# taz.de -- Die Grippe ist da: Impfen ist die Zärtlichkeit der Völker
> Die Deutschen sind Impfmuffel – auch, was die grassierende Grippe angeht.
> Dabei ist der Piks nicht nur für den Einzelnen gut, sondern für alle.
IMG Bild: Ein kleiner Piks für dich, ein wichtiger für alle
Die [1][Grippewelle] ist da, und sie droht heftiger auszufallen als in den
Jahren zuvor. Grund ist unter anderem ein neu aufgetauchter Subtyp, der
Mutationen an der Hülle aufweist und dadurch dem Immunsystem besser zu
entfliehen in der Lage ist. Ob diese neuen Mutationen auch zu schwereren
Verläufen führen, ist aktuell noch nicht klar.
Influenza ist keineswegs ein simpler grippaler Infekt, sondern eine schwere
Erkrankung, die in sanfteren Jahren in Deutschland an die 10.000 Todesopfer
fordert; in heftigeren Jahren an die 25.000. Gefährlich ist sie vor allem
für ältere Menschen und für Vorerkrankte. Für sie ist entsprechend auch die
Impfung empfohlen. Sie schützt zwar nicht vor Erkrankung, sehr wohl aber
vor einem schweren Verlauf: Bei älteren Menschen sinkt die
durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, nach Ansteckung ins Krankenhaus
eingewiesen werden zu müssen, um 32 Prozent; bei jüngeren Erwachsenen sind
es 66, bei Kindern sogar 73 Prozent.
Trotzdem lassen sich selbst Risikogruppen immer seltener impfen. Die Quote
bei Ü60-jährigen liegt aktuell gerade einmal bei 38 Prozent. In
Baden-Württemberg haben sich laut AOK nur 10 Prozent der Menschen gegen
Influenza impfen lassen – ein neuer Tiefstand.
Deutschland ist traditionell ein sehr impfkritisches Land. Das hängt auch
mit der zögerlichen Haltung der [2][Ständigen Impfkommission (Stiko)]
zusammen, die anders als in anderen Ländern sich sehr schwertut, Impfungen
zu empfehlen. Während die WHO die Influenza-Impfung für [3][alle Menschen
ab sechs Monaten] empfiehlt, hat die Stiko sich zu diesem Schritt [4][trotz
intensiver Appelle aus der Notfall- und Intensivmedizin] immer noch nicht
durchringen können.
## Impfskepsis der Deutschen
Es liegt auch nahe, die Impfskepsis der Deutschen als Ausdruck eines
falschen Learnings aus der Covid19-Pandemie zu deuten. Laut dem
Marktforschungsunternehmen Ipsos befürworten nur noch 49 Prozent der
Deutschen eine Impfpflicht bei ernsthaften Infektionserkrankungen: 2018 lag
der Anteil noch bei 62 Prozent.
Die intensiven Debatten über Nutzen und mögliche Schäden der Covid-Impfung
haben vermutlich zu einer allgemeinen Verunsicherung geführt. Grund dafür
war sicher auch die Kampagnenfähigkeit deutscher Impfskeptiker*innen, die
zu einer wahren Flut von vermeintlichen Post-Vac-Syndromen hierzulande
führten: Bis Ende März 2023 kamen fast [5][die Hälfte aller weltweiten
Verdachtsfälle auf Impfschäden nach Covid19-Impfung aus Deutschland]. Das
waren zu dem Zeitpunkt für Deutschland 1.452 Meldungen – das steht in
keinem Verhältnis zu der Aufmerksamkeit, die dem Post-Vac-Syndrom
zuteilwird.
Angesichts der immer wieder geforderten Aufarbeitung der Covid-Pandemie
stellt sich die Frage, inwiefern die Perspektiven von Expert*innen und
Gesellschaft hier immer weiter auseinanderfallen. Es ist nicht so, als wäre
aus der Pandemie überhaupt nichts gelernt worden: in der Enquete-Kommission
des Bundestages beispielsweise werden aktuell – unterbrochen von den
hanebüchenen Ausführungen einiger AfD-Abgeordneten – konkrete
Verbesserungen in Vorbereitung für kommende Herausforderungen diskutiert,
insbesondere eine bessere Ausstattung der Gesundheitsämter, bessere
Datenflüsse und die Herstellung und Vorhaltung medizinischer
Schutzausrüstung vor Ort.
Was in diesem Gremium aber nicht diskutiert wird, sind die
gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie. Der Versuch, auf soziale
Fragen technologische Antworten zu finden, setzt sich auch hier fort.
Das bedeutet für gesundheitlich gefährdete Gruppen eine fortdauernde
Individualisierung der Risiken: ein Trend, der gerade insgesamt den
Gesundheitsdiskurs durchzieht. Insofern ist eine Impfung auch eine Art
persönliche Gegenwehr gegen die anhaltenden Entsolidarisierungstendenzen:
einer schwereren Erkrankung vorzubeugen heißt eben auch, im Notfall weniger
auf eine verrohende Gesellschaft angewiesen zu sein. Die umgreifende
Ideologisierung der Impfdebatten hat dazu geführt, dass solche – traurigen,
aber ganz praktischen – Überlegungen für immer weniger Deutsche eine Rolle
zu spielen scheinen.
13 Dec 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.rki.de/DE/Themen/Forschung-und-Forschungsdaten/Sentinels-Surveillance-Panel/GrippeWeb/Aktueller-Wochenbericht/Wochenbericht_aktuell.html
DIR [2] /Ex-Chef-der-Staendigen-Impfkommission/!5993299
DIR [3] /Versorgungsnot-in-der-Kindermedizin/!5982363
DIR [4] https://www.deutschlandfunk.de/intensivmediziner-plaedieren-fuer-influenza-impfung-ab-sechs-monaten-102.html
DIR [5] https://www.aerzteblatt.de/news/post-vac-syndrom-mehr-als-die-haelfte-der-weltweiten-faelle-in-deutschland-registriert-fa81b2c0-5d69-421a-b678-3df4c085483b
## AUTOREN
DIR Frédéric Valin
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