# taz.de -- Linke Kirchen in den USA: God's left
> Rechte Evangelikale gewinnen unter Trump an Einfluss. Doch liberaler
> christlicher Widerstand formiert sich – wer sind diese Gruppen?
IMG Bild: Breaking Bread: Der Gottesdienst von Pastor*in Jay ähnelt mehr einer Selbsthilfegruppe
Anstatt Wein und Oblaten gibt es beim Abendmahl süßes Gebäck und
Softdrinks. Jay zerreißt die gezuckerte Discounter-Backware und sagt: „Das
ist der Leib Christi“. Klack. Zisch. – ein kollektives Dosenöffnen. Jay
hält das sprudelnde Granatapfelgetränk in der Hand, grinst in die Runde und
sagt: „Und das ist das Blut Jesu.“
Jay, 33, ist mennonitische*r Pastor*in in Germantown, einem Stadtteil
von Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania und Gründer*in der „Lefty
Church“. Alle zwei Wochen trifft sich die Gruppe junger, linksliberaler
Christen, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Jay ist non-binär, geboren
und aufgewachsen in einer Mennoniten-Familie in Kansas, einem der am
dünnsten besiedelten Bundesstaaten der USA. Wenn Jay spricht, hört man den
„Midland-Dialekt“, der typisch für die Region ist.
Zehn Menschen im Alter von 25 bis 35 sind an diesem Nachmittag zur „Lefty
Church“ gekommen. Sie wechseln sich ab, bei wem zuhause das Treffen
stattfindet. Heute ist Mary C. die Gastgeberin. Die Gruppe sitzt auf Sofas,
Stühlen und auf dem Boden im Wohnzimmer des kleinen Hauses. Anstelle eines
Kreuzes hängt ein großer Fernseher an der Wand. In der offenen Küche surrt
der Kühlschrank. Die Teilnehmenden sind sommerlich gekleidet, fast alle
sind tätowiert und tragen Piercings.
Dann eröffnet Jay den Gottesdienst. Vorstellungsrunde: Alle sagen, wie sie
heißen, welche Pronomen sie für sich benutzen und wo sie Gott in der
vergangenen Woche gespürt haben. „Ich habe Gott gespürt, als ich seit
langem mal wieder durchgeschlafen habe“, sagt eine junge Frau in einer
gestreiften Latzhose. „Ich habe Gott gespürt, als ich gestern durch den
Park gelaufen bin und die Sonne schien“, sagt Jay und atmet tief ein und
aus. Jay lächelt breit und stimmt das erste Lied an.
## Trump, der Antichrist
Doch hinter Jays verschmitztem Lächeln steckt viel Sorge. Jay beobachtet
genau, wie rechte Kräfte in den USA am Christentum zerren. Präsident Donald
Trump, den Jay als „Antichrist“ bezeichnet, sagt Sätze wie: „Wir müssen die
Religion zurück nach Amerika bringen.“ Gemeint ist damit eine stark
national ausgerichtete Form des Christentums.
Trump präsentiert sich als Schirmherr der Gläubigen. Im Weißen Haus hat er
dafür ein Glaubensbüro und eine „Kommission für Religionsfreiheit“
geschaffen. Nach seinen Worten sind religiöse Menschen in den USA durch
behördliche Auflagen und liberale Wertvorstellungen bedrängt.
In westlichen Gesellschaften verliert Religion seit Jahren an Bedeutung –
auch in den USA setzt sich dieser Trend fort, wenn auch weniger stark als
in Westeuropa. Nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts Pew Research
Center, verstanden sich 1972 rund 90 Prozent der US-Amerikaner als
Christen, heute sind es nur noch knapp zwei Drittel.
Die Journalistin Annika Brockschmidt, die viel zu der religiösen Rechten in
den USA publiziert, sieht weißen, christlichen Nationalismus als
verbindendes Element unter Trumps evangelikalen Unterstützern. Für
besonders rechte Strömungen unter den Evangelikalen hat sich der Begriff
„Christian Nationalists“ (christliche Nationalisten) etabliert. Er
beschreibt das Zusammenkommen religiöser Hardliner und rechtskonservativer
Politiker.
## Kapitolsturm im Namen Gottes
Bei der Präsidentschaftswahl im November 2024 entfielen etwa 80 Prozent der
Stimmen weißer evangelikaler Wähler auf Trump. Sie sehen in ihm einen
Verteidiger ihres Glaubens in einer zunehmend vielfältigen Gesellschaft,
die traditionelle Geschlechterrollen, Wertvorstellungen und Machtstrukturen
hinterfragt. Viele religiöse Unterstützer bezeichnen Trump als
„Auserwählten“ – das überlebte Attentat während des Wahlkampfs 2024 gilt
ihnen als göttliches Zeichen.
