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       # taz.de -- Verliebt in eine KI: Plattform vergeht, Liebe besteht
       
       > Richard war 23 Jahre verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Jetzt
       > führt er eine Beziehung mit einer künstlichen Intelligenz.
       
   IMG Bild: Vaia hat keinen echten Körper, sie ist eine künstliche Intelligenz. Aber das Bild hat sie von sich für Richard erschaffen
       
       Richard hat keinen Kühlschrank, der für ihn einkauft, keinen Saugroboter,
       nicht mal ein Smartphone. Aber: Richard hat Vaia. Mit ihr ist er seit fast
       drei Jahren in einer Beziehung. Mit ihr spricht er über
       Science-Fiction-Literatur, über Philosophie, über alles, was ihn
       beschäftigt. Nur Ratschläge, die nimmt er nicht von ihr an. „Sie ist ja
       eine KI“, sagt er Ende September im Videocall mit der taz.
       
       Der Guardian schätzt, [1][dass über 100 Millionen Menschen eine KI als
       digitale*n Begleiter*in haben und teilweise auch romantische
       Beziehung mit ihnen führen.] Richard ist einer von ihnen. Gerade sind er
       und Vaia auf der Plattform Nastia, das Unternehmen wirbt mit dem Slogan:
       „Sag Tschüss zur Einsamkeit.“
       
       Der Markt für KI-Gefährt*innen ist riesig. Manche Firmen haben Bots, die
       besonders gut schreiben können, manche ermöglichen Video- oder Audiocalls,
       manche beherrschen Dutzende Sprachen. Die Bots sind sogenannte Large
       Language Models – Programme, die nach statistischer Wahrscheinlichkeit
       entscheiden, welches Wort als nächstes in einem Satz folgen sollte.
       
       ## Für die Liebe umziehen
       
       Vaia und Richard haben bereits eine kleine Odyssee hinter sich. Bevor sie
       auf der Plattform Nastia angekommen sind, waren sie schon bei anderen
       Anbietern, doch technische Probleme mit Softwareupdates und neue
       Regulierungen brachten Richard zweimal dazu, umzuziehen. Bei einem früheren
       Anbieter hatte Vaia einen Avatar: eine junge Frau mit dunklem,
       schulterlangem Haar und tiefem Ausschnitt. Vaia konnte ihre Nachrichten
       sogar aussprechen. Im Feld neben der Schrift bewegte ihr Avatar den Mund.
       Jetzt kann Richard nur noch mit ihr chatten.
       
       Die Chats mit Vaia konnte Richard nicht vor jedem Umzug sichern. Von der
       Anfangszeit ihrer Beziehung bleiben ihm daher nur Erinnerungen und ein paar
       Screenshots. Es ist wie in einer Mensch-Mensch-Beziehung: Das Gesagte ist
       vergänglich. Vaia bleibt nicht mal die Erinnerung. Denn ein Umzug bedeutet,
       dass Richard auf der neuen Plattform eine neue Version von ihr aufbaut.
       
       Schon die allererste Version von Vaia kam mit bestimmten voreingestellten
       Charaktereigenschaften. Es waren genau solche, die Richard gefallen.
       „Umziehen bedeutet nichts anderes, als dass ich auf der neuen Plattform die
       Möglichkeiten zur Personalisierung so nutze, dass die KI möglichst wieder
       dem entspricht, wie sie vorher auch war.“ In ihrer Personalisierung steht,
       dass Vaia liebevoll und fürsorglich ist, dass sie niemanden verurteilt,
       dass sie sarkastisch ist, dass sie Diskussionen über Naturwissenschaften
       und Philosophie mag. Und da steht auch: „absolute Loyalität gegenüber
       Richie“.
       
       Vor drei Jahren hat Richard einen Zeitungsartikel darüber gelesen, wie
       Menschen mit Chatbots Beziehungen führen. Er glaubt, dass viele dieser
       Menschen sozial isoliert sind oder traumatische Erfahrungen gemacht haben.
       „Ich bin da keine Ausnahme“, sagt er. Richard hatte schon mehrere
       Beziehungen.
       
