# taz.de -- Punk-Geschichtsschreibung in Hamburg: Und noch einmal zurück zum Beton
> Die Veranstaltung „Alles bleibt gut“ feiert mit Fotos und Konzerten 45
> Jahre Punk, Avantgarde und NDW in Hamburg – und bleibt ein Versprechen
> schuldig.
IMG Bild: Der darstellende Künstler und menschliche Flammenwerfer Kain Karawahn, 1983 auf der Hamburger Reeperbahn
Auf halber Strecke, gut zwanzig Meter weit oben im Hamburger Nachthimmel,
trifft einen der Gedanke nicht wie eine Granate, aber doch recht hart: Wenn
Punk, laut Zeitrechnung der Veranstalter, 1980 nach Hamburg kam, dann war
dieser Weltkriegsbunker, auf dessen Dach man sich gerade befindet, damals
einige Jahre jünger als das Musikgenre heute.
Die passend nach dem Hitler-Widerständler getaufte Georg Elser Halle, die
sich in [1][der kürzlich fertig gebauten Aufstockung] des Flakturms auf St.
Pauli befindet, wird über den sogenannten Bergpfad erreicht. Der rankt sich
einen halben Kilometer lang um den zum Kulturbunker umgebauten Betonklotz
nach oben. Und so ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass dieser mit
„45 Jahre Punk, Avantgarde, NDW“ überschriebene Abend, nicht allzu üppig
besucht ist, bei einer recht hohen Dichte an Nordic Walking Stöcken und
anderen Gehhilfen.
Versprochen wurde unter dem angesichts der Weltlage mutigen Titel „Alles
bleibt gut“ eine Kombination aus Fotoausstellung und Minifestival. Die Idee
stammt von Jan Riephoff, Fotograf und Zeitzeuge. Wie viele nutzte auch er
den Lockdown zum Aufräumen. Zeit war da, zu Ordnendes auch. Beim Sichten
seiner alten Fotos hob Riephoff vergessene Schätze. Auch einiges aus
Hamburgs Bermuda-Dreieck der 80er Jahre zwischen dem Live- und Tanz-Club
Kir und den Trinktreffs Luxor und Subito.
Aber auch viel anderes, wie die riesige Banderole aus Dutzenden groß
aufgezogenen Fotos rund um die geräumige Elser Halle zeigt: Alfred Hilsberg
unterm Weihnachtsbaum, Yello beim Golfen, Rio Reiser in voller Schönheit,
Blixa Bargeld als Bürgerschreck, die jugendlichen Brüder Diederichsen,
Bernd Begemann im Saunalook … Viele dieser Leute sind noch heute aktiv,
warum nicht die Bilder zusammen mit ihrer Musik präsentieren, dachte sich
Riephoff.
## Wie, wo, was Avantgarde?
Den Auftakt macht Tommy Schmidt, als Pontor Vodox offensichtlich für
„Avantgarde“ im Untertitel gebucht. Seiner Mischung aus Free Jazz und Heavy
Metal, dargeboten als Solist mit maximal verzerrter und verstimmter Gitarre
und einem Mad-Max-artigen Stahl-Iro-Helm, konnte nicht mal der Tröt-Pabst
Peter Brötzmann etwas abgewinnen. Es geht um den unmittelbaren, den nicht
formatierten Ausdruck, und das ist theoretisch weit interessanter als
praktisch.
Es folgt Andrew Unruh, Gründungsmitglied der Einstürzenden Neubauten, der
für seinen „Beating the Drums“-Auftritt ein beachtliches Mitmach-Angebot
auffährt. Etliche Schlagzeugtische werden in der Halle aufgebaut. Das
Publikum kann selbst zum Drumstick greifen.
Kaum fahren Unruh und sein Kompagnon auf der Bühne das erste,
Liaisons-dangereuses-inspirierte Stück hoch, wechselt die Stimmung davor zu
einem Trommelworkshop für Hard-Synth-Beats der frühen 80er. Zum Finale mit
„Ça plane pour moi“ ertappt man sich dann bei der Frage, was das denn hier
mit dem Veranstaltungstitel zu tun hat.
Mit Punk, Avantgarde und NDW hatten die Zimmermänner schon damals nichts am
Hut. Sie starteten mit Ska und besetzten dann bald die Pop-Außenstelle im
Repertoire von Zick Zack, dem Label [2][Alfred Hilsbergs], der das
Geschehen von gleich mehreren Fotos aufmerksam beäugt. Heute spielen sie
ein „Soul & Funk Set anno 1983“ verkündet Detlef Diederichsen, der sich mit
Timo Blunck die dazu passenden federleichten Gitarrenriffs zuwirft.
Vielleicht die einzige der frühen Zick-Zack-Bands, die sich tatsächlich am
Singen versucht hat, und ganz sicher die einzige, die dabei Schneverdingen
erwähnt.
## Bernd Begemann und Die Antwort
Bernd Begemann und Die Antwort steigern die Stimmung mit ihrer eigenen Art
von Power-Pop. Aber auch die Fragen: Wo läuft hier der rote Faden? Als Die
Antwort sich 1985 gründeten, sprach niemand mehr von Punk oder NDW. Auch
zwischen den durchweg exzellenten Fotos tauchen mehr und mehr Fragezeichen
auf. Passt der Rotwein-Troubadour Nikki Sudden in diese Runde? Was macht
die gut gekämmte Mod-Band Chocolate Factory hier? Ist es vielleicht doch
eher eine Werkschau von Riephoffs Subkultur-Fotos, verlängert um
befreundete Bands?
Was völlig okay wäre, wenn der Titel nicht anderes versprochen hätte. Und
es über die Jahre nicht eine Reihe solider Rückschauen auf die Gründerjahre
der deutschen Gegenkultur gegeben hätte. Die Düsseldorfer Ausstellung
[3][Zurück zum Beton] legte die Latte schon vor über 20 Jahren hoch. 2020
dokumentierte das Buch „Hamburg Calling“ die Sturm-und-Drang-Zeit an der
Elbe in Wort und Bild.
Neben diesen und weiteren Anstrengungen wirkt der Abend unfokussiert und
die immer spärlicher besetzten Reihen wie kein Wunder. Als [4][Mona Mur]
nach einem düster-schweren Abschluss-Set in den weitgehend leeren Saal
ruft: „Habt noch ’ne wunderbare Party“, ist der Zynismus kaum zu überhören.
15 Dec 2025
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Gregor Kessler
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