URI:
       # taz.de -- Ostdeutsche an Journalistenschulen: Unter sich
       
       > An den renommierten Institutionen in Hamburg, München und Köln lernen
       > kaum Ostdeutsche. Es mangelt an Diversität auf allen Ebenen.
       
   IMG Bild: Finden Sie den Ostdeutschen: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer redet mit der Presse
       
       Am Ende zählt die Qualität und wir alle sind wunderbare, gleichberechtigte
       Geschöpfe unter Gottes Sonne. Diese Annahme wird heute immer wieder im
       Journalismus gepredigt. Denkste. Zumindest im Journalismus ist das nicht
       der Fall. Auch in anderen Bereichen und Berufen ist es die Mehrheit der
       Westdeutschen, die den Ton angeben und in Führungspositionen sitzen.
       
       Da die Medienhäuser generell wenig über die Herkünfte ihrer
       Mitarbeiter*innen nachdenken, muss man sie fragen. So wie Anne Haeming es
       für das aktuelle [1][medium magazin], ein Branchenheft, tat. 15
       Journalistenschulen und 30 regionale Zeitungsredaktionen in Ostdeutschland
       sollten Auskunft zum Verhältnis Ost zu West geben.
       
       30 Jahre nach dem Mauerfall stellt das medium magazin das ernüchternde
       Ergebnis vor: Die Nachwendegeneration aus Ostdeutschland kommt in den
       westdeutschen Journalistenschulen und Ausbildungsstätten kaum vor. Und
       somit wohl auch weniger in den Redaktionen und Führungsetagen in den
       nächsten Jahren. Als Ergebnis lässt sich aus der Umfrage festhalten, dass
       die wenigsten Journalistenschulen mehr als 5 ostdeutsche Studierende haben,
       im Verhältnis zu mehreren Dutzend Auszubildenden im Jahrgang.
       
       So hat die Axel-Springer Akademie 5 Ostdeutsche bei den 66 Volontär*innen
       in ihrer letzten Ausbildungsrunde in den Reihen genannt. Einzig die
       Reportagenschule Zeitenspiegel hat rund ein Drittel Ostdeutsche an Bord: 3
       von 9 Studierenden in diesem Jahr.
       
       „Wir haben uns (…) genauer angeschaut, wer hier spricht im Journalismus“,
       schreibt Haeming in ihrer Einleitung zur Umfrage. Denn wichtig ist nicht
       nur, dass über ein bestimmtes Thema gesprochen wird, sondern auch wer
       darüber spricht. Wen schließt das „Wir“ ein, das in Artikeln und
       Meinungsstücken von einer Gesamtheit an Erfahrungen ausgeht, wer führt das
       Gespräch?
       
       Journalistische Ausbildungsstätten hätten die Möglichkeit, sich einen
       möglichst diversen Nachwuchs in die Schulen zu holen und in die Redaktionen
       zu entlassen. Warum nutzen sie diesen Faktor nicht?
       
       Ulric Papendick, Leiter der Kölner Journalistenschule, erklärt sich das
       teilweise mit der Ausrichtung auf Politik- und Wirtschaftsjournalismus an
       seiner Schule, aber auch mit der Höhe der Studiengebühren. „Wir versuchen
       die Einstiegsgebühren niedrig zu halten“, erklärt Papendick per Mail an die
       taz, „sind aber auf Studiengebühren angewiesen.“ Obwohl diese sich nach dem
       Einkommen der Eltern berechnen, werden Kinder von Niedrigverdiener*innen,
       aber auch ostdeutsche Studierende, deren Eltern im Durchschnitt weniger als
       Eltern aus dem Westen verdienen, sich wohl kaum bewerben.
       
       Studiengebühren plus eine teure Mietwohnung in Köln muss man sich leisten
       können. Bezogen auf Bewerber*innen mit Einwanderungsbiografien seien die
       Kölner besser aufgestellt: „Diversität, nicht nur an den
       Journalistenschulen, auch in den Medien generell, ist nicht gegeben. Da
       haben wir gewisse Erfolge.“
       
       Kefa Hamidi, Kommunikationswissenschaftler an der Uni Leipzig, fragt
       bereits in der ersten Vorlesungsstunde, aus welchen Bundesländern die
       Erstsemester stammen. Ihn erstaunt, dass die Verteilung Ost zu West hier
       sehr ausgewogen scheint. „Unsere Studenten kommen zur Hälfte aus den neuen,
       was hier in Leipzig kaum erstaunlich ist, aber zur anderen Hälfte aus den
       alten Bundesländern.“ Auf der akademischen Ebene allerdings würde sich das
       Verhältnis umkehren. Bei den Professor*innen wären es verstärkt Menschen
       aus den alten Bundesländern.
       
