URI:
       # taz.de -- Der Wiener Eissalon Tichy: Für die Omas, die Bros und die Gemeindebaukinder
       
       > Im Eissalon Tichy treffen ist eine Institution im bunt gemischten Bezirk
       > Favoriten. Vor genau 100 Jahren wurde sein Gründer Kurt Tichy geboren.
       
   IMG Bild: Im Eissalon Tichy. Ein Bub bekommt ein Eis, anno 1965
       
       [1][Pistazien, selbst geröstet], Haselnüsse, frische Weichselkirschen und
       Mangos. Und natürlich viel Butter, Schlagobers, Zucker. „Wenn nix drin ist,
       schmeckt’s nach nix“, ist das Motto bei Tichys Eissalon am Wiener
       Reumannplatz. Fertigmischungen? Kommen hier nicht in die Waffel!
       
       Das [2][bunte Publikum von Wien-Favoriten] weiß das zu schätzen und steht
       Schlange: die Omas und die Bros und die Gemeindebaukinder. An manchen
       Sommertagen reihen sie sich 300 Meter lang, bis hinüber zum Amalienbad. Die
       Tichy-Frauen in den pinken Schürzen schaufeln und schaufeln über die Theke,
       Väter tragen ganze Kühlboxen zu ihren Sportwagen. Voll mit Eiscreme und der
       Spezialität des Hauses: Eismarillenknödel.
       
       Vor 100 Jahren, am 17. August 1925, wurde Gründervater Kurt Tichy geboren,
       70 Jahre feiert sein Laden in diesem Jahr. Der Eissalon Tichy ist damit
       genauso alt [3][wie der österreichische Staatsvertrag] – und mindestens so
       bedeutend. Zumindest zeigt sich rund um den Tichy, mit seinen rot-weißen
       Markisen, das ganze Drama der Zweiten Republik. Die nämlich wollen die
       Rechtsextremen zerstören.
       
       „No-go-Area“ nennt die FPÖ im Wiener Gemeinderat den Reumannplatz. Dabei
       gehen offensichtlich sehr viele Menschen dorthin, die Kriminalität in
       Wien-Favoriten liegt nur ganz gering über dem Stadtdurchschnitt – und unter
       den Fallzahlen von angeseheneren Bezirken wie Mariahilf, Neubau oder
       Alsergrund.
       
       Doch wen kümmern Fakten, wenn die Lügen von der „Ausländerkriminalität“ so
       süß nach Überlegenheit schmecken. Und politischen Erfolg versprechen. 17,7
       Prozentpunkte hat die FPÖ bei der jüngsten Gemeinderatswahl im Bezirk
       zugelegt, viele völkisch Besorgte wünschten, Tichys Eissalon würde
       umziehen, ein, zwei U-Bahn-Stationen weg vom Reumannplatz.
       
       Kurt Tichy II., Sohn des Salongründers, hält dagegen. „Die Politik und die
       Medien übertreiben alles maßlos“, sagte er kürzlich [4][dem Standard]. „Wir
       bleiben, was wir sind – und wo wir sind“.
       
       Vor 100 Jahren wurde sein Vater, Kurt Tichy I., hier in Favoriten geboren.
       Weil der junge Mann als Soldat im Zweiten Weltkrieg war, schloss er
       verspätet seine Meisterprüfung ab, ausgerechnet als Zuckerbäcker. In Zeiten
       der Mangelwirtschaft! Kein Kakao, keine Butter – Kurt Tichy experimentierte
       deshalb mit Erdbeeren und fuhr sein „Speiseeis“ mit einem Lastenfahrrad
       durch die Schrebergärten Wiens. 1955 schließlich eröffnete er den Salon am
       Reumannplatz, der sich in der neutralen Republik Österreich zur Institution
       entwickelte. Nicht zuletzt wegen des 1967 patentierten Eismarillenknödels,
       einer Kugel aus Aprikoseneis, umhüllt von einer Vanilleschicht, gewälzt in
       Nusssplittern.
       
       Wien dankte es ihm. 1974 erhielt Tichy für seinen Betrieb das Recht, das
       österreichische Staatswappen zu führen, später verlieh die Stadt ihm den
       Titel Kommerzialrat und machte ihn zum Ehrenbürger. 2004 benannte seine
       Heimatstadt die Kurt-Tichy-Gasse nach dem 1999 verstorbenen Eiskönig.
       
       Mit Enkelin Xenia Tichy ist die Thronfolge in dem Salon mit den weißen
       Achtzigerjahrestühlen gesichert – und der republikanische Geist. „Bei uns
       sitzen alte Damen, die uns seit Jahrzehnten die Treue halten, neben
       muslimischen Großfamilien, und das soll so bleiben“, sagte die 29-Jährige
       im Standard. 80 Prozent des Tichy-Personals hätten selbst eine
       Migrationsgeschichte zu erzählen. „Multikulti ist Teil unserer
       Markenidentität.“
       
       17 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hype-um-Pistazien/!6003049
   DIR [2] /Dokfilm-ueber-migrantisch-gepraegte-Schule/!6034361
   DIR [3] /Umgang-mit-NS-Opfern/!5010637
   DIR [4] https://www.derstandard.de/story/3000000273750/eissalon-tichy-bei-uns-stellen-sich-an-heissen-tagen-bis-zu-10000-menschen-an
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hunglinger
       
       ## TAGS
       
   DIR wochentaz
   DIR Genuss
   DIR Eis
   DIR Wien
   DIR GNS
   DIR Eis
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Bildungssystem
   DIR Pinocchio
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gelato in Berlin: Das Eis hat seinen Preis
       
       Wer sich die Kugel geben will, muss immer tiefer in die Tasche greifen.
       Warum ist das so? Zwei Eishersteller berichten.
       
   DIR Bremer Eiscafé nur für Frauen: Antwort auf die Teestubenkultur
       
       Women only heißt es in einem Eiscafé in Bremen, das nur für Frauen da ist.
       Männer können sich ein Eis to go kaufen. Die Inhaberin ist 18 Jahre alt.
       
   DIR Dokfilm über migrantisch geprägte Schule: „Ein Konzept ist nur Papier“
       
       Mikrokosmos der Gesellschaft: Regisseurin Ruth Beckermann begleitete für
       ihren Film „Favoriten“ eine migrantisch geprägte Wiener Schulklasse.
       
   DIR Bildband über Pinocchio-Eisbecher: Immer der Nase nach
       
       9 Tage, 16 Bundesländer, 91 Pinocchio-Eise: Der grandiose Bildband „Mostro“
       erzählt von einem verstörenden Roadtrip durch Deutschlands Eiscafés.