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       # taz.de -- Künstliche Intelligenz versus Menschen: Streng dich doch mal an
       
       > Während die KI-Revolution in vollem Gange ist, sorgt sich unsere Autorin
       > um ihr Gehirn. Geben wir gerade das Schönste am Menschsein leichtfertig
       > auf?
       
   IMG Bild: Geschafft! Und ganz ohne Hilfe
       
       Ich kann nicht mehr richtig denken. Zwar führe ich noch Gespräche und lese
       Texte, hier und da, und ich bin mir relativ sicher, dass bisher niemand
       außer mir diese Veränderung bemerkt hat. Aber jedes Mal, wenn ich versuche,
       einen Gedanken zu fassen und herauszufinden, was genau mich daran umtreibt,
       fällt alles durch mich hindurch. Begriffe, die ich mal klar und treffend
       fand, sind jetzt leer, oder sie bedeuten etwas vollkommen anderes. Nie
       bleibt ein Gedanke für sich stehen, immer sprießt noch eine Abzweigung aus
       ihm heraus, und noch eine, und noch eine, bis das Dickicht überhaupt keinen
       Sinn mehr ergibt. Nun wurde mir weder ADHS diagnostiziert, noch habe ich
       ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten, und mein Gehirn befindet sich aller
       Wahrscheinlichkeit nach noch genau dort, wo es meine ersten 35 Lebensjahre
       auch war. Aber irgendwas stimmt nicht. Irgendwas ist anders.
       
       Es könnte sein, dass es sich hierbei um die sogenannten Konsequenzen meiner
       eigenen (Un-)Tätigkeiten handelt. Immerhin habe ich in den letzten Monaten
       einen bedenklichen Teil meiner Lebenszeit mit Realityshows, Instagram-Reels
       und schlechten Nachrichten gefüllt, und um die 50 Mal täglich mein Handy
       entsperrt, ohne wirklich zu wissen, wofür eigentlich. Es ist
       wissenschaftlich erwiesen, dass dieses Verhalten nicht gerade zu kognitiven
       Höchstleistungen führt. Ich weiß das. Aber wer sich einmal in der
       Fastfood-Abteilung des Internets verlaufen hat, findet nicht so leicht
       wieder hinaus.
       
       Ohnehin ist die Eroberung des eigenen Gehirns keine einfache Aufgabe.
       Offenbar ist es sogar schwieriger, als ein fremdes Gehirn einzunehmen –
       andernfalls wären Werbung und Propaganda weniger erfolgreich, und ich
       befände mich gar nicht erst in dieser misslichen Lage. Ich werde mich also
       anstrengen müssen.
       
       Das Problem ist, dass ich Anstrengung nicht besonders verlockend finde,
       obwohl der eine Teil meiner Familie protestantisch ist („Wer nicht arbeiten
       will, soll auch nicht essen“) und der andere Teil chinesisch („努力学习, 天天向上“,
       dt.: „Lerne fleißig, werde jeden Tag besser“). Trotzdem hasse ich Schwitzen
       und Wettbewerbe auch. Manche Leute macht es glücklich, sich über die
       eigenen Grenzen hinaus zu pushen und im Spinningkurs von einem
       Proteinshake-Liebhaber angebrüllt zu werden. Zu diesen Leuten gehöre ich
       nicht. Sport mache ich meistens nicht aus Spaß, sondern weil ich gern so
       lange wie möglich gesund bleiben will. Ich freue mich, wenn ich ein Regal
       ohne Bohren anbringen kann, und ich liebe diese Fahrsteige an Flughäfen,
       auf denen man doppelt so schnell vorankommt, ohne mehr Energie aufzuwenden.
       
       Sowieso ist die Gegenwart zermürbend, lautet die allgemeine Diagnose, und
       deshalb wird uns alle paar Meter etwas angeboten, das unser Leben simpler
       und bequemer machen soll: keine Lust auf Tütentragen? Lassen Sie Ihren
       Einkauf nach Hause liefern. Zu ausgelaugt für einen kurzen Wortwechsel mit
       der Kellnerin? Bestellen Sie über den QR-Code. Keine Kraft, den
       Kolleg*innen eine E-Mail zu schreiben oder morgens zu entscheiden, was
       Sie anziehen wollen? ChatGPT übernimmt das für Sie.
       