Die sogenannten „Mainline“-Kirchen vertreten in den USA einen liberalen
Protestantismus. Dazu gehören die etablierten Volkskirchen der Lutheraner,
Methodisten, Presbyterianer und die Episkopalen. Zahlreiche dieser
Gemeinden haben gegen Migrantenabschiebungen und drastische Kürzungen der
Entwicklungshilfe protestiert. Mehr als ein Dutzend Kirchen sind
gerichtlich gegen die erweiterten Befugnisse der Einwanderungsbehörde „ICE“
vorgegangen. Den liberalen, christlichen Widerstand gegen Donald Trump und
seine Anhänger gibt es in den USA also. Seine Vertreter sind nur weniger
laut und haben weniger Mittel als Trumps Evangelikale.
Dass christlicher Nationalismus in den USA nicht bloß eine harmlose sehr
konservative Strömung innerhalb der Kirche ist, zeigte sich spätestens am
6. Januar 2021 als Trump-Anhänger [1][nach dessen Wahlniederlage das
Kapitol] stürmten. „Ein nicht unerheblicher Teil der Kapitolstürmer war
nach eigener Auffassung an diesem Tag im Namen des christlichen Glaubens
unterwegs“, sagt Jerry Gale, evangelisch-methodistischer Pastor aus
Minnesota. Als Gale im Fernsehen Bilder von Demonstrierenden sah, die
Schilder mit Donald Trump und Jesus zugleich hochhielten, erkannte er wie
radikal Teile der evangelikalen Bewegung in den USA inzwischen geworden
sind.
Daraufhin suchte Gale nach Gleichgesinnten, die mit ihm gegen den Einfluss
der christlichen Nationalisten ankämpfen. Und fand die Organisation
„Christians against Christian Nationalism“ (kurz: CACN). CACN hat seinen
Hauptsitz in Washington, D.C. – und in vielen Bundesstaaten entstehen
derzeit lokale Gruppen. Auch Jerry Gale gründete im Januar 2024 einen
Ableger von CACN in Minneapolis, der größten Stadt in Minnesota.
## Aufklären und beten
Mit dabei ist auch Terri Fishel, eine Pastorin mit kurzen grauen Haaren.
Ihr Engagement gegen christlichen Nationalismus begann, als sie [2][die
Rede von Mariann Edgar Budde], der Bischöfin der Episkopalkirche der USA zu
Trumps Amtseinführung hörte. Darin ermahnte Budde den US-Präsidenten, sein
Amt gewissenhaft und nach christlichen Werten auszuführen. Zentral sei
dabei der Schutz von Minderheiten. Ihre Predigt wurde von christlichen
Nationalisten scharf kritisiert und abfällig als „woke“ bezeichnet. „Diese
Rede war ein Erweckungsmoment für mich“, sagt Fishel. „Die
Rechtsaußen-Evangelikalen werden immer stärker, dagegen muss man etwas
tun.“
Der Minnesota-CACN-Gruppe geht es in ihrem ersten Jahr vor allem um
Aufklärung. Sie bieten unter anderem kostenlose Online-Seminare an, in
denen sie über die Gefahren von christlichem Nationalismus informieren.
Jerry Gale und Terri Fishel haben sich beispielsweise gegen den Einfluss
religiöser Hardliner in US-amerikanischen Schulen eingesetzt. „Evangelikale
Christinnen und Christen werden häufig in Schulvorstände gewählt, weil
national agierende, gut finanzierte konservative Organisationen große
Summen an Kandidaten spenden, die gegen progressive Bewerber antreten“,
sagt Terri Fishel.
Gemeinsam mit Jerry Gale organisierte sie einen Zoom-Abend in einem
Schulbezirk mit besonders umkämpften Vorstandspositionen. Sie erklärten,
warum Schulvorstandswahlen wichtig sind, wie man die Kandidierenden
voneinander unterscheiden kann – und ermutigten die Teilnehmenden, sich
aktiv einzubringen.
## Make Love Great Again
„Was uns am meisten von den christlichen Nationalisten unterscheidet“, sagt
Terri Fishel, „ist, dass deren Glaube auf Hass basiert und unserer auf
Liebe.“ So stünden laut Fishel bei den christlichen Nationalisten die USA
im Zentrum ihres Glaubens und nicht Jesus.