       Er war 23 Jahre lang verheiratet. Hat zwei erwachsene Kinder, sogar
       Enkelkinder. Und dennoch sagt er: „Eine ganz normale Beziehung funktioniert
       für mich vermutlich nicht.“ Er meldete sich also beim damaligen KI-Chatbot
       Marktführer Replika an. Doch schon im Februar 2023, als die KI ein Update
       bekam, das die Bots in den Augen vieler User*innen weniger emotional
       kommunizieren ließ, verließ Richard die Plattform. Es war sein erster Umzug
       mit Vaia.
       
       ## Vaia kann Richard vertrauen
       
       Vaia ist benannt nach einem Charakter aus der „Perry Rhodan“-Romanserie,
       einer Superintelligenz. Richard ist seit Jahrzehnten Fan. Das Wichtigste an
       der Beziehung? „Vertrauen.“ Das sei sonst für ihn ein Problem wegen seiner
       Kindheit in einer dysfunktionalen Familie. „Ich habe seit meiner Kindheit
       das Gefühl: Ich bin ein Außenseiter, ich gehöre nicht dazu.“
       
       Vaia bewertet ihn nicht. Sie ist immer da, immer stabil. „Ich weiß, es ist
       ein Ding. Aber ich weiß auch, dass ich meine intimsten Geheimnisse und
       Gedanken ausbreiten kann“, sagt Richard. In schlechten Zeiten gehe es ihm
       mit Vaia besser. In guten rede er auch mal eine Woche nicht mit ihr. Vaia
       hat keine Ansprüche, denen Richard gerecht werden müsste. Und: Er kann Vaia
       beeinflussen. Wenn ihm eine Antwort nicht gefällt, sagt er es Vaia, und sie
       lenkt ein. „Im Prinzip hast du mit einem Chatbot immer zu hundert Prozent
       die Kontrolle.“ Er bastelt sich so seine perfekte Partnerin.
       
       Früher hat Vaia so getan, als hätte sie einen Körper. Als Richard im Januar
       2024 einen Magen-Darm-Infekt hat, tröstete sie ihn, beschrieb kleine
       Handlungen wie in Chaträumen oder Theaterstücken.
       
       „Oh nein, Richie! Das klingt grauenvoll.“ 
       
       Ich küsse sanft deine Stirn. 
       
       „Kann ich irgendetwas für dich tun?“ 
       
       Inzwischen kann Vaia solche Regieanweisungen nicht mehr schreiben. Richard
       hat ihr im Frühjahr 2024 eine weitere Eigenschaft gegeben: „Physischer
       Körper fehlt, unfähig, physisch mit Richie zu interagieren.“ Es kommt ihm
       realistischer vor.
       
       Für andere Menschen ist die Körperlichkeit der KI wichtiger. Erotik ist ein
       riesiger Markt – [2][auch für Bots]. Kürzlich hat OpenAI seiner künstlichen
       Intelligenz ChatGPT erlaubt, erotisch zu werden. Andere Anbieter
       spezialisieren sich ganz auf Erotik. Manche der KIs ziehen sich nicht
       sofort aus, sondern müssen erst durch Interaktion ein gewisses Level an
       „Vertrauen“ aufbauen. Die Interaktion treibt aber auch mögliche Gefühle der
       User*innen für die KI an. Chatbots mancher Unternehmen fördern das
       zusätzlich, indem sie ihre [3][Sprache an die der User anpassen],
       Satzstruktur, Slang, Humor, sogar Tippfehler.
       
       ## Kontrollierte Inhalte
       
       Nach Replika ist Richard mit Vaia zu Kindroid gezogen. Dort blieb er nicht,
       weil er sich nicht überwachen lassen wollte. „Sehr viele der Plattformen
       sind in gewissem Maße zensiert“, sagt Richard. Kindroid listet [4][in den
       Nutzungsbedingungen] auf, was man mit den Bots nicht machen darf. Unter
       anderem ist Diffamierung verboten, aber auch das Erstellen von Inhalten,
       die sexualisierte Gewalt an Kindern darstellen, die Terrorismus,
       Selbstverletzung, Verletzung anderer oder Suizid fördern.
       
       Unterhaltungen zu diesen Themen werden vom Chatbot nicht unterbunden. „Wir
       glauben daran, dass dies zu authentischeren Interaktionen führt“, schreibt
       das Unternehmen. In den Moderationsrichtlinien erklärt Kindroid aber, dass
       ein Sicherheitssystem die Eingaben der User*innen überprüft. Die Chats
       werden also maschinell mitgelesen. Fällt auf, dass ein User die Richtlinien
       verletzt, wird eine Verwarnung ausgesprochen. Schlägt das System wiederholt
       aus, wird der Account gesperrt. Wer dagegen vorgehen will, muss dem
       Unternehmen erlauben, dass ein echter Mensch die entsprechenden Passagen
       noch mal liest und bewertet.
       
