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       # taz.de -- Die Wahrheit: Bratäpfel mit Gefrierbrand
       
       > Deutschlands höchster Weihnachtsmarkt auf dem Watzmann hat einige
       > Überraschungen für wagemutige Adventsfreunde zu bieten.
       
   IMG Bild: In der dünnen Höhenluft enfaltet der Glühwein erst recht Wirkung
       
       Es ist vollbracht! Zehn Stunden hat der Aufstieg über die Watzmann-Ostwand
       gedauert. Nun hat es unsere Seilschaft endlich auf die Mittelspitze von
       Deutschlands dritthöchstem Berg geschafft. Belohnt werden wir mit
       Wohlgerüchen nach Anis, Zimt und gebrannten Mandeln. Auf dem zu beiden
       Seiten steil abfallenden Grat aus brüchigem Kalkfelsen fühlen wir uns
       allerdings extrem unsicher. Zum Glück hilft Leopold Hundsbichl uns beim
       Ablegen der bleischweren Bergsteigermontur.
       
       „Herzlich willkommen auf dem Berchtesgadener Höhen-Weihnachtsmarkt!“,
       haucht der Urbayer zitternd Kondenswölkchen in die minus 17 Grad kalte
       Atemluft. Im Alpenstädtchen ist Hundsbichl Vorsitzender des örtlichen
       Gewerbevereins und Leiter des Ordnungsamtes in Personalunion. Für den
       47-jährigen CSU-Politiker kein Widerspruch. „Wie hätte ich auch sonst ohne
       Sicherheitskonzept an die Genehmigung für unseren klimawandel-resistenten
       Tourismusmagneten kommen sollen?“
       
       Während einem im Tal bei frühlingshaften Temperaturen die Lust aufs
       Glühweintrinken vergehe, so unser Gastgeber, sei die Weihnachtsstimmung
       hier oben dank eisiger Mordskälte garantiert. „Und das noch auf Jahre
       hinaus!“, jubelt Hundsbichl in den aufziehenden Schneesturm. „Kommen Sie!“
       
       ## Shuttle-Flug zum Pop-Up-Verschlag
       
       Auf der verschneiten und teilweise nur einen Meter breiten Piste Richtung
       Hocheck kommen wir trotz Steigeisen nur langsam voran. Zwischen schräg
       stehenden Rostbratwurst-Buden, Lebkuchen-Häuschen und Wachskerzen-Ständen
       klaffen auf dem Markt immer wieder Lücken.
       
       „Dass die Befestigungsseile der Hütten bei klirrendem Frost irgendwann
       spröde werden, reißen und in die Tiefe rauschen, lässt sich leider nicht
       vermeiden“, lacht Hundsbichl. Der Spaß beim Besuch der winterlichen
       Advents-Gaudi komme aber trotzdem nicht zu kurz. „Die ins Tal gerutschten
       Pop-up-Verschläge werden sofort aus der Luft ersetzt. Achtung!“
       
       Als plötzlich aus dem Nichts ein Hubschrauber der Bundeswehr auftaucht, um
       den nächsten Schwung an solventen Touristen abzuseilen, bringen wir uns mit
       Hundsbichl schnell in Sicherheit. Sorgen, dass die ständigen Vibrationen
       durch Shuttle-Flüge dem Ökosystem schaden könnten, hat der Süddeutsche
       überhaupt nicht. „Ganz im Gegenteil! Für die Artenvielfalt ist der
       Weihnachtsmarkt ein absoluter Segen. Viele Besucher gehen direkt nach ihrer
       Ankunft verloren und verfranzen sich hoffnungslos im weitläufigen
       Watzmann-Massiv. Sehr zur Freude der hiesigen Bartgeier-Bestände. Pfundig,
       gell?“
       
       Es ist früher Vormittag. Wir haben uns mit Hundsbichl auf Schneeschuhen
       durch den dichten Eisnebel bis vor einen Glühweinstand gekämpft. Auf eine
       wärmende Stärkung hoffen wir allerdings vergebens. Der regungslose
       Verkäufer hinterm Tresen ist im Überwinterungsmodus und wirkt wie
       eingefroren. Stattdessen gibt es kalten Jager-Tee aus Hundsbichls
       Thermoskanne und ein paar Bratäpfel mit Gefrierbrand.
       
       ## Zehenloser Grinch
       
       Die Bude nebenan mit polarfähiger Winter-Funktionsbekleidung betreibt das
       Finanzgenie höchstselbst. „Der Berchtesgadener Höhenweihnachtsmarkt ist der
       einzige Ort, an dem sich das ohnehin viel zu teure Outdoor-Zeug noch mal
       mit einem Preisaufschlag von 500 Prozent weiterverkaufen lässt“, quiekt
       Hundsbichl und reibt sich die wulstigen Fäustlinge. Die Schlange aus
       bibbernden Gästen in viel zu dünnen Übergangsjäckchen gibt dem findigen
       Geschäftsmann recht.
       
       Langsam wird es dunkel. Unterbrochen von mehreren Lawinenabgängen haben wir
       die windschiefe Veranstaltungsbühne erreicht. Weil das abendliche
       Adventskonzert der Bad Reichenhaller Musikschule wegen des bitterkalten
       Wetters einseitig abgesagt wurde, muss Hundsbichl unterhaltungsmäßig
       umplanen. Auf seine Anweisung wird Bergsteiger-Ikone Reinhold Messner als
       Zweitbesetzung aus einer Gletscherspalte gezogen. Der alpine Mahner aus
       Südtirol soll auf dem Plateau als wütender Grinch ohne Zehen spuken und die
       Gäste zurück ins Basislager treiben. Danach ist für heute ausnahmsweise
       schon Schluss.
       
       „Ab 20 Uhr wird der Markt von Markus Söder und Gefolge für das Herstellen
       neuer Fressfotos benötigt“, freut sich Hundsbichl über eine saftige
       Geldspritze aus der bayerischen Staatskasse. Den Entrepreneur befällt beim
       Gedanken an randvolle Kassen ein Moment der Rührung. Seine Augen füllen
       sich m’it Tränen. Vielleicht ist es aber auch nur der schneidende Nordwind.
       „Schließlich ist Beschenktwerden seliger als Schenken“, ruft uns Leopold
       Hundsbichl beim Abstieg mit messianisch ausgebreiteten Armen hinterher.
       Noch im talwärts gelegenen Hotel meinen wir den Weihnachts-Guru von der
       Mittelspitze vorfreudig singen zu hören. „Morgen, Kinder, wirds was geben“.
       
       Der Watzmann ruft!
       
       2 Dec 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patric Hemgesberg
       
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