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       # taz.de -- Die Wahrheit: Kranker Mann, kranker Hummer
       
       > Die Winterwellen des Ungesunden gehen um: Eine nervenzerrüttende
       > Expedition in die männlichen Innereien eines absoluten Ausnahmezustands.
       
   IMG Bild: Der Zustand des kranken Mannes ist sehr, sehr, sehr schlecht
       
       Ich werde so gut wie nie krank. Während diese ganzen räudigen
       Kettenrauchtypen mit ihren gelben Fingern und grauen Gesichtern röchelnd
       und fluchend durch den Dreck krauchen, springe ich frommer Bursche stets
       mit roten Wangen wie ein Äpfelchen und munter singend durch die Welt.
       
       Ich werde nie krank, aber wenn ausnahmsweise doch, dann gern mal so
       richtig. So bin ich neulich bei kühlem Wetter draußen auf der Wiese und
       will eigentlich Blumen pflücken, doch es gibt keine Blumen mehr, weil es
       Herbst ist, im Grunde fast schon Winter und ganz kalt. Und dunkel auch, und
       plötzlich beginne ich, mordsmäßig zu frieren. Herz, Seele, Geist, Körper.
       Alles wird auf einmal eiskalt.
       
       Ich schaffe es gerade noch nach Hause, ächz, ächz. Nun bin ich sehr
       schwach. Ich muss mich auf einen Stuhl setzen. Appetitlosigkeit überfällt
       mich wie ein mageres böses Tier. Die Frau bringt mir das Fieberthermometer.
       Das wird über die nächsten Stunden nun mein treuester Begleiter in der Not
       sein.
       
       Es piept alarmierend, der Messwert ist da: O Gott! 36,9 Grad! Das gilt zwar
       gemeinhin als noch nicht besonders alarmierend, aber ich lasse mich davon
       nicht täuschen. Ich bin ja gerade erst krank geworden, und dafür ist es mir
       jetzt fast schon ein bisschen zu viel. Ich lege mich sofort aufs Sofa.
       Unter eine dicke Decke, und trotzdem friere ich von innen. Ich fühle mich
       unglaublich schlapp. Die Frau bringt mir Tee.
       
       ## Extrem heikel
       
       Bald spricht auch das Thermometer eine mehr als deutliche Sprache. 37,5
       Grad! Da beginnt es wirklich extrem heikel zu werden, da sind wir schon im
       roten Bereich angekommen: erhöhte Temperatur. Ich bin nun offiziell krank.
       Wenn das in dem Tempo weitergeht, bin ich in drei Stunden bei 45 Grad. Das
       hat noch keiner überlebt.
       
       Ich wette, auch meine Blutwerte sind gerade unter aller Sau. Verheerend,
       die Werte einer Moorleiche. Leber, Galle, was weiß ich, Leber noch mal. Ich
       kann das nur nicht messen. Selbst wenn nicht Wochenende wäre, wäre ich zu
       schwach, zum Arzt zu gehen.
       
       Ich könnte zur Notaufnahme im Krankenhaus. Aber auch da ist die Frage, wie
       ich es überhaupt dahin schaffen soll. Außerdem sind die ja immer völlig
       überlastet. Man soll da nicht wegen einer Lappalie hin, heißt es. Das hier
       ist zwar keine, im Gegenteil, aber sie würden es in ihrem Unverstand als
       eine abstempeln. Bei denen muss man schon den Kopf unter dem Arm tragen,
       damit sie auch nur einmal besorgt mit der Stirn runzeln.
       
       Ich verstehe sie ja. Sie sind im Stress, alle schreien und wollen was von
       ihnen. „Auwei, auwei, Hilfe, Hilfe, krank, krank!“ Unter dem Druck kann es
       selbstverständlich schnell mal zu Fehlurteilen kommen. Sie sehen ja nicht
       in mich hinein. Wie ich mich fühle. Wie sehr ich mich quäle. Also müsste
       ich dann mit irgendwelchen Simulanten zusammen stundenlang warten, weil sie
       erst die angeblich wichtigeren Fälle abarbeiten. Es gibt aber keine
       wichtigeren Fälle. Die Sache ist sonnenklar: Ich soll einfach verrecken.
       
