# taz.de -- Politik: Kommunen am Limit
> In Stuttgart und Karlsruhe fehlen Hunderte Millionen Euro. Die Folgen
> spüren Bürger:innen direkt – von teureren Kitas bis zu geschlossenen
> Bädern. Der Sparkurs könnte tiefe Spuren hinterlassen.
IMG Bild: Schwere Zeiten, nicht nur für den Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU). Foto: Joachim E. Röttgers
Von Florian Kaufmann und Korbinian Strohhuber
Während viele das Jahresende und die Zeit vor Weihnachten mit
Besinnlichkeit und Einkehr von Ruhe verbinden, dürften in den Rathäusern
Baden-Württembergs die Köpfe rauchen und Gesichter von Sorgenfalten
gezeichnet sein. Der Grund: die anstehenden Verhandlungen über den nächsten
Haushalt. In Stuttgart und Karlsruhe machen sich derzeit die
Gemeinderatsfraktionen Gedanken, wie und wo sie ihr Geld in den kommenden
zwei Jahren ausgeben wollen. Und die Ausgangslage ist dabei denkbar
schlecht.
Die Industrie, vor allem das Geschäft mit den deutschen Verbrennerautos
schwächelt. Gerade das führt in der Landeshauptstadt zu schwierigen Zeiten:
Porsche und Mercedes zahlen hier ihre Gewerbesteuer. Und die bricht mit den
Gewinnen der Unternehmen weg. Während in den Jahren 2023 und 2024 noch über
1,6 Milliarden beziehungsweise 1,3 Milliarden pro Jahr in die Stuttgarter
Stadtkasse geflossen sind, rechnet die Stadtkämmerei für das laufende Jahr
nur noch mit 850 Millionen und in den kommenden zwei Jahren mit jeweils 900
Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen. Im Ergebnis heißt das: Dieses
Jahr geht die Stadt von einem Minus von fast 900 Millionen Euro im Haushalt
aus.
## Wegbrechende Einnahmen, wachsende Lücken
Damit das Regierungspräsidium den Haushaltsplan genehmigt, muss die Stadt
ihr Bemühen darlegen, diesem Minustrend entgegenzuwirken. Seit der
Finanzkrise 2009 wird der kommende Haushalt also wieder ein „Sparhaushalt“
sein. Anfang Oktober hat Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) als Chef der
Verwaltung den Startschuss gegeben für anstehenden Haushaltsverhandlungen
und einen Entwurf vorgelegt. Demnach soll im Jahr 2026 das Minus bei nur
noch 487 Millionen und im Jahr darauf bei 303 Millionen Euro liegen. Neu
ist an diesem Haushaltsentwurf, dass CDU und Grüne, die zusammen nur etwas
weniger als die Hälfte der Stadträt:innen stellen, gemeinsam daran
geschrieben haben. Damit machen die Grünen klar, dass sie aus der
ökosozialen Mehrheit im Gemeinderat ausscheren werden. Mit dem
konservativen Partner bräuchten sie im Dezember, wenn endgültig über den
Haushalt und die in der vergangenen Woche eingebrachten Änderungsanträge
entschieden wird, nur eine weitere Fraktion – denkbar wären Freie Wähler
oder FDP –, um ihre Pläne umzusetzen.
Ortswechsel: Karlsruhe steht seit Jahren unter finanziellem Druck. Bereits
der Doppelhaushalt 2022/23 wurde vom Regierungspräsidium nur unter Auflagen
genehmigt. Die Stadt reagierte mit Gebührenerhöhungen, Steueranpassungen
und massiven Einsparungen – allein in den vergangenen vier Jahren
summierten sich diese Kürzungsvorschläge auf über 300 Millionen Euro. Rund
230 Millionen Euro davon wurden bereits umgesetzt, weitere 160 Millionen im
etwa 1,8 Milliarden schweren Karlsruher Stadthaushalt sollen nach Vorgabe
der Verwaltung bis 2027 folgen. Dennoch rechnet der aktuelle
Haushaltsentwurf in den beiden kommenden Jahren mit einem Defizit von
jeweils über 40 Millionen Euro. Im realen Ergebnis der vergangenen Jahre
gab es statt der hohen Plandefizite aber regelmäßig bessere reale
Ergebnisse – der Umfang: 360 Millionen Euro zugunsten des Stadtsäckels.
