URI:
       # taz.de -- Enquete-Kommission gegen Rassismus: Traurige Veranstaltung
       
       > Die Enquete-Kommission gegen Rassismus ist zerstritten. Die CDU
       > torpediere die Veranstaltung, sagen Beteiligte. Diesen Freitag ist
       > Krisenaussprache.
       
       Eigentlich ist eine Enquete-Kommission eine feine Sache. Hier können sich
       Politiker:innen ausführlich und mit sachverständiger Unterstützung
       einem gesellschaftlichen Großthema widmen und auf Basis einer fundierten
       Problemanalyse ausgeruhte Vorschläge für Gesetze und politische Maßnahmen
       entwickeln.
       
       Die Einrichtung der Enquete-Kommission „Für gesellschaftlichen
       Zusammenhalt, gegen Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jede
       Form von Diskriminierung“ im Abgeordnetenhaus vor rund einem Jahr ließ also
       hoffen. Die Übernahme dieses Vorhabens von der R2G-Vorgängerregierung durch
       Schwarz-Rot schien zu bedeuten, dass auch die CDU erkannt hat, dass
       Diskriminierung und Rassismus in all seinen Formen inzwischen Ausmaße
       angenommen haben, die den Zusammenhalt der Gesellschaft tatsächlich
       gefährden.
       
       [1][Doch von Beginn an hakte es] – und nach einem Jahr und 12 Sitzungen
       macht sich unter vielen Beteiligten Enttäuschung bis Fassungslosigkeit
       breit. Mitglieder der Kommission, mit denen die taz gesprochen hat,
       sprechen von „Zeitverschwendung“ und „Alibiveranstaltung“, das
       Gesprächsklima sei völlig vergiftet. Daher wollen die meisten nur im
       Hintergrund sprechen – zu groß ist die Angst, selbst in die Schusslinie zu
       geraten.
       
       Dass die Enquete ihrer Aufgabe gerecht werden kann – sie soll im nächsten
       Sommer einen Abschlussbericht präsentieren – glaubt derzeit niemand mehr.
       Diesen Freitag soll es im Rahmen der monatlichen Sitzung eine
       nicht-öffentliche Aussprache geben.
       
       ## Stuktureller Rassismus in staatlichen Institutionen
       
       Im Zentrum der Kritik stehen die Abgeordneten der CDU. Alle Mitglieder der
       Enquete, mit denen die taz sprach, sehen ein Grundproblem darin, dass die
       konservativen Politiker – die AfD ist in der Kommission nicht vertreten –
       die Realität nicht anerkennen wollen: dass es strukturellen Rassismus in
       staatlichen Institutionen wie der Polizei, dass es antimuslimischen
       Rassismus gibt. Wissenschaftler:innen und Expert:innen aus der
       Praxis, die zu Vorträgen und Fragerunden eingeladen wurden, werde die
       Kompetenz abgesprochen. Zu hören ist auch, dass strukturelle Probleme als
       individuelle kleingeredet werden.
       
       Dazu muss man wissen: In der Kommission sitzen neben 13 Abgeordneten von
       CDU, SPD, Grünen und Linken zusätzlich 11 Sachverständige mit ebenso vielen
       Stellvertreter:innen. Die Sachverständigen, die jede Fraktion für sich
       benannt hat, sind Wissenschaftler:innen oder Expert:innen aus der
       Praxis. Zusätzlich werden Anzuhörende eingeladen, ebenfalls
       Wissenschaftler:innen oder Praktiker:innen, die zu einem bestimmten
       Unterthema sprechen und befragt werden.
       
       In der Juli-Sitzung zum Beispiel ging es um antimuslimischen Rassismus.
       Mehrere Expert:innen erklärten das Phänomen von wissenschaftlicher und
       praktischer Seite, darunter Karim Fereidooni, Professor für Didaktik an der
       Ruhr-Uni Bochum. In der anschließenden Fragerunde ging es der
       Sachverständigen der CDU, der Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig,
       [2][laut Wortprotokoll] offenkundig darum, die Erkenntnisse der
       Wissenschaftler:innen kleinzureden. Unter anderem sagte sie: „Man hat
       bei demselben Thema nicht nur verschiedene wissenschaftliche
       Einschätzungen, (…) man kann auch so forschen – was natürlich dem
       Objektivitätsideal widerspricht –, dass man genau das herausbekommt, was
       man von Anfang an haben wollte.“
       
       Auch der CDU-Abgeordnete Stephan Lenz war mit den Ergebnissen der
       Wissenschaftler:innen nicht zufrieden. Er sagte: „Was ich aber
       wirklich ablehne, ist so eine Grundannahme, wir hätten eine strukturelle
       Muslimfeindlichkeit, einen strukturellen Rassismus in unseren
       Institutionen“.
       