       Diese Entlastungsversprechen treffen einen Nerv. Wir sind anscheinend
       dauernd überreizt und müde, und tatsächlich gibt es dafür gute Gründe. Es
       kommt mir vor, als würden alle um mich herum nur noch versuchen, die
       Balance zu halten. Wir wollen informiert bleiben, aber nicht ertrinken in
       der Nachrichtenflut. Wir wollen schlafen, aber auch ausgehen. Wir wollen
       Kinder, aber unsere Ruhe. Alleinsein, aber nicht einsam. Revolution, aber
       Ferien. Durchaus naheliegend also, ein paar Punkte der To-do-Liste
       auszulagern. Entweder an jemand anderen, dessen Leben oft noch
       anstrengender und dessen Job schlechter bezahlt ist, oder eben an eine KI.
       Aber geben wir dabei nicht auch leichtfertig her, was glücklicherweise zum
       Menschsein dazugehört?
       
       Anstrengung ist ja nicht per se etwas Schlechtes. Obwohl sich das Gehirn
       evolutionsbedingt gern für den leichtesten Weg entscheidet, braucht es
       Herausforderungen und Reibung, um dazuzulernen. Das kann sogar Spaß machen
       – besonders dann, wenn man aus eigenem Antrieb etwas erreichen will.
       
       An meinem 18. Geburtstag habe ich mir in den Kopf gesetzt, endlich
       Chinesisch zu lernen. Selbst mit Vorwissen war das schwer. Monatelang habe
       ich Tonhöhen geübt, Vokabeln studiert und Schriftzeichen in kleine Quadrate
       geschrieben, immer dieselben nebeneinander, ganze Hefte voll, jedes Zeichen
       zigmal, 我我我我我, 你你你你你, 家家家家家, bis ich Krämpfe in den Fingern hatte und
       trotzdem noch keinen einzigen Zeitungsartikel lesen konnte. Fünf Tage die
       Woche habe ich mich von einer militaristischen Lehrerin behandeln lassen
       wie ein Kleinkind. Aber danach war ich stolz und glücklich, weil ich meiner
       Großmutter noch ein paar Sätze in ihr funktionierendes Ohr schreien konnte,
       bevor sie starb.
       
       Absurderweise bin ich auch mal einen Halbmarathon gelaufen. Ich wollte
       einfach wissen, ob ich das kann. Also trainierte ich ein halbes Jahr lang,
       lief erst 3 Kilometer mit Pausen, irgendwann 8 am Stück, kurz vor dem
       großen Tag hatte ich einmal 14 geschafft und besaß außerdem eine dieser
       peinlichen Stirnlampen, die mir im Winter den Weg durch die Dunkelheit
       leuchtete. Dann war Frühling und ich lief 21,0975 Kilometer durch Berlin.
       Ich will das wirklich nicht nochmal machen, aber toll war die Erfahrung
       trotzdem. Außerdem schön und (minimal) anstrengend: ganz allein ein
       Kreuzworträtsel lösen. Doch noch auf die Geburtstagsparty gehen, obwohl man
       sich im Bett verkriechen will. Jemandem wirklich zuhören. Ein ganzes Buch
       durchlesen. Einen Text schreiben.
       
       Für viele dieser Aufgaben gibt es heute Abkürzungen. Gut, einen
       Halbmarathon muss man noch selbst laufen, aber ich kenne Menschen, die
       finden, dass es sich nicht mehr lohnt, eine Fremdsprache zu lernen, weil
       Übersetzungssoftware präzise und schnell die Kommunikation übernehmen kann.
       Das Kreuzworträtsel kann eine KI für mich lösen, gratulieren kann ich auch
       per Sprachnachricht, Musik und Bücher können Maschinen schreiben. Selbst
       eine Meinung muss man sich eigentlich nicht selber bilden, man kann einfach
       das denken, was die Leute denken, zu denen man am liebsten dazugehören
       will. Und es soll ja sogar Menschen geben, die es erstrebenswert finden,
       wenn personalisierte [1][Bots für uns kuratieren, welche Beziehungen sich
       lohnen], mit wem wir sprechen und befreundet sein sollten, wer sich als
       Partner*in eignet – und wer eben nicht.
       
       Gerade schaue ich oft auf die Welt und finde es wunderlich, wie viele von
       uns bereitwillig ihre besten Qualitäten aufgeben. Ich weiß schon, dass
       andere vom Gegenteil überzeugt sind, davon, dass wir besser werden, wenn
       wir unsere Grenzen überwinden, wenn wir mithilfe von Technologie nach der
       Unsterblichkeit greifen, körperlich, geistig. Aber mir fällt es schwer,
       darin mehr zu sehen als Größenwahn.
       
