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       # taz.de -- Poesie auf Tiktok: „Ich bin eine Stimme dieser Zeit“
       
       > Clara Lösel ist Dichterin und Tiktok-Phänomen. Ihre Texte sind generisch
       > und einfach, treffen dabei aber für viele in Krisenzeiten einen Nerv.
       
   IMG Bild: Erzählt von einer „Hoffnungspflicht“: Clara Lösel auf Lesereise
       
       Wie belebt man etwas wieder, das kaum noch Beachtung findet? Tiktok –
       lautet die Antwort heutzutage. Das zeigt Clara Lösel, eine der bekanntesten
       jungen Lyrikerinnen im Land der Dichter und Denker. Die 26-jährige
       Gießenerin [1][geht derzeit mit ihrer Lyrik und Poesie in den sozialen
       Medien viral]. Auf Instagram hat sie fast 360.000 Follower, auf Tiktok
       165.000 und über 6 Millionen Likes. Mit ihrem Buch „Wehe du gibst auf“, das
       auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste landete, befindet Lösel sich
       derzeit auf gleichnamiger Deutschlandtour.
       
       „Es gibt viele Gründe aufzugeben“, sagt Lösel, als die taz sie am Telefon
       im Hotel in Bayreuth erreicht. Dort startet am Abend ihre Tour. Aber
       aufgeben sei keine Lösung. „Ich glaube, dass wir eine Hoffnungspflicht
       haben“, sagt sie. Und wie bleibt man hoffnungsvoll? „Hoffnung hat man
       nicht, Hoffnung macht man“, zitiert die Poetry-Slammerin aus ihrem Buch.
       
       Genau so könnte es auf einem Wandtattoo oder Teebeutel stehen. Lösel
       begeistert damit. Sie trifft einen Nerv mit ihren Videos, in denen sie in
       direkter, einfacher Sprache über Einsamkeit, (Selbst-)Liebe,
       Schönheitsideale, Rechtsruck, Verlust geliebter Menschen und darüber, „wie
       man in dieser abgefuckten Zeit hoffnungsvoll sein kann“, spricht. Darin
       heißt es: „Ich bin mehr als meine Erfolge und mehr als meine Niederlagen.
       Ich bin mehr als Likes.“ Oder: „Wenn ich gekonnt hätte, dann hätte ich dir
       deine Angst genommen.“
       
       Ähnlich wie [2][das Phänomen Taylor Swift, scheint Lösel einen Nerv zu
       treffen], weil sie [3][universelle Erfahrungen in klarer und einfacher
       Sprache thematisiert]. Ihre schonungslose Ehrlichkeit macht sie nahbar;
       viele können sich mit ihren Texten identifizieren. Ihren Erfolg erklärt die
       dreifache Literaturpreisträgerin selbst mit den Worten: „Verletzlichkeit
       und Ehrlichkeit“. Nur die wenigsten würden sich vor Hunderten Menschen
       eingestehen, dass sie verletzt, einsam oder „heartbroken“ seien – Lösel tut
       genau das.
       
       ## Videos in wiederkehrendem Muster
       
       Ihre Videos sind roh, unbearbeitet und [4][folgen nicht den üblichen
       Tiktok-Tricks], wie schnelle Schnitte oder Tempoveränderungen. Sie folgen
       immer demselben Muster: ein Close-up von ihr, sie liest ihre Texte, wirkt
       nachdenklich, untermalt von bewegender Pianomusik. „Es lebt davon, dass man
       mir so tief in die Augen schauen kann und sieht, dass es mich auch bewegt
       und ich mich auch nicht verstecken kann“, erklärt Lösel. Die Scheu vor
       Social Media sei groß gewesen: „Ich struggle genauso wie alle anderen.“
       
       Das verbindet. Fans schreiben ihr, dass ihre Worte ihnen beim Entzug, bei
       der Überwindung der Essstörung oder der Depressionen geholfen hätten. In
       den Kommentarspalten häufen sich Kommentare, wie: „Das fühle ich so sehr“
       oder „Ich dachte, ich wäre die Einzige“. Einige lassen sich ihre Zeilen
       sogar tätowieren. In ihrem Onlineshop verkauft Lösel Tattoobögen mit Sätzen
       wie: „Liebe ist nie peinlich“, „Immer.gut.genug“ oder „produktiv ungleich
       wertvoll“.
       
       Eigentlich wollte die Gießenerin Lehrerin für Deutsch und Spanisch werden,
       erzählt sie. Ende 2023 erlegte sich die damals 24-Jährige dann eine
       100-tagige Tiktok-Challenge auf: Jeden Tag ein selbst geschriebenes Gedicht
       auf Tiktok posten. „Ich habe mein Leben lang geschrieben. Ich wollte
       einfach, dass die Leute meine Texte hören“, erzählt sie. Sie begann, die
       Videos für ihre 200 Follower zu posten, sie gingen schnell viral, Lösel
       bekam die ersten 100.000 Follower. Das Staatsexamen für Lehramt schließt
       sie ab und zieht für das Schreiben nach Berlin.
       
