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       # taz.de -- Historikerin über Frauen und die DDR: „Der Osten ist wie ein Laborexperiment“
       
       > Annette Schuhmann wollte wissen, wie sehr die DDR Frauen bis heute prägt.
       > Trennender als Ost und West seien die verschiedenen sozialen Schichten.
       
   IMG Bild: DDR hinterlässt Spuren bei den Nachgeborenen: Arbeiterin montiert 1968 Teile eines Motorrads im VEB Motorradwerk Zschopau
       
       taz: Frau Schuhmann, eine der Frauen, die Sie porträtiert haben, ist Paula.
       Sie ist 2001 geboren, trotzdem hat die DDR sie stark geprägt. Warum? 
       
       Annette Schuhmann: Paula ist in einem ostdeutschen Gebiet groß geworden.
       Ihre Eltern wurden in der DDR sozialisiert. Irgendwann entstand bei ihr der
       Wunsch, mehr zu erfahren über die Herkunft ihrer Eltern. In den 60ern,
       70ern haben Menschen ihre Eltern gefragt, was sie im „Dritten Reich“ getan
       haben. Den Wunsch nach Antworten gibt es jetzt auch: Warum habt ihr
       zugeschaut, als eine Mauer gebaut wurde? Habt ihr nichts gewusst über
       politische Gefangene in der DDR?
       
       taz: Und dazu kommen noch Vorurteile und Klischees. 
       
       Schuhmann: Ja. Die [1][ostdeutsche Identität] wurde Paula dann während des
       Studiums schnell bewusst. Wenn Paula mit ihren Freund*innen die
       Wahlergebnisse beobachtet und merkt, dass [2][Ostdeutschland immer blauer]
       wird, dann wird deutlich, dass ein großer Teil ihrer ehemaligen
       Mitschüler*innen wahrscheinlich eine rechtsradikale Partei gewählt hat.
       Wenn sie an ihren Heimatort zurückkehrt, kann sie sich nicht so bewegen,
       wie sie es in Berlin tut. Sie muss aufpassen, was sie in der Öffentlichkeit
       sagt, kann bestimmte Sticker nicht tragen, weil es die Zuschreibung gibt,
       alle Westdeutschen seien „links verseucht“. Irgendwann weiß man
       wahrscheinlich selber gar nicht mehr, wie man sich bewegen soll.
       
       taz: Haben Sie es als Historikerin, aber auch als Frau aus der DDR satt,
       immer wieder über die AfD sprechen zu müssen? 
       
       Schuhmann: Nein, ich denke eher, dass das Thema unterkomplex diskutiert
       wird. Schon vor der AfD gab es Neonazis, in der DDR genauso wie in der BRD.
       Es gab 1945 ja keinen Bevölkerungsaustausch, sondern eher ein kollektives
       Verdrängen der Geschichte der 1930er und 40er Jahre. In der DDR wurde eine
       Entlastungsgeschichte angeboten: „Alle Nazis sind im Westen.“ Die ersten,
       die sich erfolgreich wiedervereinigt haben, waren dann die Neonazis aus Ost
       und West.
       
       taz: Sie meinen, dass wir nicht nur auf Ostdeutschland blicken sollten? 
       
       Schuhmann: Ich würde mit einer Schwarzen Person nur ungern mit den
       öffentlichen Verkehrsmitteln nach Brandenburg fahren. Es gibt ganze Dörfer,
       in denen die AfD mit überwältigender Mehrheit gewählt wurde. Die These von
       den abgehängten Ostdeutschen ist jedoch nicht haltbar. Ich war vor Kurzem
       in Oberhausen, im Ruhrgebiet: Wenn es eine abgehängte Gegend gibt, dann
       dort! Die Geschäfte sind geschlossen, das Kulturangebot ist miserabel, es
       gibt überwiegend weiße Alte und migrantische Junge. Dazwischen gibt es
       nichts. Die Wahlergebnisse im Ruhrgebiet sind nicht minder beängstigend.
       
       taz: Wie sollten wir dann über Rechtspopulismus reden? 
       
       Schuhmann: Die Zunahme von Rechtspopulismus ist ein europäisches Phänomen.
       Vielleicht hört sich das pathetisch an, aber die grundsätzliche Frage ist
       doch: Ist der Kapitalismus eine zukunftsfähige Gesellschaftsform? Im Osten
       kann man sehen, was passiert, wenn wir Lösungen für die soziale Frage oder
       den Klimawandel nicht stärker angehen. Warum jemand die AfD und damit eine
       eindeutig demokratiefeindliche Partei wählt, sollte genauer untersucht
       werden. Aber vielleicht sollten wir einander mehr zuhören.
       
       taz: Was meinen Sie? 
       
       Schuhmann: Viel wichtiger als der Unterschied zwischen Ost und West ist ein
       ungerechtes Sozialsystem. Wie gerecht ist diese Gesellschaft, in Bezug auf
       Bildung, auf Gleichstellung, auf die Beteiligung an Machtstrukturen? Wer
       prägt die Medien? Wie werden Fragen gestellt, die den Osten betreffen?
       Viele gesellschaftliche Gruppen sind an den politischen
       Aushandlungsprozessen nicht beteiligt.
       
       14 Dec 2025
       
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