       Dann wiederum schaue ich auf meine kleinen Gedanken und frage mich, ob
       etwas mit mir nicht stimmt, weil ich die Begrenztheit des Menschseins so
       wichtig finde. Vielleicht ist meine Kritik bloß bildungsbürgerliche Pose?
       Vielleicht bin ich zynisch und früher als erwartet zu einer engstirnigen
       Fortschrittsfeindin geworden? Vielleicht habe ich auch nur Angst, dass
       meine Arbeit, dass mein Schreiben bald nichts mehr bedeutet?
       
       Es stimmt, ich habe wirklich Angst vor Bedeutungslosigkeit. Das klingt nach
       einem peinlichen Geständnis, nach etwas, das man mit gesenkter Stimme
       zugeben muss – dabei ist es doch im Grunde sehr menschlich. Wer sich stark
       über etwas definiert, geht erst mal verloren, wenn es verschwindet. Das war
       für meinen Vater so, als er in Rente ging. Das war für meine Tante so, als
       Karstadt drohte, die Filiale zu schließen, in der sie ihr halbes Leben lang
       arbeitete. Das war so für viele Menschen, die an die DDR glaubten oder an
       die USA. Ein großer Teil von mir ist eine Schreibende. Natürlich will ich
       als solche gewollt werden.
       
       Der Vorteil am Schreiben ist allerdings, dass es mir niemand wirklich
       wegnehmen kann. Eine Schriftstellerin kann ihren Beruf verlieren, ihren
       Verlag, ein in der Regel unterdurchschnittliches Einkommen. Aber selbst
       wenn sich gar kein Geld mehr damit verdienen ließe, könnte sie noch
       schreiben, wie und was sie wollte.
       
       Auch deshalb habe ich weniger Angst davor, von einer KI ersetzt zu werden
       als vor den Nebenwirkungen dieser Entwicklung: der Entwertung
       menschengemachter Dinge und dem Verlust von gegenseitigem Interesse. Wenn
       niemand mehr den Roman einer echten Person lesen will, wenn es unwichtig
       wird, weshalb sich jemand für ein Thema, eine Geschichte, eine Melodie
       entschieden hat, weil es nur noch um das fertige Produkt geht – dann
       verändert sich auch das Schreiben selbst, das doch sonst so sehr darum
       ringt, eben nicht egal zu sein. Es ist ein bisschen wie mit Schrödingers
       Katze: Existiert ein Text, solange ihn niemand gelesen hat? Lohnt es sich,
       etwas zu sagen, wenn keiner zuhört? Was ist Schreiben ohne Publikum?
       
       Ich fürchte mich vor leeren Worten, auch ohne KI. Bei allem, was ich
       schreibe, bin ich früher oder später überzeugt, etwas völlig Belangloses,
       Unverständliches verfasst zu haben. Etwas, das nicht über mich
       hinausreicht. Schreiben ist schließlich Kommunikation, also der Versuch,
       etwas zu erkennen, zu verstehen und möglichst so in Worte zu fassen, dass
       jemand anderes den eigenen Gedanken folgen kann. Das gelingt nicht immer.
       Aber wenn es gelingt, ist es fantastisch. Nicht, weil man dann die
       Verfasserin des Textes als geniale Autorin feiern muss, sondern weil es uns
       miteinander verbindet und in Beziehung setzt, Absender und Empfänger, in
       Gefühlen und Gedanken. Und zwar, ohne dass wir uns dafür tatsächlich
       nahestehen müssen. Deshalb ist wenig so tröstend wie eine gute Geschichte –
       und die Vorstellung, dass einer versucht, sich verständlich zu machen,
       während ein anderer versucht zu verstehen.
       
       Technische Innovation deshalb grundsätzlich abzulehnen ist natürlich
       Quatsch. Ich will meinen Computer nicht missen, moderne Medizin ist ein
       Geschenk, und es ist großartig, wie das Internet Wissen zugänglicher und
       Kommunikation einfacher gemacht hat. Es ist faul, über künstliche
       Intelligenz zu sprechen, als handele es sich entweder [2][um den Teufel]
       oder den Erlöser. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass wir neuen
       Erfindungen oft erst einmal skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, der
       Schrecken vor dem Unbekannten mit der Zeit aber abnimmt. Als Anfang des 19.
       Jahrhunderts die Fotografie erfunden wurde, hatten Maler*innen Angst,
       ihre künstlerische Berechtigung zu verlieren. Wir wissen heute, dass dem
       nicht so war, sondern sich die Fotografie letztendlich als weitere
       Kunstform – neben und nicht anstatt der Malerei – etablierte.
       
