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       # taz.de -- Die Wahrheit: Nerven kitzelnde Vögel
       
       > Nur wenige Freizeitbeschäftigungen werden so gehässig verspottet wie die
       > Ornithologie, aber manche Menschen sind leidenschaftliche
       > Vogelbeobachter.
       
       Sie sprechen in ehrfürchtigen Tönen und leisem Flüstern und können mit
       übernatürlicher Stille über ein Laubbett gleiten, behauptet die
       Schriftstellerin Natalie Kyriacou in ihrem Buch „Nature’s Last Dance“. Sie
       handhaben Ferngläser mit der Nonchalance eines Sommeliers, der einen Dom
       Pérignon verkostet. Sie können endlose Stunden im Gebüsch kauern. Die Rede
       ist von Vogelbeobachtern.
       
       Der kürzlich verstorbene Magnum-Fotograf Martin Parr sagte, dass ihm seine
       obsessive Veranlagung von seinen Eltern vererbt wurde. Als Teenager musste
       er sie samstags regelmäßig zur Kläranlage in Hersham begleiten, wo sie
       Netze aufspannten, um Zugvögel zu fangen. Die wurden beringt, um ihre
       Wanderungen zu verfolgen.
       
       Man sieht es einem Menschen nicht an, ob er ein Vogelfreund ist. Neulich
       bekam ich eine Mail vom taz-Witzbildchenzeichner ©Tom mit dem Foto eines
       Habichts, der auf einer Telefonleitung saß. „Die Spatzen haben Angst vor
       dem Habicht“, fachsimpelte ©Tom, „weil er ein Flugjäger ist und sich
       hauptsächlich von anderen Vögeln ernährt.“ Er beobachte das schon lange.
       
       Einer der berühmtesten Birdwatcher war Robert Stroud, der „Vogelmensch von
       Alcatraz“, einer der berüchtigtsten Mörder der Vereinigten Staaten. Während
       seiner Zeit im Leavenworth-Gefängnis züchtete und verkaufte er Vögel und
       wurde zu einem angesehenen Ornithologen. Sein Leben wurde von John
       Frankenheimer unter dem Titel „Der Gefangene von Alcatraz“ verfilmt, die
       Hauptrolle spielte Bird Lancaster.
       
       In unserem Nachbarort an der irischen Westküste gibt es ein winziges
       überwuchertes Fleckchen am Ufer, in dem die Gummistiefler gern auf Posten
       gehen. Auf einer Webseite notieren sie ihre Beobachtungen: „2. 12., 12:24
       Uhr – Glanzibis.“ Das ist ein großer, langbeiniger Watvogel mit einem
       fußballförmigen Körper. Am nächsten Tag wurde es noch aufregender: „3. 12.,
       11:58 Uhr – Sandstrandläufer.“ Im Sommer kann man Tausende von ihnen
       beobachten, man nennt sie auch Touristen.
       
       Birdwatching ist eine für Außenstehende völlig unverständliche Aktivität,
       nur wenige Freizeitbeschäftigungen werden so gehässig verspottet.
       Vogelbeobachter sind unerschütterliche Optimisten. Sie glauben, dass es
       irgendwo da draußen einen Vogel gibt, den sie noch nie gesehen haben. Sie
       sind überall und katalogisieren still und leise ein Rotkehlchen nach dem
       anderen. Man sagt ihnen nach, schreibt Kyriacou, dass sie beim geringsten
       Gerücht über die Sichtung eines seltenen Vogels Hochzeiten, Karrieren und
       sogar Kindsgeburten sausen lassen, um einen flüchtigen Blick auf eine
       Goldflügel-Waldsängerin zu erhaschen.
       
       Vogelbeobachtung ist aber nicht nur ein Hobby. Es ist ein Lebensstil, wie
       gedämpfte Laufschuhe. Vielleicht muss ich mich umorientieren. Gummistiefel
       und ein Fernglas besitze ich bereits.
       
       15 Dec 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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