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       # taz.de -- Vom Wedding ins Musikinstrumentenmuseum: Wo die Mighty Wurlitzer ertönt
       
       > Im Wedding ticken Busse und einige Einwohner im Rhythmus vergangener
       > Kolonialzeiten, während eine dreistöckige Orgel in Tiergarten Laune
       > macht.
       
   IMG Bild: „Busse sind manchmal langsam im Kopf“: Der Martha-Ndumbe-Platz in Berlin, Ortsteil Wedding
       
       Freitagabend in Wedding, am Martha-Ndumbe-Platz. Der Bus zeigt noch den
       alten Namen an: „Nettelbeckplatz“. Busse sind manchmal langsam im Kopf,
       denn der Platz wurde bereits im Sommer umbenannt. Etwa hundert Menschen
       feierten das mit Musik und Vorträgen. Es wurde erklärt, wer Martha Ndumbe
       war. Sie wurde 1909 in Berlin geboren, afro-deutsch, 1945 wurde sie von den
       Nazis im Konzentrationslager Ravensbrück ermordet.
       
       Es wurde auch erklärt, wer Johannes Nettelbeck war. Geboren 1738, gestorben
       1824. Im Kaiserreich fand man ihn toll, deswegen benannte man 1884 den
       Platz nach ihm. Ein Held, Symbolfigur des Widerstands gegen Napoleon.
       Außerdem war er aktiv am Sklavenhandel beteiligt und verdiente gut daran.
       Auch in der Nazizeit fand man ihn noch toll. Ein paar Meter entfernt von
       der Veranstaltung sagte eine Frau, die im Sommer fast immer mit ein oder
       zwei Bierchen auf einer der Bänke auf dem Platz sitzt, leise zu ihren drei
       Trinkkumpanen: „Also für mich bleibt ditte hier der Nettelbeckplatz, das
       kann ich dir aber sagen.“
       
       Nicht weit vom Platz liegt die Bar B-Side. Früher arbeitete dort meist
       Michael, Amerikaner und Besitzer der Bar. Er wusste viel über Bier, Wein
       und Punk-Musik. Michael ist seit ein paar Monaten nicht mehr da. Die Bar
       ist jetzt in neuen Händen, sieht aber immer noch genauso aus wie früher.
       Sie heißt auch noch so. Das Publikum spricht weiterhin meist Englisch.
       [1][Am Tresen] neben mir wird über Europa geredet, über Merz und Trump, und
       darüber, dass Berlin schwierig ist für Neuankömmlinge.
       
       ## Blicke im Nacken beim Betrachten der Stradivari
       
       Am Samstagvormittag im Musikinstrumentenmuseum. „Woher kommen Sie?“, fragt
       mich eine freundliche Person, die im Museum arbeitet und ein bisschen Small
       Talk machen will. Ich sage: „Jugoslawien“, obwohl das nicht ganz stimmt.
       Fortan wirke ich ein wenig verdächtig. Vielleicht liegt es auch an meiner
       Wollmütze. Ich schaue mir eine Stradivari etwas genauer an. Das bleibt
       nicht unbemerkt, ich spüre Blicke in meinem Nacken.
       
       Dann plötzlich Glockengeläut. Ho, ho, ho. Let it snow! Die Mighty Wurlitzer
       erklingt, deshalb bin ich hierhergekommen. Der Architekt Hans Scharoun hat
       das Museum um diese riesige Kinoorgel herum gebaut – so groß ist sie. Sie
       ist im Museum über drei Stockwerke verteilt: unten im Keller die Technik,
       oben im ersten Stock, drei Großkammern, in denen sich riesige Pfeifen,
       Pauken und Hupen befinden. In der Mitte und zentral im Museum der weiße
       Spieltisch. Dort sitzt Jörg Joachim Riehle an den Tasten und 205 Registern.
       
       Riehle ist Orgelexperte. Er erzählt, dass die Orgel 1.228 Pfeifen hat und
       gebaut wurde, um ganze Orchester in Kinos zu ersetzen. 1929 kaufte Werner
       Ferdinand von Siemens sie in den USA und ließ sie in seine Villa nach
       Lankwitz liefern – für 85.000 Dollar. Heute wären das laut
       Online-Inflationsrechner ungefähr 1,6 Millionen Dollar.
       
       Riehle spielt „Interstellar“ von Hans Zimmer, die Titelmelodie von Harry
       Potter und schließlich „Last Christmas“ von Wham!. Zwischendurch erzählt er
       Geschichten über die Erfinder der Mighty Wurlitzer, lässt die Orgel
       donnern, Vögel zwitschern oder Dracula anklopfen. Es macht großen Spaß.
       
       Am Sonntag trinken wir im Wedding Kaffee. Es ist nicht sehr kalt, [2][warm
       aber auch nicht]. Einer kommt mit Badelatschen und Bademantel herein. Er
       hat enorm viele Brusthaare, einen Laptop unterm Arm und eine Sonnenbrille
       auf. Er setzt sich an den Tisch, nippt am Kaffee und beginnt zu tippen. Es
       sieht nach Arbeit aus.
       
       16 Dec 2025
       
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