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       # taz.de -- Schießereien in Berlin: Zuwachs in der Unterwelt
       
       > Was steckt hinter den vielen Schießereien der letzten Monate? Die Polizei
       > spricht von Schutzgelderpressung, aber Fachleute vermuten etwas anderes.
       
   IMG Bild: Einschusslöcher in der Scheibe: Kriminaltechniker der Polizei sichern Spuren vor einer Fahrschule in Reinickendorf
       
       Sieben Filialen einer Fahrschule betreibt ein türkeistämmiger Geschäftsmann
       in Berlin – auf gleich vier davon haben Unbekannte innerhalb weniger Wochen
       Schüsse abgefeuert. An den Gebäuden in Reinickendorf, Gesundbrunnen und
       Siemensstadt sind Einschusslöcher zu sehen, die Polizei ermittelt.
       
       Es sind nicht die einzigen Vorfälle mit Schusswaffen in den vergangenen
       Monaten. Immer wieder wird auf Berlins Straßen, Plätzen und in Parks scharf
       geschossen. Oft bleibt es bei einem Sachschaden, weil die Täter auf
       Geschäfte und Wohnhäuser zielen. Aber nicht nur: Im November starb ein
       Mann, nachdem er vor einem Imbiss in Fennpfuhl niedergeschossen worden war.
       Bei weiteren Taten gab es Verletzte, einige von ihnen lebensbedrohlich.
       
       Aber wird überhaupt mehr geschossen als sonst? Wer sind die Täter und
       welche Motive haben sie? Und woher kommen die Waffen?
       
       Zumindest die erste Frage lässt sich verlässlich beantworten. Aktuelle
       Statistiken der Berliner Polizei belegen, dass es sich nicht nur um einen
       gefühlten Anstieg von Schießereien handelt: Die Behörde hat seit
       Jahresbeginn mehr als 1.000 Fälle von illegaler Schusswaffenverwendung
       registriert. Dabei wurde in knapp der Hälfte der Fälle auch tatsächlich
       geschossen: rund 460 Mal.
       
       Das sind bereits jetzt deutlich mehr Schüsse als im gesamten Jahr 2024, in
       dem 363 Fälle gezählt wurden. Und schon da war Berlin im bundesweiten
       Vergleich das Land mit den meisten Schüssen im Verhältnis zur Bevölkerung.
       Laut Bundeskriminalamt gab es in Berlin 9,9 Fälle pro 100.000
       Einwohner*innen, gefolgt vom Saarland (8,8) und Hamburg (8,3).
       
       Was die Hintergründe betrifft, ist die Lage jedoch weniger eindeutig. Die
       Schießereien seien Ausdruck von eskalierenden Revierkämpfen, erklärte etwa
       Stephan Weh, Landeschef der Polizeigewerkschaft GdP, [1][im RBB]: „Es geht
       um viel Geld, und da werden Reviere neu aufgeteilt zwischen [2][einzelnen
       Gruppen der organisierten Kriminalität].“
       
       Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel hingegen sagte im November
       im Abgeordnetenhaus, es handele sich „ganz überwiegend um
       Schutzgelderpressung gegenüber Gewerbetreibenden“. Die
       [3][dahinterstehenden Strukturen und Akteure] seien der Polizei bekannt.
       „Sie stehen unter engmaschiger Beobachtung und sind Ziel intensiver
       Ermittlungen“, so Slowik Meisel.
       
       Die Erklärungen greifen zu kurz 
       
       Aber im Gespräch mit Fachleuten zeichnet sich ab: Diese Erklärungen greifen
       wohl zu kurz. Der Kriminologe Klaus von Lampe von der Berliner Hochschule
       für Wirtschaft und Recht (HWR) etwa beobachtet zwar auch einen
       „ungewöhnlich häufigen Gebrauch“ von Schusswaffen in Berlin in diesem Jahr.
       Er geht aber nicht davon aus, dass es sich dabei um klassische Revierkämpfe
       oder herkömmliche Schutzgelderpressung handelt. „Was in den Medien gesagt
       wird, dass konkurrierende Gruppen aus Istanbul türkischsprachige
       Gewerbetreibende in Berlin erpressen, kann ich mir gut vorstellen“, sagt
       von Lampe, der seit mehr als 20 Jahren [4][zu organisierter Kriminalität in
       Berlin forscht]. Allerdings sei Schutzgeld das falsche Wort.
       
       „Auch hier geht es um Geld“, betont er. „Aber Schutzgelderpressung bedeutet
       eigentlich, dass mit der Zahlung das Risiko von Erpressung durch andere
       Kriminelle erledigt ist, weil man unter dem Schutz des Erpressers steht.“
       Aber dafür brauche es im kriminellen Milieu gefestigte Machtstrukturen und
       eine klare Zuordnung, wer wo das Sagen hat – und das sei bei Gruppen, die
       aus dem Ausland agieren, nicht der Fall. „Ich glaube nicht, dass jemand,
       der in Istanbul sitzt, in Berlin mitreden kann.“
       
       Das Vorgehen der Täter ähnele eher dem Prinzip von Einbrüchen, sagt von
       Lampe: „Die Täter wissen, wo es etwas zu holen geben könnte.“ Das sei ein
       typisches Muster: Kriminelle Gruppen belangen Landsleute im Ausland, die
       viel Geld zu haben scheinen. „Man spricht die gleiche Sprache, man weiß
       vielleicht sogar, wo die Verwandten der Betroffenen zum Beispiel in der
       Türkei wohnen. Außerdem vermuten die Täter, dass ihre Opfer in Deutschland
       eher isoliert sind, nicht schnell zur Polizei gehen oder Rückhalt in
       illegalen Strukturen haben.“ Dadurch dächten die Täter wohl, ein leichtes
       Spiel zu haben, erklärt der Kriminologe.
       