       ## Eliten reproduzieren sich
       
       Woran das liege? Hamidi macht dafür zwei Faktoren aus. Erstere seien die
       hohen Einstiegshürden, auch an den Universitäten. Zweitens wären die
       Strukturen nicht partizipativ genug. Er plädiert für Quoten und einen
       partizipativen Journalismus, wie er es nennt, also: Journalist*innen
       sollten schon in die Grundschulen gehen, um dort auch und vor allem junge
       Menschen aus Minoritäten für ihren Job zu begeistern.
       
       Einen anderen Grund für fehlenden journalistischen Nachwuchs an den
       westdeutschen Ausbildungsstätten nennt Bernhard Remmers, Leiter des
       Instituts für Publizistik in München, gegenüber der taz so: „Das ifp ist
       eine Journalistenschule, die von der katholischen Kirche getragen wird. Die
       Katholiken machen allerdings in Ostdeutschland eine extrem kleine
       Minderheit der Bevölkerung aus.“
       
       Sevda Can Arslan ist Kommunikationswissenschaftlerin an der
       Ludwig-Maximilians-Universität in München und froh, dass sich zumindest die
       Leiter*innen – unter anderem angestoßen von Umfragen wie im medium magazin
       – um die Zusammensetzung an ihren Ausbildungsstätten Gedanken machen
       müssen. „Aber damit sich etwas ändert, braucht es eben Druck von außen und
       von unten“, sagt Arslan. Damit durch die Auswahlverfahren nicht immer
       wieder bestehende Eliten reproduziert würden.
       
       16 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.mediummagazin.de/mm042019_journalistenschulen-bilden-kaum-ostdeutsche-aus/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ebru Tasdemir
   DIR Cem-Odos Güler
       
       ## TAGS
       
   DIR Journalismus
   DIR Ausbildung
   DIR Schwerpunkt Ostdeutschland
   DIR Journalismus
   DIR Diversität
   DIR Schwerpunkt Fridays For Future
   DIR Medien
   DIR Kolumne Flimmern und Rauschen
   DIR Lokaljournalismus
   DIR Medien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Evangelische Journalistenschule: Zukunft ungewiss
       
       Die EJS wird vorläufig keinen neuen Ausbildungsjahrgang ausschreiben. Eine
       Initiative befürchtet sogar das Ende der Journalistenschule in Berlin.
       
   DIR Studie zu Vielfalt im öffentlichen Dienst: Verwaltung wenig divers
       
       Es mangelt nicht an Konzepten, aber an der Umsetzung. Eine Studie der
       Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass Vielfalt in der Verwaltung noch nicht
       gelebt wird.
       
   DIR Erinnern an friedliche Revolution: Die Schule, die Mauer, die Freiheit
       
       1988 wurde Kai Feller vom Carl-von-Ossietzky-Gymnasium geworfen. Was
       bedeutet Revolution für die Schüler*innen heute?
       
   DIR Stereotype über Ostdeutsche: Gegen das Klischee
       
       30 Jahre nach dem Mauerfall existieren noch immer Vorurteile. Die Plattform
       „Wir sind der Osten“ hält mit Porträts dagegen.
       
   DIR Der Osten und die Medienlandschaft: Am Grill der deutschen Einheit
       
       Wie sieht es mit der Ost-West-Diversität bei (öffentlich-rechtlichen)
       Medien aus? Könnte besser sein, aber es gibt auch Positives zu berichten.
       
   DIR Lokaljournalismus in der Krise: Großer Bogen um die Provinz
       
       Lokalen Medien auf dem Land fehlt der Nachwuchs. Wenig Geld, fehlende
       Work-Life-Balance und scheinbare Perspektivlosigkeit schrecken ab.
       
   DIR Kommentar Diversity in den Medien: Wir gehören dazu
       
       In deutschen Redaktionen arbeiten zu wenige Menschen mit
       Migrationsgeschichte. Dabei werden ihre Stimmen dringend benötigt.