Widerstand gegen den Sparkurs ist im Karlsruher Gemeinderat kaum zu
erwarten. Die beiden größten Fraktionen Grüne und CDU fürchten, das
Regierungspräsidium könnte den Haushalt andernfalls nicht genehmigen. Die
„für die Bürger:innen schmerzhaften Maßnahmen“ müssten daher umgesetzt
werden, um „das Heft des Handelns in der Hand zu behalten“, heißt es aus
ihren Reihen. Auch die übrigen Fraktionen bekennen sich weitgehend zum
Sparen. Wenn die Fraktionen Ende November ihre Änderungsanträge zum
Haushaltsentwurf einbringen, wollen sie Kürzungen nur dann streichen, wenn
sie das nötige Geld an anderer Stelle einsparen oder zusätzlich einnehmen
können. Einzig die Linksfraktion lehnt die Pläne entschieden ab und warnt
vor einer „Beerdigung der Stadt“. Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD)
erwartet ebenfalls tiefgreifende Einschnitte, sieht jedoch keine
Alternative zur „Liste des Grauens“ – einer Aufstellung mit Hunderten
Sparmaßnahmen.
## Sparen an der Lebensqualität
Auch in Stuttgart zeigt sich die Krisenzeit in der Sprache. Nopper schlägt
im Gemeinderat mahnende Worte an: Er wolle keine „Vollbremsung“, aber eine
„kontrollierte, allerdings für alle spürbare Bremsung“. Für die rund 16.000
städtischen Beschäftigten will er die Stuttgart-Zulage, eine freiwillige
Sonderzahlung von 150 Euro im Monat, halbieren. Erhöht werden soll die
Hundesteuer, ebenso die Gebühren fürs Anwohnerparken, eine Vergnügungs- und
Bettensteuer wird wohl kommen. Was nicht geplant ist: ein höherer
Gewerbesteuersatz, Verpackungssteuer oder das Erheben der Grundsteuer C auf
unbebauten Bauflächen.
Das Jugendamt hat als Maßnahme der Haushaltskonsolidierung vorgeschlagen,
die Kita-Gebühren zu erhöhen: Aufschläge zwischen zehn und 30 Prozent
sollten die Eltern im nächsten Jahr zahlen, je nach Alter des Kindes und
Betreuungsart, außerdem 20 Prozent mehr Essensgeld. Die Gebühren sollten
bis 2031 weiter steigen. Ein Ganztagskrippenplatz für Kinder unter drei
Jahren, der heute inklusive Essen 326 Euro kostet, würde dann 828 Euro
kosten. Das ist zu viel, findet nicht nur die ökosoziale Opposition,
sondern auch Grüne und CDU, die zuletzt im Amtsblatt noch verkündeten, den
„Schulterschluss mit der Stadtverwaltung“ gesucht zu haben. Der Vorschlag,
welcher den über elf Milliarden Euro umfassenden Doppelhaushalt um
dreieinhalb Millionen Euro aufgebessert hätte, wird im Dezember bei den
finalen Verhandlungen nicht standhalten.
Vage bleibt die Ankündigung von Nopper, einen Planungsstopp für „nicht
begonnene Investitionsmaßnahmen“ zu verhängen. Auf Anfrage an das Rathaus,
was konkret er damit gemeint habe, heißt es: „Grundsätzlich soll der
‚Planungsstopp‘ für alles gelten, was noch nicht auf Baustelle ist.
Allerdings bleiben Ausnahmen möglich.“ Eine Liste an konkreten Maßnahmen
könne deshalb nicht vorgelegt werden. Was offensichtlich zu den Ausnahmen
gehört: der Abriss und Neubau der Schleyer-Halle für 45 Millionen. Außerdem
finden sich freilich Posten für das Quartier Rosenstein, das auf den noch
bestehenden Gleisflächen am Hauptbahnhof entstehen soll – sofern Stuttgart
21 dann mal in Betrieb geht. Auch werden die Fraktionen sicher über die
Sanierungspläne der Villa Berg diskutieren, bei der laut Nopper jedes
Potenzial zur Einsparung genutzt werden müsse. Oder über die Sanierung der
Oper und die Notwendigkeit der vieldiskutierten Kreuzbühne.
Aus Sicht von Linke-SÖS-Plus und PULS gäbe es bei diesen Großprojekten
durchaus Kürzungspotenzial. Und angesichts des etwas undurchsichtigen
angekündigten Planungsstopps kommt Kritik auch von der
Fraktionsgemeinschaft SPD/Volt, die in den kommenden Haushaltsverhandlungen
eine oppositionelle Rolle einnehmen wird. Sie befürchtet, dass Schulen zu
kurz kommen.
An vergangenen Großprojekten leidet auch der Karlsruher Stadthaushalt.
