# taz.de -- Ukrainischer Politologe: „Dieser Skandal schwächt Selenskyjs Verhandlungsposition“
> Trumps neue „Friedensoffensive“ kommt nicht zufällig jetzt, sagt der
> Politologe Wolodymyr Fesenko. Anlass ist auch der aktuelle
> Korruptionsskandal.
IMG Bild: Schlechte Karten für Präsident Selenskyj? Zu Besuch bei Präsident Trump am 17. Oktober in Washington
taz: Herr Fesenko, heute kehrte Präsident [1][Selenskyj] von einer längeren
Auslandsreise zurück. Ist die Ukraine in seiner Abwesenheit vor dem
Hintergrund des [2][Korruptionsskandals] ein anderes Land geworden?
Wolodymyr Fesenko: Nein, wir hatten diese Probleme ja schon vor der Abreise
von Präsident Selenskyj nach Europa.
taz: Aber die Rücktritte von Ministern, die Rücktrittsforderung an die
Regierung und an den Leiter der Präsidialadministration haben doch eine
neue Qualität.
Fesenko: Von wem kommt die Rücktrittsforderung an die Regierung? Vor allem
von Ex-Präsident Poroschenko und seiner Fraktion Europäische Solidarität.
Wie es jetzt weitergeht, hängt davon ab, wie flexibel Präsident Selenskyj
auf die Konflikte reagiert, wie gut er den Dialog mit seiner Fraktion,
konkurrierenden Kräften und der Gesellschaft moderiert.
taz: Also keine neue Regierung?
Fesenko: Es kann durchaus sein, dass der eine oder andere Minister, oder
auch der Leiter der Präsidialadministration noch zurücktritt. Etwa, wenn
weitere Details von korrupten Handlungen an die Öffentlichkeit kommen.
taz: Vor wenigen Tagen hatte der Abgeordnete der Regierungspartei Diener
des Volkes, Mykyta Poturajew, eine Erklärung von Abgeordneten der Diener
des Volkes veröffentlicht, die eine neue Regierungskoalition fordern.
Fesenko: Poturajew wird maximal von 10 Abgeordneten der Diener des Volkes
unterstützt. Fraktionschef David Arachamia hat die Fraktion weiterhin in
der Hand – und damit ist die Mehrheit im Parlament gesichert. Gleichwohl
besteht die Gefahr, dass direkt gewählte Abgeordnete die Fraktion
verlassen. Dann könnte die Fraktion die parlamentarische Mehrheit
verlieren, was wiederum eine parlamentarische Krise auslösen würde. Auch
besteht das Risiko, dass die Fraktion auseinanderbricht.
taz: Es wird also keine neue Regierung, möglicherweise aber Neubesetzungen
geben?
Fesenko: Ja, ich halte eine Neubesetzung des Leiters der
Präsidialadministration für möglich. Möglich wäre auch, dass
Premierministerin Syridenko in das Präsidialamt wechselt. An ihrer Stelle
könnten Oxana Makarowa, Ex-Botschafterin in den USA, Michail Fedorow oder
Taras Katschka treten. Aber die meisten Minister werden ihre Posten
behalten.
taz: Haben die Korruptionsskandale Einfluß auf den Verhandlungsprozess zur
Beendigung des Krieges?
Fesenko: Ja, dieser Skandal schwächt die Verhandlungsposition von Selenskyj
und der Ukraine. Nicht nur bei Friedensverhandlungen, auch bei Hilfen für
die Ukraine oder Reparationszahlungen, wie sie gerade die EU diskutiert.
taz: Ist es Zufall, dass gerade jetzt, wo die Ukraine mit der
Korruptionsaffäre kämpft, wieder von Friedensverhandlungen die Rede ist?
Fesenko: Ich denke, dass die Trump-Administration die Situation ausnutzt
und glaubt, dass es so einfacher wird, Druck auf Selenskyj auszuüben.
taz: Und wie wird sich Selenskyj zu dem jetzt [3][teilweise bekannt
gewordenen US-Plan] verhalten?
Fesenko: Den von Witkoff und Dmitriew ausgearbeiteten Friedensplan wird
Selenskyj nicht annehmen. Da ist er auch zu einem Konflikt mit Trump
bereit. Selenskyj wird keine großen Zugeständnisse machen. Ein
kommissarisch eingesetzter Regierungschef oder Präsident hingegen
vielleicht schon.
taz: Welche Perspektiven haben Friedensverhandlungen?
Fesenko: Aktuell habe ich wenig Hoffnungen. Wenn die USA und die Russen
mitmachen, kann es bald zu Verhandlungen in Istanbul kommen. Aber schnelle
Ergebnisse wird es nicht geben. Ich sehe das so wie Kyrylo Budanow, Chef
des ukrainischen Militärnachrichtendienstes: Ich glaube, dass es vor Mitte
Februar kein greifbares Ergebnis geben wird. Russland will weiter
angreifen, Pokrowsk, Kupjansk einnehmen, in den Gebieten Saporischschja und
Dnipro weiter vordringen. Sie gehen davon aus, dass sie militärisch
überlegen sind. Und deswegen ist Russland aktuell nicht zu Verhandlungen
bereit.
taz: Zu welchen Kompromissen wäre die Ukraine bereit?
Fesenko: Die russische Seite will eine ukrainische Armee, die halb so groß
ist. Aber wir machen das nicht einseitig. Das heißt, wir verkleinern unsere
Armee nur, wenn auch Russland seine Präsenz in den besetzten Gebieten und
den Grenzgebieten zur Ukraine entsprechend verkleinert.
taz: Russland fordert einen offiziellen Status der russischen Sprache in
der Ukraine.
Fesenko: Der Großteil unserer Gesellschaft, nicht alle, lehnen seit Beginn
des Angriffes auf die Ukraine alles Russische ab: die Sprache und die
Kultur. Gleichwohl kann ich mir hier einen Kompromiss vorstellen. Wir
könnten der russischen Sprache im Einklang mit der Europäischen Charta der
Regional- und Minderheitensprachen einen Minderheitenstatus einräumen.
20 Nov 2025
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## AUTOREN
DIR Bernhard Clasen
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