       Recherchen des [5][Tagesspiegels] stützen diese These. Dort heißt es aus
       Ermittlerkreisen, mindestens fünf Banden hauptsächlich aus Istanbul seien
       nun europaweit aktiv, deren Handlanger teils extra aus der Türkei
       einreisten, um in Deutschland und anderen Ländern Geschäftsleute zu
       erpressen und einzuschüchtern.
       
       Für Klaus von Lampe erklärt dieser Hintergrund auch den Anstieg von
       Schießereien. „Kriminelle, die ihren Sitz in Berlin haben, würden eher
       nicht so rücksichtslos vorgehen“, sagt der Forscher. „Das ist eine Regel in
       kriminellen Milieus: Schüsse erregen zu viel Aufmerksamkeit. Lieber
       vermeidet man Gewalt und versucht, Konflikte friedlich beizulegen.
       Auseinandersetzungen sind unheimlich kostspielig und erhöhen das Risiko der
       Strafverfolgung enorm.“
       
       Darüber hinaus glaube er auch nicht, dass die Gruppen aus Istanbul
       versuchen, in Berlin über die gezielten Erpressungsaktionen hinaus Fuß zu
       fassen. „Wenn das der Fall wäre, würden sich die bereits etablierten
       Akteure vermutlich heftig zur Wehr setzen“, sagt von Lampe.
       
       ## Gewalt als Dienstleistung
       
       Mit den gezielten Aktionen der kriminellen Gruppen könnte unterdessen ein
       Phänomen nach Berlin schwappen, das man in anderen EU-Ländern wie Schweden
       bereits gut kennt: „Violence as a service“, also Gewalt als Dienstleistung.
       Einschüchterungen wie die Schüsse auf Geschäfte oder Wohnhäuser lagern die
       Banden gegen Bezahlung aus. „Häufig werben sie junge Täter an, die dann
       Drohungen, Angriffe oder Tötungen ausführen. Die Anwerbung erfolgt oft über
       Online-Plattformen oder Messenger-Dienste“, [6][schreibt das
       Bundeskriminalamt] (BKA) dazu.
       
       Woher die Waffen stammen, die sie dann für ihre Taten verwenden – das ist
       schwer zu sagen. Laut Berliner Polizei ist „ein Großteil der in der Stadt
       beschlagnahmten illegalen Schusswaffen teilweise aus der Türkei nach
       Deutschland gelangt“. Weitere Quellen liegen [7][nach Einschätzung des BKA]
       in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien, wo auch 30 Jahre nach dem Krieg
       funktionierende Schusswaffen weit verbreitet und leicht verfügbar seien.
       Hinzu kommen Diebstähle, illegale Nachbauten, Umbauten von
       Schreckschusswaffen und, bislang in geringem Maße, Waffen aus dem
       3D-Drucker.
       
       Seit Mitte November geht die Berliner Polizei mit einem massiven Aufgebot
       gegen die Verbreitung von Schusswaffen vor. Dafür wurde eine sogenannte
       „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) gegründet. In dieser „BAO Ferrum“
       arbeiten Polizist*innen verschiedener Bereiche zusammen und führen etwa
       Razzien oder Verkehrskontrollen durch oder bewachen Geschäfte. Dabei wurden
       bislang mehr als 4.000 Personen kontrolliert, fast 3.000 Fahrzeuge
       überprüft und mehr als 3.000 Personen vorübergehend festgenommen, teilt die
       Polizei mit. Eine Bilanz der dabei gefundenen Waffen gibt es nicht,
       allerdings [8][meldet die Polizei immer wieder einzelne Erfolge].
       
       Klaus von Lampe begrüßt das Vorgehen der Polizei: „Es darf keine Spielräume
       beim Waffenbesitz geben. Jede Verwendung von Waffen, ob Drohung oder
       tatsächlich Schussabgabe, muss konsequent und mit höchster Priorität
       geahndet werden.“
       
       Eine weitere Eskalation in Berlin befürchtet er allerdings nicht. „Eine
       Gewaltspirale ist nicht im Sinne der hier etablierten Kriminellen.“ Er
       vermute, dass die „Berliner Unterwelt“, die sich seit Jahrzehnten
       untereinander arrangiert habe, die Füße stillhalte. „Wahrscheinlich lehnen
       die sich in diesen Tagen zurück und warten, bis die Polizei die Situation
       wieder beruhigt hat“, sagt der Kriminologe.
       
       11 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2025/10/immer-mehr-schuesse-in-berlin-bka-polizei-waffengewalt.html
   DIR [2] /Polizei-und-Clankriminalitaet/!6064993
   DIR [3] /Mafia-Experte-ueber-Berliner-Clans/!5534669
   DIR [4] https://www.hwr-berlin.de/search/kontaktdetail/detail/1612-klaus-von-lampe
   DIR [5] https://www.tagesspiegel.de/berlin/europaweit-aktive-tater-aus-der-turkei-welche-jungen-banden-in-berlin-zu-schusswaffen-greifen-14867873.html
   DIR [6] https://www.bka.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/Kurzmeldungen/250819_Violence-as-a-Service.html
   DIR [7] https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Waffenkriminalitaet/waffenkriminalitaetBundeslagebild2024.html
   DIR [8] https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/2025/pressemitteilung.1624619.php
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanno Fleckenstein
       
       ## TAGS
       
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