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       # taz.de -- Verkehrspolitik: Das E-Auto, die Treuhand der Gegenwart
       
       > Verkehrspolitik ist eine Domäne von Technokraten und erzeugt Frust. Sie
       > sollte Gegenstand demokratischer Aushandlungsprozesse werden.
       
   IMG Bild: Verkehrspolitik ist zu sehr mit Symbolpolitik überladen
       
       Sie stehen in vielen Städten sinnbildlich für Streit um jeden Quadratmeter:
       [1][abgetrennte Fahrradspuren, abgesenkte Bordsteine, Poller, Parklets,
       also „Stadtmöbel“.] Wo früher Autos standen, sollen heute Menschen auf
       Paletten sitzen, wo bis vor Kurzem Autos parkten, sollen Kinder spielen.
       Dass Parklets nicht selten zu Müllhalden verkommen, ist dabei nur ein
       Detail in einem größeren Diskurs: Für die einen sind die Änderungen im
       Straßenbild ein sichtbares Zeichen für lebendige Stadtpolitik, für die
       anderen der Beweis, dass „die da oben“ Autofahrern Schritt für Schritt den
       Alltag schwer machen.
       
       Trotzdem gilt Verkehrspolitik dabei bisher eher als etwas Technisches:
       etwas für Ingenieur:innen, Verkehrsplaner, kommunale Dezernent:innen.
       Tatsächlich berührt sie aber Grundfragen von Freiheit, Gerechtigkeit und
       Wohlstand. Deutschland ist Transitland, Exportökonomie und über Jahrzehnte
       nicht nur im Verkehr, sondern auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt Autoland.
       Der Mittelstand ist auf verlässliche Logistik angewiesen, Millionen
       Menschen pendeln täglich zur Arbeit. Kaum ein Politikfeld greift so direkt
       in Routinen und Lebensentwürfe ein – und eignet sich damit so sehr als
       Bühne für Populismus.
       
       Unsere erste These lautet in diesem Zusammenhang: Verkehrspolitik ist
       überladen mit Symbolik. Ökonomisch lassen sich viele Fragen nüchtern
       beschreiben: Lärm, Staus und Emissionen sind negative externe Effekte,
       Fehlinvestitionen wirken über Jahrzehnte nach. Politisch wird daraus ein
       Kulturkampf. Parklets und Pop-up-Radwege stehen nicht nur für eine andere
       Flächenaufteilung, sondern für das Gefühl, [2][dass eine urbane Minderheit
       nicht nur Lebensrealität, sondern auch die Lebensleistung vieler Bürger
       abwertet]. Das „Verbrennerverbot“ scheint in manchen Kreisen ähnliche
       Ohnmachtsgefühle auszulösen, [3][wie es vielen Ostdeutschen im Zuge der
       wirtschaftlichen Umbrüche in der Nachwendezeit widerfuhr]. So wie zuweilen
       auf Kritik an der DDR allergische Reaktionen folgen, scheint es auch im
       Mobilitätssektor zu funktionieren: E-Fahrzeuge als „Treuhand“ der 2020er
       Jahre.
       
       Zweite These: Psychologie und Anreizstrukturen verzerren, wie wir
       Verkehrspolitik wahrnehmen. Die Forschung zeigt, dass sichtbare,
       alltagsnahe Themen politische Entscheidungen von Wählern überproportional
       prägen. Wer täglich im Stau steht oder mit dem Rad an der vierten
       Baustellenampel wartet, macht Verkehrspolitik eher zur Wahlentscheidung,
       auch wenn Klimaschutz, Löhne oder soziale Sicherung objektiv wichtiger
       wären. Zugleich wechseln Menschen ständig die Rolle: mal Autofahrer, mal
       Fußgänger, mal ÖPNV-Nutzer, mal Elternteil mit Kinderwagen. In jeder Rolle
       werden andere Kosten und Zumutungen erlebt, und jede Seite neigt dazu, das
       eigene Verhalten zu idealisieren und die anderen zu problematisieren.
       
