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       # taz.de -- Türkischer Journalist zu Medienfreiheit: „Fotografieren gilt in der Türkei als politischer Akt“
       
       > Yasin Akgül wurde im März 2025 festgenommen, weil er einen Protest
       > fotografierte, nun ist er freigesprochen. Dennoch sei das ein Einschnitt,
       > sagt er.
       
   IMG Bild: Studierende demonstrieren in Saraçhane gegen die Verhaftung von Ekrem İmamoğlu, fotografiert von Yasin Akgül, 20. März 2025
       
       taz: Herr Akgül, Sie wurden im vergangenen Jahr in Istanbul festgenommen.
       Was ist damals genau passiert? 
       
       Yasin Akgül: Alles begann, nachdem gegen den Istanbuler Bürgermeister
       [1][Ekrem İmamoğlu ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden] war. Als
       das bekannt wurde, versammelten sich Menschen vor dem Rathaus im Stadtteil
       Saraçhane. Im Laufe des Abends kamen immer mehr Studierende dazu, und in
       der Nähe kam es zu Konfrontationen zwischen Polizei und Demonstrierenden.
       Ich war als Fotojournalist dort, um das zu dokumentieren. Die Situation war
       unübersichtlich, aber bei Weitem nicht das, was man später daraus gemacht
       hat.
       
       taz: Wie würden Sie die Proteste einordnen? 
       
       Akgül: Verglichen mit Gezi 2013 war das eine völlig andere Dimension. Viele
       der jungen Menschen waren damals Kinder und hatten keinerlei Erfahrung mit
       Demonstrationen oder politischen Aktionen. Die Proteste gegen İmamoğlus
       Verhaftung waren eher spontan. Die heftigste Auseinandersetzung bestand
       darin, dass einige Plastikflaschen geworfen wurden. Trotzdem wurde es
       später so dargestellt, als hätte es sich um eine Art Aufstand gehandelt.
       Diese Diskrepanz zwischen tatsächlicher Situation und politischer
       Interpretation ist zentral für das, was danach passiert ist.
       
       taz: Und dann wurden Sie festgenommen? 
       
       Akgül: Am nächsten Morgen, gegen 6 Uhr, stand eine Polizeieinheit vor
       meiner Wohnung. Ich hatte keine Ahnung, warum. Auf der Polizeiwache wurde
       mir klar, dass nur Fotojournalistinnen und Fotojournalisten festgenommen
       worden waren. Insgesamt waren wir acht Bildjournalisten und ein Kameramann.
       Uns wurde vorgeworfen, wir hätten an einer illegalen Demonstration
       teilgenommen. Alle Beweise bestanden aus einem einzigen Foto, auf dem man
       meinen Hinterkopf sieht.
       
       taz: Sie sprechen davon, dass das historisch gesehen ein Einschnitt war.
       Inwiefern? 
       
       Akgül: In der modernen türkischen Geschichte hat es so etwas noch nicht
       gegeben. Journalistinnen und Journalisten wurden immer wieder festgenommen,
       vor allem in Krisenzeiten. Aber dass man gezielt Fotojournalisten verhaftet
       und gleich mehrere auf einmal – das ist neu. Fotojournalisten galten lange
       als diejenigen, die zwar dokumentieren, aber politisch nicht „mitgemeint“
       sind. Jetzt wird schon das Fotografieren selbst als politischer Akt
       interpretiert.
       
       taz: Welche Rolle spielt dabei der Presseausweis? 
       
       Akgül: Der staatliche Presseausweis war früher selbst in angespannten
       Zeiten ein gewisser Schutz. Man konnte damit selbst in sehr
       konfliktgeladenen Regionen deutlich machen, dass man journalistisch
       arbeitet. Heute verliert diese Karte ihre Funktion, weil die Regierung die
       Vergabe vollständig kontrolliert und politisiert. Etwas, das früher Schutz
       bot, ist inzwischen zu einem Instrument geworden, das journalistische
       Arbeit ermöglicht oder verhindert – und damit zu einem Machtmittel gegen
       die freie Berichterstattung.
       
       taz: Worum geht es der Regierung konkret? 
       