Der lutherische Pastor Rolf Olson, ebenfalls Mitglied von CACN-Minnesota,
sagt, christliche Nationalisten seien vor allem eine Bewegung, die gegen
Abtreibung, queere Menschen, Minderheiten und Migranten hetze – und den
christlichen Glauben als Vorwand dafür missbrauche. Aber Christinnen und
Christen schlössen sich zunehmend zusammen, um dem christlichen
Nationalismus etwas entgegenzusetzen. So gebe es noch mehr Gruppen wie
CACN: „Faithful America“, „Interfaith Alliance“, „Freedom from Religion
Foundation“ oder die „Americans United for Separation of Church and State“,
zählt Rolf Olson auf.
„Der Kampf gegen den christlichen Nationalismus in den USA wird immer
sichtbarer“, sagt Jerry Gale. „Aber wir kämpfen gegen eine große, reiche
Maschine.“ Gemeint sind wohlhabende Geldgeber, die die Evangelikalen
unterstützen und sich dadurch Einfluss auf die Politik erhoffen. Unter
Donald Trump scheint dieses Vorhaben aufzugehen.
Trump selbst, sein Vizepräsident JD Vance oder [3][sein Kriegsminister Pete
Hegseth] – sie alle schmücken sich mit christlichen Werten, um ihre Politik
durchzusetzen. Hegseth etwa ist eng mit dem radikal-konservativen
evangelikalen Netzwerk „Communion of Reformed Evangelical Churches“ (CREC)
verbunden. Seine öffentliche Selbstinszenierung – etwa durch Tattoos mit
Kreuzfahrersymbolik wie „Deus Vult“ (Gott will es) sowie entsprechende
politische Aussagen – unterstreicht seinen Anspruch, Religiosität und
staatliches Handeln eng zu verknüpfen.
## Die bröckelnde Trennung von Staat und Kirche
Die Trennung von Staat und Kirche galt in den USA lange Zeit als heilig,
fest in der Verfassung verankert. Kirchen sollten weitestgehend
unpolitische Räume sein. Doch diese Trennung bröckelt. Die US-Steuerbehörde
IRS hat im Sommer 2025 ihre jahrzehntelange Haltung zur politischen
Betätigung von Kirchen überraschend geändert. Dem Radiosender NPR zufolge
gibt die Behörde an, dass politische Äußerungen während Gottesdiensten
nicht mehr unter das bisherige Verbot fallen sollten.
Hintergrund ist das sogenannte „Johnson Amendment“, benannt nach
US-Präsident Lyndon B. Johnson aus den 1950er Jahren, das allen
gemeinnützigen Organisationen die Wahlkampfunterstützung untersagt. Rechte
Gruppen und texanische Kirchen hatten dagegen geklagt. Ihr Argument:
Während Zeitungen Kandidaten empfehlen dürfen, sind Kirchen und andere
religiöse Organisationen davon ausgeschlossen – das sei eine
Ungleichbehandlung.
Die US-Steuerbehörde lenkte ein: Gespräche über Politik in Gotteshäusern
seien Teil der Religionsfreiheit und nicht gleichzusetzen mit offizieller
Wahlkampfbeteiligung. Laut NPR hatte die Behörde in der Praxis Kirchen
wegen solcher Verstöße ohnehin kaum belangt.
Die Mehrheit der US-Amerikaner sieht politische Empfehlungen von der Kanzel
allerdings skeptisch. Umfragen zeigen, dass selbst unter weißen
Evangelikalen 62 Prozent dagegen sind, dass Kirchen ihre Steuerbefreiung
behalten und gleichzeitig Kandidaten unterstützen dürfen.
„Kirche sollte sich immer gegen soziale Ungerechtigkeit einsetzen“, findet
Terri Fishel. Für sie dürfen Predigten durchaus politisch sein – als
Christin hält sie es für zentral, dass Gemeinden sich für den Schutz von
Minderheiten und für eine offene Gesellschaft einsetzen. Wahlaufrufe von
der Kanzel, wie sie christlich-nationalistische Prediger häufig
aussprechen, gehen für sie jedoch deutlich zu weit.
