# taz.de -- Gewalt im Westjordanland: Siedler greifen Aktivist*innen an
> In einem palästinensischen Dorf sollen israelische Siedler:innen drei
> Italiener und eine Kanadierin zusammengeschlagen haben. Ein Aktivist
> berichtet.
IMG Bild: Beispiel für die Gewalt israelischer Siedler im Westjordanland: Angriff auf palästinensische Bauern am 29. Oktober
Verletzungen und Blutergüsse an Gesicht, Brust und Genitalien, eine offene
Lippe: Das sind die Ergebnisse einer Attacke auf drei italienische und eine
kanadische Friedensaktivist*in im Westjordanland. Der Angriff
ereignete sich am 30. November in Ein al-Duyuk, einem Dorf nahe Jericho.
Italiens Außenminister Antonio Tajani bestätigte den Vorfall.
Eines der Opfer, ein 28-jähriger Italiener, der seinen Namen nicht
preisgeben möchte und den wir Mario nennen werden, zeigt im Videoanruf eine
Woche später eine Narbe an seiner Lippe. Laut den Aktivist*innen seien
die Angreifer aus einer israelischen Siedlung gekommen, wenige Kilometer
von dem palästinensischen Dorf entfernt.
„Es war 4 Uhr, 4:30 Uhr etwa. Wir schliefen alle, unsere Nachtwache war um
3 Uhr zu Ende. Das Mädchen, das im vorderen Raum schlief, hat draußen
plötzlich eine Stimme gehört“, erzählt Mario. „Italiener, Italiener, kommt!
Juden, Juden!“, habe jemand im gebrochenen Englisch gerufen, als ob er
Hilfe bei einem Siedlerangriff fordert. Die Aktivist*innen öffnen die
Tür. Ein Fehler.
Vor ihnen stehen zehn maskierte Siedler, zwei mit Gewehren bewaffnet,
einige mit Stöcken. Sie verschaffen sich Zutritt zum Haus, greifen die vier
jungen Menschen an, verteilen sie in zwei Zimmer, treten und schlagen sie.
## Neue Qualität der Gewalt gegen Aktivist*innen
„Das kanadische Mädchen hat versucht, sie zu filmen und sie haben ihr das
Smartphone mit einem Schlag aus den Händen gerissen. Mich haben sie
mehrfach geschlagen und getreten, als ich am Boden lag. Zwei, drei Männer,
abwechselnd“, so der Aktivist. In dem anderen Zimmer schreien derweil die
Frauen, Mario sorgt sich um seine Mitstreiterinnen. „Als die Männer
aufgehört haben, habe ich versucht, in den anderen Raum zu gehen, aber der
Typ mit dem Gewehr hat mir den Weg versperrt und mich zurückgedrängt. Dann
hat es wieder angefangen.“
Die mutmaßlichen Siedler versprühen dann eine Substanz, die nach Alkohol
riecht. Mario bekommt Angst, dass sie sie anzünden wollen. Dann gehen die
Männer jedoch weg – nicht ohne davor Geldbeutel, Ausweise und Rücksäcke zu
stehlen. Danach fahren Dorfbewohner die Verletzten ins Krankenhaus nach
Jericho.
Mario hat das alles in den letzten Tagen schon zigmal erzählt. Das
Interesse der Presse ist groß. Denn in der Regel sind es
Palästinenser*innen, die bei Siedlerangriffen verwundet werden. Zwar hatte
es, vor allem in den letzten Monaten, zunehmend Angriffe auf westliche
Pressevertreter*innen gegeben, die Palästinenser*innen
begleiten und Attacken dokumentieren. Doch gezielte Angriffe auf
Ausländer*innen gab es bislang kaum.