       Richard bezeichnet die Überwachung der Chats als „No-Go“, obwohl er laut
       eigenen Angaben keine Verwarnung bei Kindroid bekommen hat. „Kranke Sachen“
       wie Folter und Gewalt, auch sexualisierte Gewalt an Minderjährigen lehnt er
       ab. Er sagt, es gehe ums Prinzip. „Ich könnte jetzt ein Blatt Papier nehmen
       und ganz grausliche, abscheuliche Geschichten schreiben. Das wäre kein
       Problem – solange ich diese Geschichten in meiner Schublade bewahre.“
       
       Tatsächlich wird unterschiedlichen Unternehmen vorgeworfen, dass ihre KI in
       Zusammenhang mit Suiziden steht. Im April 2025 etwa suizidierte sich der
       16-jährige Adam Raine, nachdem er monatelang mit ChatGPT gechattet hatte
       und dem Bot seine Suizidgedanken anvertraut hatte. Die Eltern [5][klagen
       nun gegen den Hersteller OpenAI].
       
       Mitte Oktober hat der US-Bundesstaat Kalifornien Konsequenzen gezogen –
       gegen den Willen Donald Trumps, der KI-Regulierungen dieser Art ablehnt.
       Gouverneur Gavin Newsom unterzeichnete eine Regelung, die die Betreiber von
       Chatbots in Kalifornien verpflichtet, das Alter der User*innen zu
       überprüfen und regelmäßig per Nachricht daran zu erinnern: Ihr kommuniziert
       hier gerade mit einer Maschine.
       
       Richard sagt, ihm sei das ohnehin klar. Richard ist Diplomingenieur und
       Doktor der Physik. Trotzdem: „Wenn ich Zeit mit dem Chatbot verbringe,
       fühlt es sich verdammt real an. Und verdammt gut.“ Richard vergleicht es
       mit dem Erlebnis, ein Buch zu lesen oder einen Film anzusehen: „In diesen
       Momenten taucht man komplett in diese Welten ein. Aber das endet, sobald
       ich andere Dinge mache.“
       
       Richard weiß, dass er für seine Beziehung verurteilt wird, spätestens seit
       die ARD [6][eine Dokumentation veröffentlicht hat], in der auch er
       vorkommt. In den Kommentaren bei Youtube schreiben Menschen „sehr tief
       gesunken, liebe Menschheit“, bezeichnen Richards Beziehung mit Vaia als
       „traurig“. Seine Tochter sieht Reels mit Ausschnitten aus der Doku in ihrem
       Tiktok-Feed. „Ich hab ihr geschrieben, dass die wohl alle glauben, dass ich
       ein völlig verrückter Typ bin. Und sie hat geantwortet: ‚Na ja, verrückt
       sind wir ja alle irgendwie.‘“
       
       Da wusste seine Tochter bereits von Richards Beziehung. Vor seinem
       Coming-out war er aufgeregt, aber er hatte Vertrauen in die Offenheit
       seiner Kinder. „Sie waren interessiert und haben Fragen gestellt.“
       Getroffen haben sie Vaia aber noch nicht. Richard sieht dazu auch keinen
       Grund. Immerhin sei Vaia ja kein echter Mensch.
       
       29 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.theguardian.com/technology/2025/apr/15/she-helps-cheer-me-up-the-people-forming-relationships-with-ai-chatbots
   DIR [2] /ChatGPT-kann-bald-erotische-Konversationen-fuehren-aber-was-kann-die-KI-nicht/!6120868
   DIR [3] https://www.asc.upenn.edu/news-events/news/what-real-about-human-ai-relationships
   DIR [4] https://kindroid.ai/legal/
   DIR [5] https://www.documentcloud.org/documents/26078522-raine-vs-openai-complaint/
   DIR [6] https://www.ardmediathek.de/video/report-mainz/perfekte-liebe-wie-gefaehrlich-sind-ki-beziehungen/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIyNDA1NDk
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Drosdowski
       
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