege heute: Putins Koch bittet zu Tisch
       
       > Jan-Christoph Gockels siebenstündiges „Schlachtfest“ rund um Schillers
       > „Wallenstein“ kommt in den Kammerspielen München ganz in der Gegenwart
       > an.
       
   IMG Bild: Wie ein böser Dämon hockt Katharina Bach auf den Stuhllehnen von Samuel Koch in „Wallenstein“
       
       Es war ein Theaterfest mit Ansage: [1][Jan-Christoph Gockel], Hausregisseur
       der Münchner Kammerspiele, inszeniert Schillers „Wallenstein“: Drei Stücke
       voller Krieg, Verrat und Abhängigkeiten, Macht und – natürlich: Liebe.
       Damit aber nicht genug, verschränkt er den Stoff mit Recherchen zu den
       russischen Wagner-Truppen und kündigt eine Vorrichtung an, die Samuel Kochs
       querschnittsgelähmten Körper wie eine Marionette bewegt. Wenn man weiß, was
       Gockel und sein Puppenspiel-Kompagnon [2][Michael Pietsch] mit Figuren auf
       der Bühne bewerkstelligen können und in anderen Inszenierungen Kochs
       riesige Lust am Bewegtwerden erlebt hat, blickte der Premiere mit Spannung
       entgegen.
       
       Doch der Teil zumindest erwies sich als Enttäuschung. Die Maschine trat
       zwar in Erscheinung, aber erst nach etwa sechs Stunden und dann auch nur
       kurz. „Wallensteins Tod“ stand auf dem Programm, ein paar Armbewegungen und
       zwei große Schritte machte Koch als lebendige Marionette, sprach: „Es ist
       der Geist, der sich den Körper baut“ – und der Rest verlief sich in einer
       etwas umständlichen Abschiedsszene nach einem Loyalitätskuddelmuddel, in
       das überraschenderweise auch Kochs persönlicher Assistent eingebunden war.
       
       Viel aufregender war da die kleine Koch-Puppe, die Pietsch auf dem Körper
       des Originals spazieren führte – und Kochs Spiel selbst: Er ist als
       Wallenstein das ruhige, nachdenkliche Zentrum einer Inszenierung, die –
       anders als oft bei Gockel – nicht alle Theatermittel und Regieeinfälle
       gleichzeitig auf die Bühne loslässt, aber doch einige nacheinander
       auffährt: Investigativtheater, klassisches Versdrama, Puppenspiel,
       scheinprivate Intermezzi, Mitmachtheater – und auch raus auf die Straße
       geht’s, wo Passanten lustige Sachen sagen: „Wallenstein? Kenne ich nicht.
       Ich bin nicht von hier.“
       
       ## Extrem abwechslungsreich und erstaunlich lustig
       
       Sieben Stunden hat Gockel sich dafür Zeit genommen, drei Pausen inklusive.
       Und es hätten von Zuschauer*innenseite nicht so viele sein müssen,
       denn der Abend ist extrem abwechslungsreich und erstaunlich lustig. An das
       Riesenereignis am gleichen Ort, Christopher Rüpings Antikenmarathon
       „Dionysos Stadt“, reicht er allerdings nicht ganz heran.
       
       Gockel und sein Team haben Schillers monumentalen Text stark gekürzt und
       ihn mit Pro- und Epilogen sowie mehreren Einschüben perforiert. Die Fassung
       endet mit einem kleinen Stück Hoffnung (mit [3][Swetlana Alexijewitschs]
       Text „Der Mensch ist größer als der Krieg“) und beginnt mit Sergei Okunev,
       genannt Serge. Der russische Performer und Regisseur, der in München lebt
       und derzeit an der Bayerischen Landesakademie seinen Master macht, fungiert
       für „Wallenstein“ auch als dramaturgischer Mitarbeiter.
       
       Mit seinen Recherchen über den Kriegsunternehmer [4][Jewgeni Prigoschin],
       der sich von der Hotdogbude zu „Putins Koch“ hochgearbeitet hat und Putin
       auch das Soldaten-„Fleisch“ lieferte, das 2022 in die Ukraine einfiel,
       eröffnet Serge den Abend im lässigen Lecture-Performance-Stil. Mit
       anschaulichen Bildern, staubtrockenem Humor und einem Trick.
       