       Nur ist das Problem mit der KI ein anderes: Während Maler*innen wie
       Fotograf*innen sich mit dem Gegenstand und dem Prozess ihrer Kunst
       auseinandersetzen, laden generative KI-Modelle dazu ein, die
       Auseinandersetzung auszulassen. Am Ende steht dann trotzdem ein Bild, ein
       Text oder ein Album. Aber ist das wirklich interessant?
       
       Es gibt Bereiche, in denen der Einsatz künstlicher Intelligenz sinnvoll
       ist. Schon jetzt navigiert sie uns präzise von A nach B. Sie kann uns
       Bürokratie abnehmen und bei Recherchen unterstützen, sodass mehr Raum für
       kreatives und inhaltliches Arbeiten bleibt. Eine KI-Assistenz kann
       Schwangerschaften sicherer machen, Krebserkrankungen frühzeitig erkennen,
       verlässliche Vorhersagen über Extremwetterereignisse treffen und die Welt
       barriereärmer machen. Das ist toll. Dann wiederum erzählen mir Autoren
       (bisher waren es nur Männer), dass es echt geil ist, die KI mit Absätzen
       ihres nächsten Romans zu füttern, um sich [3][Vorschläge für den weiteren
       Verlauf der Geschichte] machen zu lassen. Erwachsene programmieren sich
       [4][devote Lebenspartner*innen], mit denen sie vermeintlich
       entspanntere Beziehungen führen. Und Kinder vertrauen sich lieber einem
       Chatbot an als den Menschen um sie herum. Möglichst berechenbar und
       verfügbar soll alles sein. Vielleicht auch, weil sich das Gefühl
       eingestellt hat, sich auf nichts mehr wirklich verlassen zu können.
       
       Anscheinend schätzt kaum noch jemand die Zufälligkeit und das kleine Chaos
       eines Menschenlebens. Meine persönliche Dystopie der nächsten Jahrzehnte
       beruht auf diesem Leichtsinn – genauer gesagt auf der politischen Trägheit
       und dem Unwillen, der Technologie in bestimmten Bereichen Grenzen zu
       setzen. Ich kann sie schon sehen, die Welt, in der niemand mehr Lust am
       eigenständigen Denken hat. In der nicht mehr der Lösungsweg zählt, sondern
       nur das Ergebnis. In der es wichtiger ist, etwas zu beherrschen, als es zu
       begreifen. In der es niemanden mehr kümmert, ob ein Video die Realität
       zeigt, solange es unterhaltsam ist. In der man sich nur noch mit
       Freund*innen und Familie umgibt und endlich nichts mehr mit all den
       anderen Leuten zu tun haben muss, den anstrengenden, den unberechenbaren.
       Die Welt, in der alle performen, abliefern und ihre beste Version werden
       wollen, aber nichts geben aufs Hadern, Irren und Zweifeln. Sie ist schon
       fast da.
       
       Den Gegenentwurf zu erzählen, ist schwieriger. Der, in dem uns die KI
       Viertagewochen ermöglicht und Jobs ohne Schichtsystem. In der sie Zeit
       freischaufelt, in der wir uns ausruhen oder etwas gestalten können. In der
       wir uns für mehr anstrengen als für die eigene Altersvorsorge, die
       Landesverteidigung und das Bruttoinlandsprodukt. Man vergisst das schnell,
       aber die schönsten Dinge tun Menschen schließlich nicht für eine Nation,
       sondern füreinander.
       
       Sie sammeln den Müll in der Nachbarschaft auf, lesen Schulkindern vor,
       engagieren sich in der Obdachlosenhilfe, mischen sich in Debatten ein,
       legen einen Garten an oder spielen Wohnzimmerkonzerte. Sie kümmern sich
       umeinander und flüchten nicht ins „mir doch egal“ – vorausgesetzt, sie
       haben die Zeit dafür. Und vorausgesetzt, sie lassen sich nicht auf die Lüge
       ein, dass auch diese Bemühungen nur eine weitere Belastung darstellen, die
       gern von einer Maschine übernommen werden kann.
       