       ## „Empirische Befunde sollten relativiert werden“
       
       Fereidooni findet das ein ungeheures Vorgehen: Zehnpfennig habe tatsächlich
       versucht, „empirische Befunde zu relativieren und repräsentative Studien zu
       bezweifeln“, erinnert er sich im Gespräch mit der taz. „Wissenschaftlich
       nicht seriös und zudem unkollegial“, nennt er das. Fereidooni hat auch
       registriert, dass die CDU insgesamt in der Kommission „den
       wissenschaftlichen Ergebnissen nicht so gesonnen“ gewesen sei. „Vielleicht
       gibt es hier selektive Sensibilitäten, so etwas wie antimuslimischen
       Rassismus gibt es wohl nicht in ihrer Welt.“
       
       Ähnlich ging es in der Oktober-Sitzung zu. Da zweifelte Lenz an, dass es
       einen wissenschaftlichen Konsens über das Vorhandensein von strukturellem,
       also institutionellem Rassismus bei der Polizei gibt – obwohl genau dies
       mehrere Expert:innen soeben dargelegt hatten.
       
       Das ging sogar dem Sachverständigen des Koalitionspartners zu weit. Cihan
       Sinanoğlu, Sozialwissenschaftler am Deutschen Zentrum für Integrations- und
       Migrationsforschung und für die SPD in der Kommission, sagte [3][laut
       Protokoll]: „…weil es von Herrn Lenz gerade hieß, dass es keinen Konsens in
       der Wissenschaft dazu gibt: Ich hätte es begrüßt, wenn wir heute
       unterschiedliche wissenschaftliche Stimmen gehört hätten, um wirklich in
       einen Austausch zu gehen. Einfach nur zu behaupten, dass es keinen Konsens
       gebe, bringt, glaube ich, die Diskussion gerade nicht weiter.“
       
       Ein Sachverständiger kommt nach 8 Sitzungen daher zu dem Schluss: „Ich kann
       bei der CDU kein echtes Interesse am Thema erkennen.“ Sogar ein
       Sachverständiger, der von der CDU berufen wurde, bedauert, dass die
       Fraktion das Vorhandensein von antimuslimischem sowie strukturellem
       Rassismus verneint – er selbst sehe das anders. Doch auch die andere Seite,
       gemeint sind vor allem Linke und Grüne, habe eine Mitschuld an der Misere:
       „Alle lehnen Inhalte ab, nur weil sie von der Gegenseite kommen.“
       
       Konkret wirft er Linken und Grünen vor, dass sie nicht anerkennen wollten,
       dass „Antisemitismus in migrantischen Communities ein strukturelles
       Problem“ sei. Wer dies anspreche oder auch andere Probleme von
       migrantischen Familien, etwa patriarchale Strukturen, werde gleich als
       „Rassist“ gebrandmarkt.
       
       Anne Helm, Fraktionsvorsitzende der Linken, und ebenfalls Mitglied im
       Ausschuss, weist das zurück. „Antisemitismus tritt in unterschiedlichen
       Formen und aus unterschiedlicher Motivation auf. Sei es
       verschwörungsideologisch, religiös-fundamentalistisch, NS-verharmlosend,
       völkisch oder israelbezogen.“ Struktureller Antisemitismus sei historisch
       gewachsen und tief in den Institutionen verankert, fährt sie fort. „Er
       lässt sich also gerade nicht auf eine Minderheit innerhalb der Gesellschaft
       reduzieren. Wer diese Zustände nicht anerkennt, kann sie auch nicht wirksam
       bekämpfen.“
       
       Auch Tuba Bozkurt, die für die Grünen in der Kommission sitzt, ist empört.
       Der taz sagte sie: „Natürlich gibt es Antisemitismus auch in migrantischen
       Communities. Das haben wir Grünen immer klar, deutlich und ohne Ausflüchte
       benannt – auch in Sitzungen der Enquete-Kommission. Struktureller
       Antisemitismus aber ist in Deutschland von christlich-europäischen
       Mehrheitsgesellschaften erzeugt und über Jahrhunderte in staatlichen und
       gesellschaftlichen Strukturen verankert worden.“
       
       Beide Abgeordnete machen auf ein weiteres Problem aufmerksam: Es werde
       zunehmend schwierig, Expert:innen für die Anhörungen zu finden. „Leute
       wollen nicht mehr auftreten aus Angst, dass ihre Projekte gekürzt werden“,
       sagt Helm. Die Befürchtung ist nicht unbegründet. [4][Im Zuge der
       CDU-Fördergeldaffäre kam kürzlich heraus], dass der Abgeordnete Timur
       Husein, Sprecher der CDU-Fraktion für Antisemitismusbekämpfung und
       ebenfalls Mitglied in der Kommission, sich dafür einsetzte, die Förderung
       für den Träger [5][BildungsBausteine] zu beenden. Nach seiner Meinung ist
       der Träger ungeeignet im Kampf gegen Antisemitismus. Der Grund: Eine
       Vertreterin habe vor der Kommission gesagt, „dass für die Berliner Juden
       die größte Gefahr von AfD und CDU ausgeht“, wie er auf Facebook erklärte.
       
