# taz.de -- Jugendliche in Berlin: Jung und einsam
> Studien zeigen: Insbesondere junge Menschen leiden unter Einsamkeit. Der
> Bezirk Reinickendorf will nun gegen jugendliche Vereinsamung angehen.
IMG Bild: Kopfhörer können spontanes Plaudern und lockeren Austausch erschweren
Kurz vor der großen Abschlussrunde sind die Jugendlichen aufgeregt. Eine
Bühne, ein Mikro und ein Publikum warten auf sie. Und es ist nicht nur der
Auftritt, der ihre Nervosität steigert. Es ist auch das Thema. Denn die
Jugendlichen, die sich am Dienstag im Foyer des Ernst-Reuter-Saals am
Reinickendorfer Rathaus zusammengefunden haben, beschäftigen sich dort mit
Einsamkeit. Mit der Presse möchte niemand von ihnen reden, und die
Veranstalter*innen werben für Verständnis dafür. Sie haben bereits in
anderen Zusammenhängen die Erfahrung gemacht, dass es geschützte Räume
braucht, damit Menschen über ihre Einsamkeitsgefühle reden.
„Einige waren sehr aktiv. Für andere war es noch mehr ein Tabu – sie sagen:
Einsamkeit betrifft mich nicht, oder ich kenne niemanden, der einsam ist“,
fasst Katharina Schulz die Ergebnisse aus der Arbeitsphase zusammen. Schulz
ist seit 2024 Einsamkeitsbeauftragte in Reinickendorf und auch
Ehrenamtsbeauftragte. Sie zeigt Graffiti, die in einem der Workshops
entstanden sind. „Winners“ steht auf einem. Unter dem Schriftzug ist eine
Gruppe beieinander sitzender und stehender Strichmännchen zu sehen, im
Vordergrund die Umrisse von einer allein sitzenden Person. Andere Gruppen
arbeiteten mit Improtheater und mit kreativem Schreiben zum Thema
Einsamkeit.
„Wie auch immer die Jugendlichen sich dem Thema heute geöffnet haben – das
wird nachhallen“, sagt Schulz. Sie seien außerdem stolz auf ihre Bilder,
die der Bezirk später ausstellen und versteigern will. „Wir wollen
erreichen, dass die Jugendlichen achtsamer miteinander umgehen. Dass sie
selbst merken, wenn sie sich einsam fühlen, es aber auch bei anderen eher
wahrnehmen, wenn sie ausgeschlossen, isoliert oder allein sind.“
Um die 100 Kinder und Jugendliche von 13 bis 27 Jahren haben am Dienstag am
dritten Reinickendorfer Einsamkeitsgipfel teilgenommen. Es ist der erste
Gipfel, der Jugendliche und junge Erwachsene in den Fokus nimmt. Viele der
Schüler*innen kommen von den drei Schulen im Bezirk, die schon im
vergangenen Jahr immer wieder zu dem Thema gearbeitet hatten. Die Kinder
und Jugendlichen aus einer Gemeinschaftsunterkunft wiederum hatten sich mit
Senior*innen zusammen im vergangenen Jahr bereits regelmäßig zu dem
Thema ausgetauscht und am Ende zusammen Graffitis gesprayt.
## Nachwirkungen von Pandemie und Lockdowns
Denn Einsamkeit ist ein Thema, [1][das Jugendliche und junge Menschen
direkt betrifft]. So hatte etwa eine Befragung unter Berliner*innen
während und nach der Pandemie gezeigt, dass die Gruppe der 18- bis
25-Jährigen besonders stark unter Einsamkeit leidet. Die Einsamkeit habe
während des ersten Lockdowns zugenommen, nach der anschließenden Lockerung
wieder abgenommen, im zweiten Lockdown wieder zugenommen und sei danach auf
einem hohen Niveau geblieben. Das hatte der Psychiater Mazda Adli bereits
beim Einsamkeitsgipfel im vergangenen Jahr betont.