       Nur, weil künstliche Intelligenz uns alles abnehmen könnte, heißt das
       nicht, dass wir uns alles abnehmen lassen müssen. Möglicherweise wäre es
       sogar hilfreich, wenn wir nicht zu komplett willenlosen Konsument*innen
       werden, während Milliardäre und Bigtech-Unternehmen ohne Rücksicht auf
       Gesetze und gesellschaftliche Verantwortung aus unserer Erschöpfung Kapital
       schlagen und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aushöhlen. Wir sind
       schließlich mehr als ein Haufen Daten. Und eine Abkürzung ist nicht immer
       der beste Weg zum Ziel.
       
       Studien deuten darauf hin, dass unsere kognitiven Fähigkeiten entscheidend
       abnehmen, je stärker wir uns auf KI verlassen. Wir vergessen den Weg zu
       dieser einen Bushaltestelle, wenn wir mehr auf den blauen Punkt im Handy
       als auf die Umgebung geachtet haben, und wir vergessen auch schneller den
       [5][Inhalt dieses einen Aufsatzes], den ChatGPT für uns geschrieben hat.
       Ich denke, die entscheidende Frage an dieser Stelle ist nicht, ob wir Texte
       nun mit oder ohne KI verfassen wollen. Die entscheidende Frage lautet:
       Wollen wir uns erinnern? An Inhalte, an Fehler, an Unstimmigkeiten, an
       Sackgassen. An Geschichte, und an unsere Rolle darin.
       
       Es ist leicht, gerade eine gewisse Verachtung für unsere Spezies zu
       entwickeln. Überall Krieg, Gewalt, Ignoranz, Hilflosigkeit. Daraus nährt
       sich die Behauptung, wir würden ohnehin keinen Unterschied machen. Aber wer
       sich erinnern kann und will, findet der Grässlichkeit zum Trotz gute
       Gründe, den Glauben an das Menschliche nicht ganz aufzugeben. Das ist
       wichtig, so wie es wichtig ist, dass wir nicht aufhören, miteinander in der
       Welt zu sein. Auch wenn es uns einiges abverlangt, weil Menschen nun mal
       nicht immer das tun und sagen, was wir uns wünschen.
       
       So eine Haltung setzt auch voraus, neugierig zu bleiben und sich nicht
       prinzipiell zu verschließen, weil man glaubt, im Recht zu sein. Ich habe
       mich also überwunden und diesen Text bis hierhin von einer KI prüfen
       lassen. Ich habe um Verbesserungsvorschläge gebeten und wurde schon wenige
       Sekunden später für meine langen Sätze gelobt („sehr schön!“), aber auch
       darauf hingewiesen, dass „ab und zu ein kurzer Satz als Kontrast die
       Wirkung steigern“ könnte. Außerdem könnte ich ein paar Adjektive
       rausschmeißen und redundante Passagen straffen, um „den rhetorischen Punch“
       zu erhöhen. Alles hilfreich, finde ich, und beeindruckend effizient.
       Trotzdem bin ich froh um meine Kolleg*innen in der Redaktion, die mit
       mir gemeinsam um treffende Formulierungen ringen, dabei auch mal
       unangenehme Fragen stellen und versuchen, mir Tocotronic-Zitate
       unterzujubeln.
       
       Und ich bin froh um mein wiederbelebtes Gehirn. Das rät mir, zum Schluss
       noch ein Buch aufzuschlagen und mich an eines meiner liebsten Zitate zu
       erinnern. Sie können ja darüber nachdenken, ob es Ihnen taugt.
       
       Die Leute haben (mit Hilfe von Konventionen) alles nach dem Leichten hin
       gelöst und nach des Leichten leichtester Seite; es ist aber klar, daß wir
       uns an das Schwere halten müssen; alles Lebendige hält sich daran, alles in
       der Natur wächst und wehrt sich nach seiner Art und ist ein Eigenes aus
       sich heraus, versucht es um jeden Preis zu sein und gegen allen Widerstand.
       Wir wissen wenig, aber daß wir uns zu Schwerem halten müssen, ist eine
       Sicherheit, die uns nicht verlassen wird; es ist gut, einsam zu sein, denn
       Einsamkeit ist schwer; daß etwas schwer ist, muß uns ein Grund mehr sein,
       es zu tun. 
       
       Rainer Maria Rilke, Briefe an einen jungen Dichter
       
       13 Dec 2025
       
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