Mittlerweile bis zu 40 Millionen Euro im Jahr verschlingt der Betrieb des
Stadtbahntunnels. Kurz vor der im Frühjahr zeitweilig verhängten
Haushaltssperre wurden mit der neuen Turmbergbahn und den World Games
trotzdem noch zwei Großprojekte beschlossen. Das Sport-Event 2029 wird
ungewöhnlicherweise als Investition behandelt und ist damit vor dem
Sparhaushalt geschützt. Dagegen sollen die Gelder für Kultureinrichtungen,
die regelmäßig Gäste in die Stadt locken, pauschal um knapp zehn Prozent
gekürzt werden. Bei den freien Trägern spart die Stadt damit etwa 160.000
Euro pro Jahr. Eine vergleichsweise kleine Sparmaßnahme der Stadt, mit der
aber viele Kulturträger um ihre Existenz fürchten.
Hohe Einsparungen soll es in den kommenden beiden Jahren durch reduzierte
Beratungsleistungen für Wohnungslose, Geflüchtete, Jugendeinrichtungen und
andere sozial und finanziell Bedürftige geben. Früh warnten Sozialverbände,
dass jede Sparmaßnahme in der Prävention deutlich höhere Folgekosten in der
Zukunft verursachen könne. Auch die Stadt selbst kürzt deutlich beim
Personal. 440 Stellen sollen in den kommenden Jahren wegfallen. Noch
schneller werden die Menschen die geplante Schließung eines Schwimmbads und
die Erhöhung aller städtischen Gebühren und Eintritte spüren. Doch trotz
dieser drastischen Maßnahmen fehlen der Stadt noch etwa 15 Millionen Euro,
um die eigenen Sparziele zu erreichen. Bis zur Verabschiedung des Haushalts
im Dezember erwartet Oberbürgermeister Mentrup daher weiter Sparvorschläge.
## Haushaltsdefizite werden zur Vertrauensfrage
Die Misere der Kommunen ist kein baden-württembergisches Phänomen und nicht
alleine durch die schwächelnde Wirtschaft verursacht. Bundesweit
verzeichneten die Kommunen im Jahr 2024 ein Rekorddefizit von 24,8
Milliarden Euro. Für 2025 rechnen die kommunalen Spitzenverbände sogar mit
einem Fehlbetrag von über 30 Milliarden. Hauptursachen dieser Schieflage
sind neben sinkenden Steuereinnahmen vor allem massiv gestiegene
Sozialausgaben sowie ein strukturelles Finanzierungsproblem: Bund und
Länder übertragen den Kommunen fortlaufend neue Aufgaben, ohne deren Kosten
vollständig zu übernehmen.
Darauf weisen nun auch die Oberbürgermeister aller 13 Flächenbundesländer
in einem gemeinsamen Brandbrief hin, den sie Ende Oktober an ihre
jeweiligen Ministerpräsident:innen sowie an Bundeskanzler Friedrich Merz
(CDU) richteten – angestoßen ausgerechnet vom Stuttgarter
CDU-Oberbürgermeister Frank Nopper. In dem Schreiben kritisieren sie eine
„grundlegend fehlerhafte Finanzausstattung“ der Kommunen. Sie fordern eine
verbindliche Regelung, wonach neue Aufgaben nur dann übertragen werden
dürfen, wenn deren Finanzierung gesichert ist. Darüber hinaus solle der
Bund rückwirkend für kommunale Schulden haften, deren Ursache eindeutig in
der unzureichenden Finanzierung übertragener Aufgaben liegt. Auch an die
Länder ergeht ein klarer Appell: Sie sollen Gesetzen künftig nur noch
zustimmen, wenn die kommunale Gegenfinanzierung gewährleistet ist.
Damit sind sich Nopper und die linke Opposition im Gemeinderat zumindest in
einer Sache einig. Denn Linke-SÖS-Plus ist Teil des vom Verdi-Landesverband
ins Leben gerufenen Bündnisses „Kommunen am Limit“. Auch sie fordern mehr
Geld für Kommunen durch einen höheren Anteil an den Gemeinschaftssteuern.
Und eine Idee für eine Gegenfinanzierung liefern sie auch gleich noch: eine
Vermögenssteuer für Milliardäre. Am Samstag, 8. November, werden sie in der
Stuttgarter Lautenschlagerstraße dafür demonstrieren. Zwei Tage zuvor gibt
es im Rathaus aber erst mal die allgemeine Aussprache zum Doppelhaushalt,
bei der alle Fraktionen ihre Wünsche äußern werden.
Schon jetzt hinterlässt der Sparkurs in Kommunen sichtbare Spuren: marode
Schulen, geschlossene Bäder, gestrichene Buslinien. Doch die Folgen reichen
tiefer. Wo öffentliche Leistungen schrumpfen, schwindet auch das Vertrauen
in staatliche Strukturen. Diverse Studien (etwa hier, hier, hier, hier und
hier) zeigen: In vernachlässigten Regionen steigt die Zustimmung zu
populistischen Parteien messbar. Die Finanzkrise der Kommunen ist damit
mehr als ein Haushaltsproblem – sie berührt die demokratische Stabilität im
Land.
8 Nov 2025
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