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       # taz.de -- Ein Museumsrundgang in der Südukraine: Auf Mykolajiw!
       
       > Eine Stadtführung landet in einem Museum in der südlichen Ukraine. "Wir
       > haben die Exponate gut vor Luftangriffen versteckt", sagt die
       > Angestellte.
       
   IMG Bild: Und zwischendrin ist Luftalarm, Straßenszene in Mykolajiw
       
       Zu Beginn der Großinvasion versuchten russische Truppen die Hafenstadt zu
       umzingeln. Sie zerstörten zwar die Wasserversorgung von Mykolajiw, aber es
       gelang ihnen nie, das Herz des Schiffsbaus erst des russischen und dann des
       sowjetischen Imperiums einzunehmen. Wie Trophäen sind ausgebrannte
       russische Panzer mit aufgemalten Z-Symbolen auf dem zentralen, mit
       Panzersperren bestückten Platz der Stadt ausgestellt. Selbst jetzt lösen
       sie noch Unbehagen in mir aus.
       
       Ich bin eigentlich für das Literaturfestival Meridian angereist, das Anfang
       November gleichzeitig in den benachbarten Städten Odessa und Mykolajiw
       ausgetragen wird. Doch statt auf dem zweiten Festivaltag in einem
       Mykolajiwer Luftschutzkeller lande ich bei einem Stadtrundgang. Denn der
       Aktivist Taras Kremin möchte mir und der Schriftstellerin [1][Oksana
       Sabuschko], die mit ihrem 1996 erschienen, feministischen Roman
       „Feldforschungen über ukrainischen Sex“ auch international Berühmtheit
       erlangte, seine Stadt zeigen.
       
       Vom mittleren Trakt des regionalen Verwaltungsgebäudes sind nach einem
       Raketenangriff nur noch Ruinen übrig. Ein Gedenkort zu deren Füßen erinnert
       an die vielen im Krieg ums Leben gekommenen Zivilisten und Soldaten aus
       Mykolajiw. Es fließt zwar wieder Wasser aus den Hähnen, aber die Wunden
       klaffen tief. Kremin, bis vor kurzem noch „Ombudsman für den Schutz der
       Amtssprache“ ukrainisch, möchte uns Besucher*innen davon überzeugen, dass
       seine Stadt trotz der fortwährenden russischen Aggression lebt und gedeiht.
       Er spricht hier, im ukrainischen Süden, wo auf den Straßen auch heute noch
       überwiegend Russisch zu hören ist, aus Überzeugung ukrainisch.
       
       Im lokalen Geschichtsmuseum bekomme ich unerwartet die wohl unterhaltsamste
       Führung, die ich je hatte. Die betagte drollige Mitarbeiterin begleitet uns
       in wahnsinnigem Erzähltempo durch alle Ausstellungsräume. „Wir haben die
       Exponate so gut vor Luftangriffen versteckt, dass wir manche gar nicht mehr
       finden können“, scherzt sie. Über einen Flusskrebs mit langen Zangen
       berichtet sie, er sei bei einem der Angriffe, die das Museum beschädigten,
       auseinandergefallen. Man habe ihn aber glücklicherweise wieder
       zusammensetzen können.
       
       ## Springmaus mit großen Ohren
       
       In anekdotischen Lektionen über die Geografie, Archäologie und Ethnologie
       der Region Mykolajiw erfahren wir von der fruchtbaren Schwarzerde, den
       vielen geflügelten Bewohnern der südukrainischen Steppe und den
       griechischen Siedlungen in der Antike, während wieder einmal Luftalarm
       ertönt.
       
       Die Springmaus „Allactaga Major“ mit den großen Ohren, kräftigen Beinen und
       dem schlanken Körperbau werde von Kindern oftmals für ein Känguru gehalten,
       erzählt die Museumsangestellte amüsiert. Ob es Exemplare solcher bedrohten
       Arten auf der Kinburn-Insel im Süden der Region Mykolajiw noch überhaupt
       noch gebe, wisse sie nicht. Denn die befindet sich unter russischer
       Besatzung.
       
       Nach der Museumstour offenbart sich uns ein Blick auf die in den letzten
       Sonnenstrahlen des Tages schimmernden Kräne des Hafens, auf das kalte
       Wasser und den blassen, spätnachmittaglichen Himmel. Ich erfahre, dass der
       berüchtigte Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“ hier gebaut worden ist – jenes
       Schiff, dessen Besatzung auf der Schlangeninsel stationierte ukrainische
       Soldaten am 24. Februar 2022 dazu aufgefordert hatte, sich zu ergeben.
       Deren vulgäre Antwort ist zu einem geflügelten Wort geworden: „Russisches
       Kriegsschiff, fick dich!“ Wenige Monate danach wurde [2][die "Moskwa"
       versenkt.]
       
       ## Hinweise bei Nostradamus
       
       Im Theater von Mykolajiw, das durch einen Luftangriff im Herbst des ersten
       Kriegsjahres Schaden nahm, endet unser Stadtrundgang. Während unten in der
       Luftschutzkeller-Bühne eine [3][französische Komödie] läuft, stärken wir
       uns im Café mit Wurstbroten und trinken Rotwein.
       
       „Nach dem Sieg wartet ein Haufen Arbeit auf uns“, sagt Sabuschko. Die
       Grande Dame der ukrainischen Gegenwartsliteratur ist überzeugt, dass er
       eintreten wird – wohl schon nächsten Sommer. Ihre Begründung überrascht
       mich gleichwohl: Sie glaubt, Hinweise darauf in Passagen der Prophezeiungen
       von Nostradamus gefunden zu haben, die sie Anfang der 90er einmal für eine
       Zeitschrift aus dem Altfranzösischen übersetzte. Auch wenn ich skeptisch
       bin, wünsche ich mir, dass sie recht behält. Wir heben die Gläser – auf
       Mykolajiw!
       
       23 Nov 2025
       
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