       Aufseiten der Politik wirken ähnliche Verzerrungen. Kommunalpolitiker
       tragen für Fehlentscheidungen im Verkehr selten unmittelbare Verantwortung.
       Anders als die Kioskbetreiberin, die ohne Kundenparkplatz schnell
       Umsatzeinbrüche spürt, erleben sie die ökonomischen Folgen schlecht
       gesetzter Anreize nur indirekt. Zuständigkeiten sind zwischen Kommune,
       Land, Bund und Verkehrsbetrieben zersplittert, Förderprogramme sind
       kompliziert, Legislaturperioden vergleichsweise kurz. Das begünstigt
       symbolische Politik: lieber ein sichtbares Projekt mit schöner
       Pressemitteilung als das mühsame Feilen an Tarifen, Taktungen und
       Baustellenmanagement.
       
       Und zuletzt kollidieren bei vielen städtebaulichen Maßnahmen oft
       kurzfristige Änderungen der Verwaltung mit langfristigen
       Konsumentscheidungen der Bürger:innen: Wer sich für ein Auto entscheidet,
       um zur Arbeit zu kommen, tätigt eine Investition für viele Jahre. Fallen
       dann die Parkplätze vor dem eigenen Wohnblock weg, wird die
       Kaufentscheidung zu einem Problem. Umgekehrt ist es ähnlich: Schafft man
       das Auto ab, um sich voll und ganz auf den ÖPNV zu verlassen, [4][und wird
       dann die Taktung ausgedünnt], wird aus der Verkehrswende schnell Verdruss.
       Was für Politiker:innen und Planer wie ein kleiner Eingriff wirkt,
       kann Bürger:innen nachhaltig frustrieren und für populistische
       Scheinlösungen öffnen.
       
       Unsere dritte These lautet deshalb: Verkehrspolitik sollte ein Prärogativ,
       also ein Vorrecht, demokratischer Aushandlung sein. Gerade weil es um
       knappen Raum, reale Zeitverluste und Verteilungskämpfe geht, taugt sie
       nicht für technokratische Abkürzungen. Expertengremien und Gerichte können
       helfen, Fakten zu sortieren und Rechte zu schützen. Doch die Entscheidung,
       wie viel Platz Autos, Fahrräder, Lieferverkehr und Aufenthaltsqualität
       bekommen, lässt sich nicht „objektiv“ berechnen. Sie muss transparent und
       streitbar politisch getroffen werden und die Langfristigkeit und
       (Ir)reversibilität individueller Konsumentscheidungen mitdenken.
       
       Eine liberale Demokratie darf diesen Konflikten nicht ausweichen. Sie muss
       offenlegen, welche Zielkonflikte es gibt, welche Gruppen gewinnen, welche
       verlieren und aushandeln, welche Kompromisse wem zumutbar sind. Dazu
       gehören Verfahren, in denen Betroffene nicht nur informiert, sondern
       tatsächlich beteiligt werden: vor Ort, konkret, mit Einblick in Zahlen und
       Nebenwirkungen. Verkehrspolitik entscheidet über mehr als Haltestellen,
       Fahrpläne und Stellplätze. Sie entscheidet darüber, ob Bürger den Eindruck
       haben, dass ihre Lebensentwürfe von der Politik gesehen und respektiert
       werden. Wo dies tatsächlich passiert, sinkt die Versuchung, in Parklets
       oder D-Tickets nur den nächsten Beweis für Bevormundung zu sehen. Wo er
       fehlt, werden selbst kleine Maßnahmen zur Projektionsfläche tief sitzenden
       Frusts und Katalysatoren für Populismusoffenheit.
       
       Gerade deshalb liegt in der Verkehrspolitik unterschätztes Potenzial für
       die Demokratie: Sie zwingt uns, über Freiheit, Verantwortung und Fairness
       nicht abstrakt zu streiten, sondern dort, wo es buchstäblich eng wird: auf
       der Fahrbahn, auf dem Radweg, am Bahnsteig. Wie wir diesen Streit
       organisieren, sagt am Ende mehr über den Zustand unserer Demokratie aus als
       die Frage, ob am Ende ein Parklet oder ein Parkplatz steht.
       
       14 Dec 2025
       
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   DIR [1] /Verkehrswende-in-Berlin-Lichtenberg/!6089082
   DIR [2] https://www.n-tv.de/politik/Gruene-blasen-zum-Klassenkampf-fuer-den-Klimaschutz-id30086879.html
   DIR [3] /Debatte-um-DDR-Geschichte/!5935607
   DIR [4] https://www.maz-online.de/brandenburg/regionalbahnen-in-brandenburg-vbb-streicht-linien-re3-wird-ausgebaut-O6DSV3LCQ5FTBA5ODGWCAC74OM.html
       
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