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       # taz.de -- Aufmerksamkeitsdefizit bei Erwachsenen: Zahl der ADHS-Diagnosen verdreifacht
       
       > Höhere Sensibilisierung, dazu noch Corona: Insbesondere seit 2021 leiden
       > immer mehr Erwachsene unter Aufmerksamkeitsdefiziten.
       
   IMG Bild: Die Gedanken fahren Karussell: So beschreiben Erwachsene ihre ADHS-Erkrankung
       
       dpa | Deutlich mehr Erwachsene in Deutschland erhalten heute eine
       Erstdiagnose für Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen
       (ADHS) als noch vor zehn Jahren. Die Inzidenz, also die Zahl der
       Erstdiagnosen pro 10.000 gesetzlich Krankenversicherten, ist von 2015 bis
       2024 um 199 Prozent gestiegen – von rund 8,6 auf 25,7 pro 10.000, wie eine
       Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung zeigt, die
       im Deutschen Ärzteblatt International veröffentlicht wurde.
       
       Der Anstieg ist kein rein deutsches Phänomen. In der kanadischen Provinz
       Ontario zum Beispiel ist die Zahl der jährlichen Verschreibungen von
       ADHS-Medikamenten zwischen 2015 und 2023 um 157 Prozent gestiegen, wie eine
       Studie zeigt.
       
       Die Auswertung im Ärzteblatt beruht auf Abrechnungsdaten gesetzlich
       Krankenversicherter ab 18 Jahren. Es wurden Daten von 17 Kassenärztlichen
       Vereinigungen verwendet. Die Daten für 2024 seien vorläufig, da noch nicht
       alle Erstdiagnosen validiert seien, hieß es.
       
       Als erstmalig diagnostizierter Fall in einem Untersuchungsjahr gelten
       Versicherte, die in den zwei Jahren zuvor keine Diagnose erhalten haben.
       Außerdem muss die Diagnose als gesichert gekennzeichnet und dokumentiert
       sein. Den Kriterien nach kann es also sein, dass die untersuchten Patienten
       nach längerer Pause erneut, aber nicht zum ersten Mal mit ADHS
       diagnostiziert wurden.
       
       ## Mädchen mit ADHS fallen oft später auf
       
       Unter 40-Jährige hatten im gesamten Zeitraum die höchste Rate an
       Neudiagnosen. Bei Männern lag die Inzidenz höher als bei Frauen, unabhängig
       vom Alter. Im Laufe der Jahre wurde der Unterschied zwischen Männern und
       Frauen aber immer geringer, 2024 waren sie fast gleich auf. Laut der Studie
       sei anzunehmen, dass der Symptombeginn bei vielen Fällen deutlich früher
       lag und es sich größtenteils um verspätete Erstdiagnosen handele. Das
       heißt: Die Betroffenen hatten schon in ihrer Kindheit ADHS, haben aber
       keine Diagnose erhalten.
       
       Bei weiblichen Betroffenen sei bekannt, dass sie im Kindesalter weniger
       auffielen, erklärte Swantje Matthies vom Universitätsklinikum Freiburg, die
       selbst nicht an der Analyse beteiligt war. Sie würden daher seltener
       diagnostiziert. Dass sie erst im Erwachsenenalter eine Erstdiagnose
       erhielten, sei für Mädchen und Frauen daher besonders plausibel.
       
       Auffällig ist der besonders starke Anstieg der Zahl der Erstdiagnosen seit
       2021, von seinerzeit 12,7 auf nun eben 25,7 pro 10.000 gesetzlich
       Krankenversicherten. Die Studienautoren haben dafür mehrere Erklärungen.
       Zum einen sei es möglich, dass in der Gesellschaft eine [1][höhere
       Sensibilisierung für die Krankheit] herrsche.
       
       Zum anderen sei 2019 aber auch ein neuer Diagnosecode eingeführt worden.
       Fälle, die es möglicherweise schon früher gab, könnten dadurch nun
       sichtbarer sein, weil sie besser erfasst werden. Ein weiterer Faktor
       könnten die Corona-Pandemie und die Auswirkungen auf die Psyche sein.
       
       Da ADHS mit einem erheblichen Leidensdruck verbunden sei und Auswirkungen
       auf die Lebensqualität habe, schätzen die Autoren den Anstieg der
       Neudiagnosen als positiv ein – weil dadurch mehr Betroffene eine Therapie
       machten.
       
       ## Großes Thema in den sozialen Medien
       
       In den Medien [2][bekomme die Krankheit viel Aufmerksamkeit], sagte Swantje
       Matthies. „Dabei besteht auch die Gefahr, dass das Konzept ‚verwässert‘
       wird. Es ist möglich, dass Menschen sich mit ADHS-typischen Eigenschaften,
       Merkmalen und Erfahrungsberichten identifizieren, obgleich sie nicht die
       diagnostischen Kriterien erfüllen.“ Eine Diagnose erfordere eine
       ausführliche Anamnese und Beurteilung durch Fachleute.
       
       Soziale Medien hätten zwei Seiten, sagte Alexandra Philipsen vom
       Universitätsklinikum Bonn. „Einerseits können Inhalte die Sensibilität für
       ADHS steigern. Andererseits könnten sie die Schwelle senken, sich anhand
       einer fälschlichen Selbstdiagnose in einer Diagnostik vorzustellen. Es wäre
       schön, die Aufklärung in sozialen Medien gemeinsam mit Fachleuten zu machen
       und zusammen Formate zu schaffen.“
       
       Typische ADHS-Symptome sind starke Aufmerksamkeits- und
       Konzentrationsstörungen, starke Impulsivität und [3][ausgeprägte
       körperliche Unruhe (Hyperaktivität)]. Die Symptome können unterschiedlich
       stark sein und müssen nicht alle gleichzeitig auftreten. Damit wirklich von
       ADHS gesprochen werden kann, müssen die Auffälligkeiten mindestens sechs
       Monate und in verschiedenen Lebensbereichen auftreten und den Betroffen
       beeinträchtigen, wie das Gesundheitsministerium erklärt.
       
       ## Therapie mit Medikamenten
       
       Nicht jeder Mensch mit ADHS-Diagnose brauche eine Therapie, meint Andreas
       Reif vom Universitätsklinikum Frankfurt. Wenn eine Behandlung nötig sei,
       sei im Erwachsenenalter eine Therapie mit Medikamenten seiner Ansicht nach
       die erste Wahl.
       
       Wie stark die Rate der Neudiagnose weiter steigt, hängt Reif zufolge davon
       ab, inwieweit die Patienten bereits im Kindes- und Jugendalter korrekt
       identifiziert werden. In den USA etwa näherten sich der Anteil der Menschen
       mit ADHS und der Anteil der Menschen mit ADHS-Diagnose immer weiter an.
       „Das ist auch das Ende einer Steigerung der Diagnoseraten – eine solche
       Annäherung würde ich auch für Deutschland erwarten.“ Experten gehen davon
       aus, dass etwa 2,5 Prozent der Erwachsenen in Deutschland ADHS haben.
       
       12 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
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