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       # taz.de -- Darf Schalke Meister werden?
       
       > Der FC Schalke 04 hat mal wieder die Chance, im Mai seine achte Deutsche
       > Meisterschaft zu feiern – 49 Jahre nach dem letzten Erfolg; da gab es
       > noch keine Bundesliga. Der erstmalige Gewinn der Schale scheint nicht
       > mehr aufzuhalten zu sein. Darf das sein – muss das sein?
       
       ## JA
       
       Auch wenn es schwer fällt: Schalke darf, nein, Schalke muss endlich
       deutscher Meister werden! Es gibt kein besseres Ende dieser
       Bundesligaspielzeit, vor allem für die, die für die Fußballfundamentalisten
       aus Gelsenkirchen nur wenig übrig haben. Nur mit der ersten Meisterschaft
       nach 49 Jahren wird Schalke zu einem stinknormalen Club, kommen die Knappen
       in der Wirklichkeit an.
       
       Auch wenn die Vereinsfunktionäre am Berger Feld seit Jahrzehnten aus der
       kickenden Schicksalsgemeinschaft ein Profit-Center machen, wird erst die
       Meisterschale die verbocktesten Anhänger umdrehen: Nein, auf Schalke liegt
       kein Fluch! Nein, Schalker werden nicht immer beschissen. Ja, auch auf
       Schalke hilft es, wenn ein russischer Konzern dreistellige Millionenbeträge
       hineinpumpt! Die Ehrenrunde in der Arena, 1.000 Feiern in der Nacht – es
       sei den Königsblauen erlaubt, wenn sie danach etwas runterkommen.
       
       Die Gefühlsduseligkeit ist beim S04 deshalb so groß, weil die
       Vereinsgeschichte wie bei keinem anderen deutschen Club mit Triumphen,
       Tragödien, Betrug und Schuld befrachtet ist. Zunächst der mühsame Weg der
       wilden Spielgemeinschaft in den offiziellen Spielbetrieb. Dann der Freitod
       des schuldbewussten Kassierers, der sportliche Höhenflug von
       Arisierungsgewinnlern und Nazilieblingen. Zwischen 1934 und 1942 wird
       Schalke sechsmal Meister, im Nachkriegsdeutschland gelingt das nur noch
       einmal. Dafür kommt es zum Fußball-Super-Gau: Ausgerechnet die
       hoffnungsvollste Schalker Mannschaft verstrickt sich in den
       Bundesligaskandal. Nationalspieler leisten Meineide. Eine Schmach, die die
       nationalen und internationalen Pokalsiege nach fast zwanzig Jahren Agonie
       nur lindern können – nicht heilen. Und schließlich der letzte Akt vor sechs
       Jahren – ein Rückpass, ein Elfer in Hamburg. Nicht nur Jürgen W. Möllemann
       hatte sich zu früh gefreut. Seitdem ist der Club sogar Meister der Herzen:
       Wieder ein anmaßender Titel, auch den könnte man dann vergessen.
       
       Mit der Schale könnte es selbst in der Arena entspannter zugehen. Fußball
       würde unbelasteter gespielt und diskutiert, das ganze würde nicht mehr an
       Gespräche mit traumatisierten Weltkriegsteilnehmern erinnern, die mit ihrer
       privaten Knappenhistorie klarkommen müssen.
       
       Ganz ohne Dialektik wäre der Schalker-Titel natürlich der Stadt
       Gelsenkirchen zu gönnen, die so wenig zu lachen hat, dem untadeligen
       Sportsmann Levan Kobiashvili, dem netten Herrn Slomka sowie dem
       ungewöhnlich bescheidenen Manager Peter Peters.CHRISTOPH SCHURIAN
       
       ## NEIN
       
       Nein, sie dürfen nicht. Was für eine Frage. Vor allem für jemanden, der im
       Revier lebt. Auch in Zeiten der allgemeinen Beliebigkeit ruft der Fußball
       immer noch die beiden Extreme hervor: Hass oder Liebe. Entweder Du bist für
       Königsblau oder dagegen. Dazwischen gibt es nichts. Die Abneigung der
       Schalke-Fans wird mir sicher sein, dafür wird es auf der anderen Seite sehr
       viele Schulterklopfer geben – auch solche, auf die ich gerne verzichten
       würde. Aber was soll‘s: im Fußball gibt es nur einen Sieger. Und der darf
       nicht Schalke heißen.
       
       Ich könnte mich auch der Macht des Faktischen beugen und auf die
       verzweifelten Alternativen verweisen. Der VfB Stuttgart? MV-vorbelastet und
       gähn. Werder Bremen? Schlechter Lauf. Die Bayern? Nicht schon wieder.
       Blieben doch nur die Schalker. Fußball kann so grausam sein. Aber Nein, es
       geht nicht. Mein Ehrenwort!
       
       Okay, wer damals im Mai 2001 im Parkstadion die Vier-Minuten-Meisterfeier
       miterlebt hat, könnte tatsächlich schwach werden. Was für ein bitterer
       Moment. Sollen sie doch einmal siegen. Als Wiedergutmachung. Andererseits:
       Bundesligaskandal, Günter Eichberg und die vielen Meisterschaften in der
       NS-Zeit wiegen schwer. Wie sagte schon Ex-Trainer Ralf Rangnick:
       „Bademeister“ können sie ruhig werden. Glückauf!
       
       Aber auch nur dafür. Der königsblaue Größenwahn darf keine neue Nahrung
       erhalten. Es reicht, wenn Großeltern vom Krieg oder Alt-68er von der
       Revolution faseln. Da braucht‘s nicht auch noch Schalker, die von Schalke,
       Gelsenkirchen oder dem S04 schwärmen. Verwandte und Freunde verzeiht mir:
       Von Gelsenkirchener Boden darf nie wieder eine Meisterschaft ausgehen.
       
       Guter Geschmack? Auf Schalke Fehlanzeige. Nichts ist schlimmer als in einer
       überfüllten Straßenbahn zwischen Schalkern eingeklemmt zu sein. Dagegen
       waren die Kreuzzüge nette Familienausflüge. Höchstens. Ohne
       Krankenzusatzversicherung läuft da gar nichts. Vergesst die Meisterschaft
       ganz schnell!
       
       Und wenn es doch schief geht? Eine dreimonatige Dauerparty zwischen
       Kevelaer und Gütersloh, zwischen Lüdinghausen und Meschede. Die
       Meisterfeier gesponsert von Gazprom auf der Überraschungsgast Rudi Assauer
       sein Comeback verkündet und dabei ein 20-Liter-Fass Veltins auf Ex leert.
       Will das wirklich jemand sehen? Eben. Sollen sie doch machen, was sie am
       Besten können. Singen, saufen und in letzter Sekunde versagen. Schalker,
       Ihr wollt es doch auch! Und der Rest kann weiter seine schönsten Vorurteile
       über den FC Schalke 04 pflegen.
       
       HOLGER PAULER
       
       26 Feb 2007
       
       ## AUTOREN
       
   DIR CHRISTOPH SCHURIAN / HOLGER PAULER
       
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