# taz.de -- Die Wahrheit: Klapprig durch die Nacht
> Eine wacklige Fahrt zum Hamburger Fahrradstrich „Loop“, wo steile
> Monteure jeden Geschlechts Ständer ausklappen und Schläuche einziehen.
IMG Bild: Aus Fahrradleichen werden wieder lebendige Räder
Es beginnt wie so oft bei einer Reportage für die Wahrheit: mit einem
flauen Gefühl im Magen. Und der Frage, ob das wirklich eine gute Idee ist.
Wir stehen auf einem Parkplatz im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg und
begutachten unser Gefährt für die kommende Nacht. Ein klappriges Klapprad,
das aussieht, als hätte es schon lange kein Kettenöl mehr gesehen.
Ziel unserer Reportage ist es, herauszufinden, was nachts auf dem „Loop“
passiert, diesem für den Hamburger Süden so wichtigen Fahrradweg. Tagsüber
von tausenden Pendlern beradelt, wird er nach Einbruch der Dunkelheit
angeblich zum Fahrradstrich.
Es ist kurz nach zehn, und die Kälte der noch jungen Nacht schlägt uns ins
Gesicht, als wir auf den Loop einbiegen. Der Asphalt glänzt feucht, Schweiß
klebt auf der Haut. Eine Laterne nach der anderen erhellt den Weg mit ihren
schummrigen Lichtern – als durchquerten wir die Szenenbilder eines film
noir. Bizarre Büsche und knorrige Sträucher säumen die Strecke. Es ist eine
seltsame Mischung aus Bedrohung und Verheißung, die einen hier ankriecht.
Und dann sehen wir sie da stehen: die Loop-Monteure. Ein halbes Dutzend
Gestalten, lässig an einen mobilen Reparatur-Annahmetresen gelehnt, während
sie an ihren Luftpumpen herumspielen, die wie Revolver in ihren Gürteln
stecken. Den Schein der letzten Laterne reflektieren die Streifen ihrer
Funktionsjacken. Einige tragen Caps, Schirm nach hinten, andere Bandanas
mit Totenköpfen drauf.
## Pralle Pneus
Wir rollen näher auf unserem Klapprad. Die Monteure – Männer aller
geschlechtlichen Schattierungen – mustern uns. Einer tritt vor und streicht
über unseren prallen Pneu. „Na, Kollege, wo drückt ’n der Sattel? Sieht
aus, als wär’ deine Kette ein bisschen … eingerostet?“ Schon schnippt er
eine Kettenlehre aus der Gürteltasche.
Während er den Antrieb unseres Klapprads checkt, mustern wir ihn heimlich.
Unter seinen knallengen Cargos zeichnet sich ein mächtiges Suspensorium ab.
Eins dieser wattierten Radler-Accessoires, deren Nutzer meist mehr Wert auf
Form als auf Funktion legen.
„Scheint so, als wär der Umwerfer hinüber. Muss gemacht werden. Aber keine
Sorge, ich hab alles dabei“, erklärt uns unser Monteur und öffnet seinen
Werkzeugkoffer, der aussieht, als könnte er neben einem Satz Inbusschlüssel
noch ein paar letzte Geheimnisse enthalten.
Die Reparatur ist schnell gemacht, fast zu schnell, für unser Gefühl.
Innerhalb weniger Minuten ist der Schaltzug angeblich „gerichtet“ und wir
können wieder aufsitzen. Aber unser Monteur bietet noch mehr an: „Sag mal,
du trittst doch sicher heute noch länger in die Pedale, oder? Deine
Wadenmuskeln wirken so verspannt. Soll ich mich mal … drum kümmern?“
Wir zögern, aber die journalistische Neugier ist stärker. Der Monteur holt
eine Spraydose hervor und beginnt, unsere Waden zu massieren. Er macht das
überraschend professionell. Professioneller jedenfalls, als man das auf
einem Radweg mitten in der Nacht erwartet hätte.
## Griffe kneten
„Uns hier geht’s nicht nur ums Zweiradtechnische“, sagt er zwischen zwei
knetenden Griffen. „Wir nennen es ‚Ganzheitlicher Ansatz‘. Die meisten
Radler haben keinen Plan, wie sehr ihre Faszien verklebt sind.“ Wir können
nicht anders, als nach dem Preis zu fragen. Die Antwort kommt prompt: „Für
den Umwerfer zwanzig. Für die Massage, sagen wir … fünfzehn? Wenn du das
Komplettpaket nimmst, inklusive Nacken und ein bisschen … individueller
Beratung, reden wir über ’n Fuffi. Deal?“ Was „individuelle Beratung“
bedeute, wollen wir wissen. Er hebt nur die Augenbrauen. „Kommt drauf an.“
Als wir später weiter radeln, tauchen aus dem Dunkel weitere Monteure auf.
Es sind offenbar auch einige Monteurinnen darunter. Sie stehen in Gruppen,
trinken aus Fahrradflaschen. Andere hocken auf Kisten und schrauben an
umgedrehten Lastenrädern. Wir lassen das Rad ausrollen, klappen unseren
Ständer aus. Irgendetwas sagt uns, dass hier eine ähnliche Mischung aus
technischer Expertise und körperlicher Dienstleistung angeboten wird.
Eine der Monteurinnen, mit kurzem Haar und einem an Piraten erinnernden
Ohrschmuck, löst sich aus der Gruppe. Sie bietet an, unsere Sitzhaltung zu
überprüfen. „Das ist echt wichtig fürs Becken. Und alles, was dranhängt.
Soll ich?“, lächelt sie und schlägt dann vor, uns „hinten einen neuen
Schlauch einzuziehen“.
Als wir im Morgengrauen den Loop verlassen, sind wir um einige Erfahrungen
reicher. Und etliche Euro ärmer. Doch alle Schaltzüge funktionieren, Waden,
Nacken und noch ein paar Körperregionen mehr sind entspannt. Das Fazit nach
einer Nacht auf Hamburgs erstem Fahrradstrich – es gibt in dieser Stadt
wohl keinen Ort, an dem Mensch und Maschine auf intensivere Weise
miteinander verschmelzen.
Wie das am Ende sogar auf dem Gepäckträger eines Klapprads funktionieren
kann? Darüber wird hier final der Fahrradmantel des Schweigens gebreitet.
Nur so viel: Es sollte kein Träger mit Klemmbügel sein.
16 Dec 2025
## AUTOREN
DIR Fritz Tietz
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