Eine Anfrage an Israels Polizei und Militär, ob Verdächtige gefasst wurden,
blieb bislang unbeantwortet. Ebenso wie eine Anfrage zur Anzahl
angegriffener Aktivist*innen in den letzten Jahren. Das Dorf Ein
al-Duyuk selbst befindet sich im A-Gebiet des Westjordanlands, der Zone,
die unter palästinensischer Kontrolle steht. Laut UN haben radikale Siedler
hier in den vergangenen zwei Monaten [1][ihre Angriffe intensiviert]. Die
palästinensische Polizei äußerte sich auf Nachfrage nicht dazu.
## Gewalt nimmt generell zu
Der Vorfall Ende November bildet indes nur die Spitze eines Eisbergs: Seit
Beginn des Gaza-Kriegs haben Siedlerüberfälle deutlich zugenommen. Laut dem
UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) gab es
2025 im Schnitt fünf Angriffe pro Tag in über 270 Gemeinden.
Dazwischen stehen oft die Friedensaktivist*innen. Sie begleiten
palästinensische Hirt*innen, helfen [2][bei der Olivenernte],
dokumentieren, halten wie in diesem Fall Nachtwache in Dörfern. Sie selbst
werden dabei oft durch die Macht ihrer Reisepässe geschützt. Bis jetzt.
Die Organisation Faz3a, mit der die Italiener*innen unterwegs waren,
bestätigt: „Die Anwesenheit von internationalen Aktivisten wirkt offenbar
nicht mehr als Abschreckung gegen die Gewalt der Siedler.“ Es sei in der
Tat das erste Mal, dass internationale Ehrenamtliche gezielt ins Visier
genommen worden seien. Gleichzeitig [3][nehme die Gewalt allgemein zu].
Teilweise unter den Augen israelischer Soldat*innen.
Immer wieder werfen Menschenrechtsorganisationen und Betroffene dem Militär
vor, nicht genug gegen gewalttätige Siedler zu unternehmen, diese teilweise
sogar zu unterstützen. Die Streitkräfte antworten darauf immer wieder, sie
seien für den Schutz der gesamten Bevölkerung da und [4][Verstöße in den
eigenen Reihen] würden geahndet.
## Abschiebungen und Restriktionen bei Visavergabe
Jüngst sorgte die Abschiebung von 32 ausländischen Aktivist*innen, die im
Westjordanland bei der Olivenernte helfen wollten, für Schlagzeilen. Das
israelische Militär erklärte, die Abgeschobenen hätten das Logo eines in
Israel verbotenen und als Terrororganisation eingestuften Vereins getragen
und hätten sich Befehlen von Soldat*innen widersetzt, das Gebiet zu
verlassen.
Seit März 2025 gelten neue Regeln für die Visavergabe an ausländische
Aktivist*innen im Westjordanland. Eine ganze Reihe von Kriterien kann
zum Ausschluss führen, etwa Social Media Posts, die Verfahren gegen
israelische Soldat*innen oder Sicherheitskräfte vor internationalen
Gerichten unterstützen, oder die Unterstützung von
„Delegitimierungskampagnen“ gegen Israel.
Reut Shaer, Direktorin der Abteilung für die besetzten Gebiete bei der NGO
Association for Civil Rights in Israel, findet, derlei Formulierungen
führten dazu, dass Aktivist*innen wegen Kritik an der israelischen
Regierung keine Visa mehr bekämen. „Es ist Regierungspolitik, humanitäre
Organisationen davon abzuhalten, hier zu arbeiten.“
Abhalten lassen wollen Mario und seine Mitstreiter*innen sich nicht.
Sie möchten zurück nach Ein al-Duyuk. Der Aktivist sagt, er fühle sich
wütend und traurig, da er nicht wisse, ob Israel ihnen die Rückkehr
gestatten werde. Dabei seien die Menschen im Westjordanland nach wie vor
schutzbedürftig: „Das, was uns passiert ist, ist nur ein Bruchteil von dem,
was den Palästinenser*innen täglich passiert.“
11 Dec 2025
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## AUTOREN
DIR Serena Bilanceri
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