       Das lange Warten würde ich in meinem Zustand ohnehin nicht überstehen. Da
       bleibe ich lieber auf dem Sofa liegen und warte darauf, dass es mir von
       selbst wieder besser geht. So unwahrscheinlich es mir in diesem Moment auch
       erscheint, dass nicht alles immer schlimmer wird.
       
       Mir bleibt auch nichts erspart: Ein Anflug von Kopfschmerzen jetzt. Also
       noch nicht richtig, sondern eher eine diffuse Vorahnung, die Kopfschmerzen
       nur so im Ansatz zitiert. Ich stöhne sehr laut, das verschafft mir in
       geringem Maße Linderung. Wahrscheinlich weichen auf diesem Weg die giftigen
       Dämpfe aus dem Körper, wie aus einem kochenden Wasserkessel. Fehlt nur noch
       das schrille Pfeifen des Ventils, denn bald bin ich fertig. Völlig fertig.
       Mittlerweile zeigt das unbestechliche Quecksilber sage und schreibe 37,8
       Grad Körpertemperatur an.
       
       Eine sagenhafte Eskalation! Jetzt fehlen nur noch 0,2 Grad bis zum echten
       Fieber. Wie muss das erst wüten, ich halte es ja jetzt schon kaum mehr aus.
       Hatte das überhaupt schon mal jemand? Ich werde lebendig in mir selbst
       gesotten wie ein Hummer im Topf. Wie ein kranker Hummer in einem Topf aus
       krankem Hummer.
       
       ## Große Sorgen
       
       „Geht’s noch?“, fragt die Frau. „Ist es sehr schlimm?“ Ich nicke tapfer.
       Die gemessene Temperatur verschweige ich. Ich will nicht, dass sie sich zu
       große Sorgen macht. Es genügt doch, wenn hier einer leidet und sich
       ängstigt. Sie ist noch nicht so alt und hat auch einen großen
       Freundeskreis. Sie wird bestimmt über meinen Tod hinwegkommen.
       
       Der Gedanke daran rührt mich plötzlich sehr, und ich weine ein bisschen vor
       mich hin. Meine arme Frau. Weil schlimm wird es ja doch für sie. Was soll
       sie ohne mich anfangen? Um wen soll sie sich kümmern, wen soll sie pflegen?
       
       Aber schnell bin ich auch zum Weinen zu kraftlos. Tränen sind sowieso
       schlecht, die rauben dem geschwächten Körper noch mehr Wasser, Salz und
       Mineralien. Und das ist für den Organismus ohnehin schon eines der
       Hauptprobleme. Dehydrierung, Nierenversagen, multiples Organversagen,
       Exitus. Deshalb muss ich die ganze Zeit trinken, das ist sehr anstrengend.
       Ich weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll. Ständig dieser Tee. Tee
       mit T wie Tod. Ich halte das bald alles nicht mehr aus.
       
       Jammernd und ächzend döse ich eine Weile vor mich hin. Ein Buch lesen, eine
       Serie gucken? Kein Denken daran in diesem nebligen Zwischenreich zwischen
       Leben und Tod. Ich schätze, selbst für eine letzte Ölung fehlt mir gerade
       die Energie. In meinen wilden Erhöhte-Temperatur-Träumen spricht mein
       verstorbener Großvater zu mir. Statt seiner Augen blicken mich glühende
       Kohlen an. Er trägt einen gestreiften Schlafanzug und raunt: „Du bist ein
       böses Mädchen.“
       
       Ich schrecke hoch. Was für ein Alb. Ich bin doch gar kein Mädchen und erst
       recht kein böses. Mit schwacher Hand angle ich nach dem Fieberthermometer
       und schiebe es mir mit letzter Kraft in den Mund.
       
       Aha, auf 37,6 gesunken. Wenn man bei den Dimensionen überhaupt noch von
       „gesunken“ sprechen kann. Geht es nun etwa wieder aufwärts? Ach was,
       aufwärts geht’s am Kilimandscharo, aber nicht hier. Das ist doch bloß ein
       Tropfen auf den buchstäblich heißen Stein; der Teufel geht einen halben
       Schritt zurück, nur um noch einmal richtig Anlauf zu nehmen, bevor er mich
       endgültig holt.
       
       5 Dec 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uli Hannemann
       
       ## TAGS
       
   DIR Männer
   DIR Krankheit
   DIR Tod
       
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