Auch das war für Reinickendorfs Bezirksbürgermeisterin Emine
Demirbüken-Wegner (CDU) ein Grund, den Fokus auf Jugendliche und junge
Menschen zu richten. Demirbüken-Wegner, seit 2023 im Amt, hat im Bezirk
eine Strategie gegen Einsamkeit initiiert. Sie hatte das Thema bereits als
Sozialstadträtin vorangetrieben und Anträge im Abgeordnetenhaus gestellt.
So hat [2][Reinickendorf als erster Bezirk eine Einsamkeitsbeauftragte] und
sogenannte Quasselbänke aufgestellt, die dazu einladen sollen, ins Gespräch
zu kommen. Und der Bezirk hat den 16. Dezember offiziell zum „Tag gegen
Einsamkeit“ ausgerufen.
Einsamkeit definiert der Bezirk dabei als „sozialen Stress“ – in der
Stressforschung gelte diese Form als „stärkster Stressor, den man kennt“,
hatte [3][der Psychiater Mazda Adli im vergangenen Jahr] betont. Das gelte
besonders für soziale Isolation, also einen Mangel an Kontakten und
fehlende Verbundenheit mit anderen Menschen oder aktiven sozialen
Ausschluss. Und Adli stellte fest: „Je jünger die Befragten, desto größer
die angegebene Einsamkeit.“
Taner Avcı, Streetworker beim Träger Gangway und Sprecher für die AG
„Einsamkeit Exit“ wies auf die besonderen Aspekte jugendlicher
Einsamkeitserfahrungen hin. In dem Alter spielten Identität und Anerkennung
eine große Rolle. Ablehnungserfahrungen oder Mobbing würden Jugendliche in
einen Rückzug zwingen, in dem sie dann [4][besonders empfänglich für
radikale Strukturen in den sozialen Medien] seien. „Die gehen in dieses
Gefühl rein und nutzen es für ihre Zwecke, ob rechtsradikal, islamistisch
oder frauenfeindlich“, sagt Avcı. Als Sozialarbeiter*innen könnten
sie dagegen kontrovers mit den Jugendlichen diskutieren. „Und es braucht
Vertrauen und langfristige Beziehungsarbeit damit die Jugendlichen sich
öffnen und auch erzählen, dass sie sich einsam fühlen“, sagt er.
Ziel der Strategie gegen Einsamkeit ist es, die Reinickendorfer*innen
erstmal überhaupt für das Problem zu sensibilisieren. Die Verantwortlichen
wollen den Bürger*innen einerseits zeigen, welche Angebote gegen
Einsamkeit es bereits im Bezirk gibt und andererseits vermitteln, was
jede*r Einzelne für gesellschaftlichen Zusammenhalt tun kann.
Schon beim Einsamkeitsgipfel im vergangenen Jahr hatte sich der Bezirk
deshalb vorgenommen, Einsamkeit unter jungen Menschen und Jugendlichen in
den Fokus zu rücken. Reinickendorf will damit nicht nur die Angebote
ausbauen, sondern auch neue Zielgruppen ansprechen.
Bezirksbürgermeisterin Demirbüken-Wegner will die Ergebnisse aus den
Workshops jetzt mit ihrem Team auswerten. Nach dem Gipfel im vergangenen
Jahr waren Stammtische gegen Einsamkeit im Bezirk entstanden. Nun sollen
entsprechend Angebote für Jugendliche entstehen. „Es müssen Räume sein, zu
denen die Jugendlichen dann auch hinkommen“, sagt sie. Die Arbeit gegen
Einsamkeit müsse „extremst niedrigschwellig“ sein, betont
Demirbüken-Wegner. Nur so könnten sie Menschen auch erreichen. „Denn keiner
geht aus seiner Ecke raus und sagt: Ich bin einsam.“
16 Dec 2025
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## AUTOREN
DIR Uta Schleiermacher
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