       Denn Serge verrät, dass er sich die Monster und die Angst vor ihnen mit
       einem Zauberspruch aus „Harry Potter“ vom Leibe hält. Er heißt „Ridiculus“
       und tut genau das: das Schreckliche in etwas Komisches verwandeln. Das
       probiert er gleich an einem eishockeyspielenden Filmputin aus und
       verschwindet unter einem Zauberumhang hinter der Livekamera. Doch der
       Lächerlichkeitszauber spukt weiter herum und auch eine große Analogie ist
       losgelassen: „Kochen ist Krieg.“
       
       Beides kommt in „Wallensteins Lager“ zusammen. Erst kocht das Ensemble
       tatsächlich an einer langen Küchenzeile, Kamera und Mikro immer voll drauf
       auf die hackenden Messer, das um die Beinscheiben für das Ossobuco
       spritzende Fett und das glitschende Rot der Dosentomaten. Das ist eine
       großartige, so noch nie gesehene Szene. Aber ihre Fortsetzung fällt ab.
       
       ## Die hoffnungslosesten aller Kriegsmenschen
       
       Die „Köche“ mutieren zu Bauern, den hoffnungslosesten aller Kriegsmenschen,
       und dann zu Wallensteins Soldaten, gespielt von Schauspielerinnen mit
       Glatzen und räudigen Bärten, breitbeinigem Gehabe und „männlichem“ Gerülpse
       und Gebrüll. Katharina Bach als wallensteintreuer Illo steckt in einem
       imposanten Musclesuit und sucht später zwischen den Zuschauern nach ihrem
       abgefallenen Pimmel. Johanna Eiworths tumber Isolan muss das mit der
       Intrige – gegen Wallenstein, gegen den Kaiser, und was war noch mal mit den
       Schweden? – wieder und wieder erklärt bekommen.
       
       Die Gewissensschwere und das Existenzielle kommen ein wenig unter die Räder
       bei dieser Parade der Lächerlichen. Was sich vor allem negativ auf die
       Liebesgeschichte zwischen Wallensteins Tochter und dem jungen Max
       Piccolomini auswirkt. Komisch ist es oft trotzdem.
       
       Mit der Parallelführung der Söldnerarmeen von Wallenstein und Prigoschin
       darf man es allerdings nicht zu genau nehmen. Sie sind verbunden über den
       wohl bekanntesten Satz im Stück „Der Krieg ernährt den Krieg“, und der hier
       zum aasigen Businesstypen mutierte kaiserliche Diplomat Questenberg
       (herrlich: André Benndorff) fragt mal in die Menge: „Warum sollte jemand
       einen Krieg beenden, dessen maßgeblicher Profiteur er selber ist?“
       
       Andererseits dürfen die Kriegsprofiteure auch nicht zu mächtig werden.
       Serge stellt in einem seiner Zwischenauftritte ein Kinderbuch von
       Prigoschin vor, in dem ein Wesen einen König rettet mit einem Ding, das der
       König wieder zurückhaben will, aber das Wesen sagt nein. Wallensteins Tod
       gab der Kaiser in Auftrag, Prigoschin starb bei einem mysteriösen
       Flugzeugabsturz.
       
       Der als „Schlachtfest in sieben Gängen“ angekündigte Theaternachmittag und
       -abend lässt die beiden Geschichten dialektisch miteinander räsonieren und
       rührt damit und drumherum das versprochene Theaterfest an: Mit ein, zwei
       Schlussszenen zu viel, aber auch mit der fabelhaften Maria Moling als
       musikalischer Einheizerin und der nicht minder fabelhaften Annette Paulmann
       als Strippenzieher Oktavio Piccolomini und Koch, der Teile des Publikums zu
       Tisch bittet.
       
       Okunevs Recherchen im Söldnermilieu werden einer Idee von Heiner Müller
       folgend von Zuschauer*innen verlesen. Am dem Tag, an dem der Münchner
       Flughafen zum zweiten Mal wegen Drohnenalarm stillsteht, brennt das
       Wagner-Motto „Unser Business ist der Tod – und das Business läuft gut“
       besonders lange nach. Die Geschichte hat auf sinnliche Weise die Gegenwart
       erreicht.
       
       6 Oct 2025
       
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