# taz.de -- „Lecken 3000“ am Wiener Burgtheater: Kein Gossip der Community
> In schnellen Szenen und mit hohem Sprechtempo verhandelt „Lecken 3000“
> von Autor*in lynn t musiol im Wiener Burgtheater Gewalt in queeren
> Beziehungen.
IMG Bild: Aufarbeitung einer alten Beziehung: Ari (Azaria Dowuona-Hammond) und ihre Ex-Lehrerin Ute (Alexandra Henkel)
Auf der Ausstellungseröffnung einer Freundin bekommt Protagonistin Ari
(Azaria Dowuona-Hammond) plötzlich eine Panikattacke. Ihre ehemalige
Lehrerin hatte ihr zum ersten Mal nach zehn Jahren eine SMS geschickt. Die
außergewöhnlich enge und sexuell geladene Beziehung der jugendlichen Ari zu
ihrer Lehrerin Ute (Alexandra Henkel) ist Aris Freundeskreis bekannt und
der teilt ihr in einer fast schon vorwurfsvollen Härte auch mit, für was er
das Verhältnis hält: Missbrauch.
Ari aber hadert zunächst mit der Aneignung dieses Worts – zu sehr bindet
sie noch die Bewunderung, die Jugendliebe und die Förderung, die sie durch
Ute erfahren hat, an ihre ehemalige Lehrerin. Ari geht dann den Schritt,
den wohl eher die wenigsten Betroffenen gehen, und konfrontiert Ute in
ihrem Heimatort.
Auf der kleinen Bühne des Vestibüls [1][im Burgtheater Wien] geht es in
einem schnellen Erzähl- und Sprechtempo durch den Text von
Theaterautor*in lynn t musiol – und durch Aris Gefühle und
Erinnerungen. Während Ari beginnt, sich mit ihrer Vergangenheit
auseinanderzusetzen, kommen auch ihre Freundinnen vor, die mitfühlend, aber
zunächst oft ungeduldig sind, sie erst nicht hören wollen oder ihre eigenen
Geschichten erzählen, statt Ari Raum zu geben.
Dadurch öffnet sich ein breites, wenn auch teils nur episodenhaft
angedeutetes Spektrum an verschiedenen Erfahrungen von Queerfeindlichkeit,
von positiver Diskriminierung und von Machtmissbrauch. Diese Fülle an
Facetten, Abschweifungen und Andeutungen macht die Inszenierung von „Lecken
3000“ sehr eindrücklich, obgleich nicht alles an diesem Abend im
Burgtheater einfach zu verdauen ist.
## Springen zwischen Tragik und Realismus
„Lecken 3000“, inszeniert vom jungen Regisseur Claus Nicolai Six, lebt
dabei vom Text. Der springt zwischen Tragik, Realismus und Komik hin und
her. Seinen Witz erhält der Text vor allem durch teils ausufernde Einschübe
voller Jugendsprache, selbstironischer queerer Klischees (Crush auf Gillian
Anderson) sowie distanzierter und ebenso selbstironischer narrativer
Kommentare.
Auch das Kostüm (Marie Therese Fritz) und das Bühnenbild (Julia
Rosenberger) geben dem Publikum etwas Abstand zu der Schwere und der
Gewalt, die das Stück verhandelt. Die großen aufblasbaren, glänzend-bunten
Objekte auf der Bühne, mal als sexy Auto-Kunst-Objekte inszeniert, mal als
gigantische Tasche, sowie die dazu passenden Kunstlederkostüme, erzählen
visuell eine etwas andere Geschichte als der Text. Diese Geschichte ist
eher eine über „Queer Joy“, über die Freude [2][an der eigenen queeren
Identität], wie sie sich frei von und trotz Trauma, Gewalt und
Diskriminierung entfalten kann.
Derart wird auch der titelgebende fiktive Club „Lecken 3000“ beschrieben:
Die „große Schwester des Ficken 3000“ (des bekannten Gay Clubs in Berlin),
wo man sich so gut vergessen kann, „dass sich alle wünschen, queer zu
sein“. Innerhalb des freudigen Lebens, Liebens und Begehrens brechen die
Erlebnisse von Gewalt immer wieder in die Gespräche ein, während sie im
Club tanzen, beim Sex und bei der Ausstellungseröffnung.
Im Club wird dann auch eine der Kernfragen des Abends diskutiert: die des
öffentlichen Sprechens über Gewalterfahrungen, ohne dass sich dadurch
homophobe Klischees bestätigen und ohne dass sie zum „Gossip der Community“
oder aber auf Kosten von anderen Betroffenen zu profitablen Geschichten
werden, beispielsweise als Buch – oder eben als Theaterstück.
## Verdrehter Vorwurf der Ex-Lehrerin
Dass Gewalterfahrungen in der Queer-Szene auch eine perverse Faszination
hervorrufen können oder sensationalisiert werden, scheint immer wieder
anklagend durch die Szenen hindurch. Am Ende spricht dies gar die
Ex-Lehrerin und mittlerweile offen lesbische Ute als verdrehten Vorwurf
direkt aus. Die subtilen Mechanismen verbaler Gewalt auszuerzählen, gelingt
dem Stück besonders in den Gesprächen zwischen Ute und Ari. Solche Szenen
sind vergleichsweise ruhig und ihre Dialoge feinsinnig gebaut, es entsteht
genügend Raum für Nuancen.
„Lecken 3000“, das in diesem Jahr den [3][Retzhofer Dramapreis] gewann, ist
ein mutiges Stück mit viel Anspruch. Wohl nur durch die Schnelle des Texts
vermag es, auch alles auszudrücken, was Autor*in lynn t musiol inhaltlich
auseinandernimmt. Und es ist ein sehr queeres Stück: sexy und witzig und
traurig und albern und sehr ernst. Und am Ende auch optimistisch: dass sich
das Erzählen lohnt und dass „Queer Joy“, auch trotz aller Gewalt, möglich
ist.
14 Dec 2025
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## AUTOREN
DIR Liese Schmidt
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