       Seither geht die Angst um in der Antirassismusszene, dass Kritik – an
       staatlichen Institutionen, Rechtsruck oder blinden Flecken der
       Mehrheitsgesellschaft – finanziell abgestraft wird.
       
       Und dann ist da noch die Sache mit dem Z-Wort: [6][Husein hatte kürzlich in
       einem Insta-Post], der gegen die Linken hetzte, mal so nebenbei Sinti und
       Roma verunglimpft. Ist ein Mann, der so unsensibel ist oder sich gar
       bewusst mit solchen Tabubrüchen in Szene zu setzen versucht, wirklich
       geeignet, um Strategien auch gegen Antiziganismus zu erarbeiten? Für
       Angehörige der Minderheit, die in der Kommission sitzen oder von ihr
       angehört werden, dürfte er sich als Gesprächspartner disqualifiziert haben.
       Auch das könnte am Freitag Thema der Aussprache sein.
       
       Bis hierher fasst Tuba Bozkurt von den Grünen die Lage so zusammen: „Die
       CDU muss sich in dieser Enquete-Kommission schon die Frage gefallen lassen,
       wo sie sich eigentlich noch von der Rhetorik der AfD unterscheidet. Wenn
       man wissenschaftliche Fakten bestreitet, Anzuhörende einschüchtert und
       Debatten in Abwehrkämpfe verwandelt, verhindert man jede sachliche Arbeit
       und sendet ein desaströses Signal an Menschen, die von Rassismus und
       Antisemitismus betroffen sind.“
       
       5 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kommission-gegen-Diskriminierung/!6082397
   DIR [2] https://www.parlament-berlin.de/ados/19/enko/protokoll/en19-005-wp.pdf
   DIR [3] https://www.parlament-berlin.de/ados/19/enko/protokoll/en19-007-wp.pdf
   DIR [4] /CDU-Foerdergeldaffaere/!6131189
   DIR [5] /CDU-und-Antisemitismus/!6132358
   DIR [6] /CDUler-hetzt-im-Netz/!6129225
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR antimuslimischer Rassismus
   DIR Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
   DIR Social-Auswahl
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Diskriminierung
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR CDU Berlin
   DIR Abgeordnetenhaus
   DIR Diskriminierung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rückschlag für Antirassismus-Arbeit: Enquetekommission am Ende
       
       Erst der Dauerstreit mit der Berliner CDU, jetzt der Rücktritt zweier
       Sachverständiger: Grüne und Linke erklären die Kommission für gescheitert.
       
   DIR Diskriminierung in Berlin: Polizei mit strukturellem Problem
       
       Der Bericht des Antidiskriminierungsnetzwerks zeigt einen Anstieg von
       Diskriminierung. Meist handelt es sich um Rassismus, häufig durch die
       Polizei.
       
   DIR CDUler hetzt im Netz: Kritik an der Linken mit Z-Wort
       
       Der CDU-Abgeordnete Timur Husein verunglimpft Sinti und Roma in einem
       Instagram-Post. Initiativen sehen darin eine Anbiederung an die AfD.
       
   DIR Kommission gegen Diskriminierung: Überraschend schnell im Konfrontationsmodus
       
       Die Berliner Enquete-Kommission gegen Antisemitismus und Rassismus hat ihre
       Arbeit aufgenommen. Die Stimmung in dem Gremium ist durchaus gereizt.
       
   DIR Ahmad Mansour und die CDU Berlin: Fragwürdige Auswahl
       
       In eine Kommission, die einen soll, setzt die CDU jemanden, der spaltet.
       Das passt im ersten Moment nicht zusammen. Auf den zweiten Blick dann
       schon.
       
   DIR Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus: Alles nur ein schwarz-rotes Ablenkungsmanöver?
       
       Die Grünen trauen der am Donnerstag vom Landesparlament eingesetzten
       Enquete-Kommission nicht ganz.
       
   DIR Kampf gegen Diskriminierung: Initiativen fühlen sich ausgegrenzt
       
       Im Abgeordnetenhaus soll sich eine Enquete-Kommission bilden und
       Empfehlungen für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt erarbeiten. ​