       Akgül: Um Sichtbarkeit. Worte kann man relativieren, Bilder nicht. Fotos
       verbreiten sich weltweit in Sekunden. Sie schaffen internationale
       Öffentlichkeit, und das ist in einem autoritären Kontext hochsensibel. Bei
       Protesten entscheidet das Bild darüber, ob ein Ereignis national bleibt
       oder global wahrgenommen wird. Genau dagegen richtete sich die Festnahme.
       Man wollte verhindern, dass Bilder entstehen, bevor sich eine Erzählung
       politisch festlegt.
       
       taz: Welche Rolle spielt Gezi in dieser Entwicklung? 
       
       Akgül: Gezi war ein Wendepunkt. Bis 2013 gab es eine gewisse Pluralität in
       der Medienlandschaft. Damals waren Hunderte Bildjournalisten auf den
       Straßen, auch internationale. Ich selbst war täglich draußen und habe
       erlebt, wie sichtbar diese Proteste international wurden. Danach hat die
       Regierung verstanden, dass nicht nur Worte, sondern besonders Bilder
       politische Dynamik erzeugen. Seitdem wird versucht, Bildjournalismus
       einzuschränken oder aus der Situation herauszunehmen. Die Medien wurden
       weitgehend zentralisiert, viele Redaktionen geschlossen oder an
       regierungsnahe Konzerne verkauft. Das hat die journalistische Landschaft
       stark verarmt.
       
       taz: Was heißt das für die Arbeit im Alltag? 
       
       Akgül: Die Polizei setzt seltener Tränengas ein, weil Gasbilder sofort
       viral gehen. Stattdessen werden Journalist:innen eingekesselt,
       abgedrängt, festgenommen und als Teil des Konflikts behandelt. Während der
       Proteste wurde ich ab einem bestimmten Moment nicht mehr als Journalist
       gesehen, sondern als Demonstrant. Das ist eine völlig neue Bewertung
       unserer Arbeit.
       
       taz: Was macht das mit dem Beruf insgesamt?
       
       Akgül: Die Botschaft ist deutlich: Wer fotografiert, kann festgenommen
       werden. Früher war man gefährdet, aber man galt juristisch nicht als
       Beteiligter. Heute reicht die Anwesenheit. Wenn ein Staat Fotojournalisten
       [2][wie Demonstrierende behandelt], dann geht es nicht mehr um Einzelfälle.
       Dann hat sich das Verständnis von Presse grundlegend verändert:
       Bildjournalismus wird als Gefahr begriffen. Das ist ein historischer Bruch.
       
       taz: Bedeutet das, dass die Pressefreiheit noch weiter eingeschränkt wird?
       
       Akgül: Ja. Wir bewegen uns Richtung vollständiger Kontrolle. Früher war die
       Arbeit gefährlich wegen der Themen – heute ist das Medium selbst das
       Problem. Schon das Halten einer Kamera wird zur Bedrohung erklärt. Die
       große Veränderung ist, dass das Bild als Machtmittel identifiziert wurde.
       Wenn man verhindern will, dass bestimmte Bilder existieren, dann verhindert
       man den Bildjournalismus.
       
       taz: Was heißt das für junge Kolleginnen und Kollegen?
       
       Akgül: Die Lebensbedingungen machen es fast unmöglich, lokal zu arbeiten.
       Nur sehr wenige bekommen einen offiziellen Presseausweis, weil die
       Regierung ihn oft verweigert – und das ist im Moment eines unserer größten
       Probleme. Der Presseausweis wird hier nämlich nicht von Berufsverbänden
       oder Gewerkschaften vergeben wie in vielen anderen Ländern, sondern direkt
       vom Staat. Dadurch kann die Regierung über die Frage entscheiden, wer
       journalistisch arbeiten darf und wer nicht. Ich empfehle deshalb allen,
       Sprachen zu lernen und internationale Kontakte aufzubauen. Nur über
       ausländische Medien kann man hier auch wirtschaftlich überleben.
       
       8 Dec 2025
       
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