       Sie bedauere, dass jüngere Generationen Lyrik oft als „uncool und alt“
       abstempelten. Ihr Ziel sei es deshalb, [5][Menschen für Lyrik zu
       begeistern, die normalerweise nicht lesen würden]. Und es klappt: Viele
       würden ihr schreiben, dass sie erst durch sie den Zugang dazu gefunden
       hätten. „Ich glaube, dass viele gar nicht wissen, dass ich Lyrik und Poetry
       mache. Sie bleiben einfach an den Videos hängen und checken gar nicht
       sofort, dass es Poesie ist“, erzählt sie lachend. Eine große Hilfe sei aber
       auch Booktok, das junge Menschen motiviere, wieder zu lesen. Mit ihrem Buch
       war Lösel in diesem Jahr auf der Longlist von den Tiktok Book Awards für
       „Autorin des Jahres“.
       
       ## Essen zwei Nazis einen Döner …
       
       Darin spricht sie auch über die Pandemie, über Einsamkeit über die
       Unverbindlichkeit ihrer Generation. Fühlt sie sich wie eine Stimme der
       Gen-Z? „Nö. Ich spreche Themen an, die uns alle bewegen“, sagt Lösel. „Ich
       verstehe mich weniger als eine Stimme meiner Generation. Ich bin eine
       Stimme dieser Zeit.“
       
       Ihr Publikum spiegelt diese Einschätzung wider: Lösel steht auf Bühnen für
       die Bundesregierung, diverse Stiftungen, die Deutsche Fußballliga oder die
       Jugendklimakonferenz. Gleichzeitig landet sie mit ihren Texten im Politik-
       oder Deutschunterricht. Zu ihrer Tour kämen manchmal drei Generationen, die
       sich alle von ihren Texten angesprochen fühlten, erzählt sie. Wie schafft
       man das? „Ich glaube, dass wir alle gar nicht so unterschiedlich sind. Ob
       jung oder alt, ob rechts oder links, vegan oder Fleischesser,
       Unternehmer*in oder Student*innen: „Wir haben alle Gefühle.“
       
       Das Schubladendenken, das schnelle Verurteilen und die Lagerbildung machten
       ihr von all den globalen Schieflagen am meisten Sorge. Im Januar
       veröffentlichte Lösel ein Video auf Tiktok, in dem sie auf die die fehlende
       Akzeptanz von Vielfalt in rechtsextremen Kreisen anspielte. In dem Gedicht
       wollen zwei Nazis Döner essen gehen, tun es jedoch nicht, weil „Döner nicht
       deutsch ist“. Das Gedicht schließt mit den Worten: „Und so liegen sie dann
       traurig und hungrig später abends im Bett und denken sich, vielleicht wäre
       Vielfalt ja doch eigentlich ganz nett. Und so leisten Döner ihren Beitrag
       gegen Faschisten: Sie schmecken einfach zu gut – selbst
       Nationalsozialisten.“
       
       Die Idee ist nicht besonders originär, [6][seit Jahren sind auf
       Anti-AfD-Demos „Nazis essen heimlich Döner“-Plakate] zu sehen. Und dennoch:
       Lösels Video geht viral. Sie erhält viel Zuspruch, doch sie wird auch zur
       Zielscheibe rechtsextremen Hasses. Auf die letzte Doppelseite ihres Buches
       hat sie Screenshots abgedruckt mit beleidigenden rechtsextremen
       Kommentaren: „Ich hoffe, du wirst von unseren Nazis verprügelt“, steht
       dort, oder: „Ich hoffe, du wirst von unseren Flüchtlingen vergewaltigt.“
       Manchmal mache ihr das Angst, sagt Lösel. „Aber ich sehe nicht ein, mir den
       Mund von hassenden Menschen verbieten zu lassen.“
       
       Clara Lösel tritt auf ihrer „Wehe du gibst auf“-Tour am 22. November im
       Punch Line Club in Berlin auf.
       
       21 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.tiktok.com/@claraloesel?lang=en
   DIR [2] /Taylor-Swift-Die-Entzauberung-eines-Popstars/!6116701
   DIR [3] /Die-Wahrheit/!5046350
   DIR [4] /Vom-Netz-auf-die-Strasse/!6099248
   DIR [5] /Lesefoerderung-an-Schulen/!6100876
   DIR [6] /Demonstrationen-in-Berlin/!5086065
       
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   DIR Lilly Schröder
       
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