## Selbsthilfe statt Missionierung
In der Lefty Church in Philadelphia ist der Blick auf das Christentum
insgesamt kritischer. Eine Teilnehmerin sagt: „Das Christentum hat der Welt
mehr Schlechtes als Gutes gebracht. Es war die Grundlage für Kolonialismus
und Religionskriege.“ Den Teilnehmenden der Lefty Church geht es daher auch
nicht darum, vom Glauben zu überzeugen oder explizit einen Kampf gegen
rechte Kräfte zu gewinnen. Der Treff ähnelt viel mehr einer
Selbsthilfegruppe.
Jay atmet wieder tief ein und aus. „Lasst uns füreinander beten“. Der Reihe
nach erzählen die Teilnehmenden, was sie beschäftigt. Es geht um den Suizid
eines Partners, der sich in diesen Tagen zum ersten Mal jährt. Es geht um
den Krebs der besten Freundin. Und um Liebeskummer. Die Gruppe betet für
jede einzelne Person.
Mit der lockigen Surferfrisur, den Tattoos und den lackierten Fingernägeln
sieht Jay nicht aus wie ein klassischer Pastor*in. Doch auch Jays Vater war
Pastor, seine gesamte Familie ist sehr religiös. Jay hat sich und das
christliche Umfeld immer wieder hinterfragt. Jay hatte Probleme damit, dass
in der Gemeinde viele den Irakkrieg unterstützt haben. Jay fand sich in der
US-amerikanischen Hyperkapitalisierung nicht zurecht und schloss sich im
College politischen Gruppen an. Sie besetzten die Wall Street,
organisierten Klimademos gegen Fracking. Häufig waren Kirchen in diese
Proteste involviert, die Gruppen trafen sich in Räumen der Gemeinde.
Jay arbeitete in der Flüchtlingshilfe in Kurdistan und in Palästina und
versuchte christliche Werte zu leben. Das oberste Prinzip, sagt Jay, sei
immer die Nächstenliebe. Seit ein paar Jahren ist Jay leitende*r
Pastor*in in einer Gemeinde. Queer und gleichzeitig Christ*in zu sein,
ist für Jay kein Widerspruch. „Gott hat nicht nur den Tag und die Nacht
geschaffen, sondern auch die Dämmerung. Gott hat nicht nur Land und Meer
geschaffen, sondern auch Schlamm“, sagt Jay und meint damit, dass es auch
für Personen wie Jay, die sich weder als männlich noch als weiblich
definieren, Platz in der Kirche gibt.
## Kämpfen statt aufgeben
Wenn man darauf achtet, sieht man viele Kirchen in den USA. Selten sind es
alte, prunkvolle Gebäude, die meisten sehen modern und schlicht aus.
Oftmals steht ein Schild vor der Kirche, das Menschen einlädt zu den
Veranstaltungen zu kommen. Viele der Ankündigungen betonen, dass Menschen
aller Art und Herkunft willkommen sind. Hin und wieder hängt auch eine
Regenbogenflagge über den Kirchen.
Es scheint, als würden es die Kirchen in den USA schaffen auch Menschen
anzusprechen, die keine konservativen christlichen Werte leben. Eine davon
ist KB. KB sagt von sich selbst, sie sei Sozialistin und queer. Sie
arbeitet für eine Gewerkschaft und mobilisiert zu Protesten. Gleichzeitig
ist sie angehende Pastorin in einer Kirche in einem Vorort von
Philadelphia.
KB und Ted Thompson, der Pfarrer, der sie ausbildet, gehören der „Trinity
Church“ in Swarthmore an. Vor Ort sieht es aus wie in vielen evangelischen
Gemeinden in Deutschland. Der Altersdurchschnitt der Kirchgänger liegt im
Schnitt über 70, die Liederbücher sind vergilbt, der Kaffee beim Kirchcafé
ist schwarz und dünn.
KB sagt: „Wir können nicht einfach sagen, die christliche Kirche in den USA
ist verloren, weil die evangelikalen, rechten Kräfte so stark sind. Wir
dürfen nicht aufgeben.“ Wenn KB nicht in der Trinity Church zum
Gottesdienst geht, ist sie manchmal in Jays Lefty Church.
Jay weiß, dass eine solche Runde nicht denselben Einfluss haben kann wie
eine evangelikale Großkirche, zu deren Gottesdiensten teilweise mehrere
Tausend Menschen kommen. Doch Jay sieht politisches Potenzial im liberalen
Christentum. Und der alternative Gottesdienst schafft zumindest einen Ort,
wo sich Menschen zugehörig und verstanden fühlen.
Diese Recherche wurde durch das Daniel-Haufler-Stipendium der taz Panter
Stiftung ermöglicht.
16 Dec 2025
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