URI:
       # taz.de -- Grundgesetz: Als Frauen endlich gleichgestellt wurden
       
       > Elisabeth Selbert mobilisierte 1948 Frauen im ganzen Land. Ihre Aktion
       > brachte die Gleichberechtigung ins Grundgesetz.
       
   IMG Bild: Frauen, die am Grundgesetz von 1949 mitwirkten: Frieda Nadig, Helene Weber, Helene Wessel und die hier abgebildete Elisabeth Selbert
       
       Vielleicht waren die Abgeordneten des Parlamentarischen Rats überrascht,
       als in der Vorweihnachtszeit 1948 die ersten Postkarten und Telegramme in
       ihren Bonner Büros eintrudelten. Die Absenderinnen waren aufgebrachte
       Frauen, mobilisiert von der Abgeordneten Elisabeth Selbert. Die Angaben
       dazu, wie viele Protestschreiben es letztlich waren, weichen stark
       voneinander ab und reichen von etwa 50 bis 100.000 Zusendungen – aber
       gewirkt haben sie zweifellos.
       
       Elisabeth Selbert wurde 1896 im nordhessischen Kassel geboren, holte nach
       ihrer Arbeit im Telegrafendienst der Reichspost ihr Abitur nach und
       studierte in Marburg und Göttingen Rechtswissenschaft. 1948 wurde sie in
       den Parlamentarischen Rat gewählt, der sich in den westlichen
       Besatzungszonen nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet hatte, um eine
       Verfassung für den neuen Staat auszuarbeiten.
       
       In den Tagen vor der Frauenkampagne war Selbert mit einem Antrag ihrer
       SPD-Fraktion gescheitert, die Gleichberechtigung von Mann und Frau in
       Artikel 3 des Grundgesetzes zu verankern. Wütend über die Niederlage
       rechnete sie den anderen Abgeordneten vor: Auf 100 Wähler kamen in
       Deutschland zu der Zeit etwa 170 Wählerinnen, deren Stimmen die Parteien im
       Zweifel riskierten. Viele Männer waren im Zweiten Weltkrieg gefallen, in
       Deutschland lebten [1][1946 etwa 7 Millionen mehr Frauen als Männer].
       
       ## Selberts Beharrlichkeit hatte Erfolg
       
       Sechs Wochen nach der ersten Abstimmung, am 18. Januar 1949, kam der Antrag
       der SPD-Fraktion und von Selbert erneut zur Abstimmung. Dieses Mal wurde er
       vom Hauptausschuss einstimmig angenommen. Der Protest der Frauen mit ihren
       Postkarten und Telegrammen sowie Selberts Beharrlichkeit hatten Erfolg.
       
       Seitdem heißt es in Artikel 3 Absatz 2 der neuen Verfassung: „Männer und
       Frauen sind gleichberechtigt.“ Selbert äußerte sich dazu am 19. Januar in
       einer Radioansprache sichtlich erleichtert. „Ich spreche aus dem Empfinden
       einer Sozialistin heraus, die nach jahrzehntelangem Kampf um diese
       Gleichberechtigung nun das Ziel erreicht hat.“
       
       [2][Die Grundgesetzänderung hatte zur Folge], dass das Familienrecht
       überarbeitet wurde. Zu Zeiten der Abstimmung fand sich im Bürgerlichen
       Gesetzbuch (BGB) noch der sogenannte Gehorsamsparagraf: „Dem Manne steht
       die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden
       Angelegenheiten zu.“ Männer durften und mussten die meisten relevanten
       Entscheidungen für ihre Frauen treffen, etwa über ihr mögliches Vermögen
       und ihre Arbeit. Damit war dank Selberts Antrag Schluss, auch wenn der
       Paragraf erst 1957 aus dem BGB gestrichen wurde.
       
       Bei den ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag am 7. September 1949
       verpasste Elisabeth Selbert zwar den Einzug ins Parlament. Ihr politisches
       Wirken im Parlamentarischen Rat, besonders ihre Protestaktion als
       Vorkämpferin für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der neuen
       Verfassung der Bundesrepublik, sorgen jedoch dafür, dass eine der vier
       „Mütter des Grundgesetzes“ nicht in Vergessenheit gerät.
       
       14 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/frauenwahlrecht/279343/der-kampf-um-die-gleichberechtigung-in-beiden-deutschen-staaten-1945-1949-und-die-auswirkungen-auf-parteien/
   DIR [2] /75-Jahre-Verfassung/!6032281
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yannik Achternbosch
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Der Anstoß
   DIR Zukunft
   DIR wochentaz
   DIR Gleichberechtigung
   DIR Kolumne Der Anstoß
   DIR wochentaz
   DIR Kolumne Der Anstoß
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kampf um Gleichberechtigung: Als die Isländerinnen ihr Land lahmlegten
       
       1975 legten 90 Prozent der isländischen Frauen die Arbeit für einen Tag
       nieder. Damit setzten sie ein feministisches Zeichen, das bis heute wirkt.
       
   DIR Queeres Tierreich: Der gefiederte Gegenbeweis
       
       Ein Möwinnenpaar auf einer Pazifikinsel bringt ein Argument ins Wanken, das
       jahrhundertelang als Waffe gegen queere Menschen diente.
       
   DIR Ethel Smyth: Als Feminismus eine Melodie bekam
       
       Ethel Smyth komponierte die Hymne der britischen Frauen im Kampf ums
       Wahlrecht. Doch sie griff auch zu radikaleren Mitteln.