# taz.de -- Haushaltsverhandlungen 2026: „Millionen verlieren den Zugang zu humanitärer Hilfe“
> Der grüne Abgeordnete Boris Mijatović fordert mehr Geld für humanitäre
> Hilfe. Weniger bedeute, Menschen sterben zu lassen.
IMG Bild: Aus Myanmar geflohene Rohingya im Flüchtlingslager in Bangladesch. Dort leben sie auf engstem Raum und von 12 Dollar im Monat
taz: Herr Mijatović, Sie haben gerade das Flüchtlingslager Kutupalong nahe
der Küstenstadt Cox’s Bazar in Bangladesch besucht. Warum gerade dieses?
Boris Mijatović: Weil es das Größte der Welt ist und niemand mehr
hinschaut. 1,2 Millionen Rohingya, eine ethnische Minderheit, die vor
Verfolgung und Gewalt aus Myanmar geflohen sind, leben dort auf engstem
Raum. Offiziell dürfen sie das Lager nicht verlassen, nicht arbeiten, nicht
studieren. Sie leben in Bambushütten, die für einen temporären Aufenthalt
gebaut wurden, sind zum Teil aber schon acht Jahre dort. Gambia hat vor dem
Internationalen Gerichtshof ein Verfahren gegen Myanmar wegen des Genozids
an den Rohingya eingeleitet, Deutschland ist diesem 2022 beigetreten.
taz: Das Verfahren läuft noch. Mit wem waren Sie in Kutupalong?
Mijatović: Ich war auf eigene Initiative mit der Referentin aus meiner
Fraktion unterwegs. Vor Ort trafen wir auf Staatssekretär Saathoff aus dem
Entwicklungsministerium. Als Berichterstatter meiner Fraktion für
humanitäre Hilfe und Vorsitzender des Unterausschusses Internationale
Ordnung, Vereinte Nationen und internationale Organisationen ist es wichtig
zu wissen, wie die Lage vor Ort wirklich ist. Außerdem wollte ich die
Aufmerksamkeit auf [1][die Rohingya und die Lage in Myanmar richten], das
ist eine der vergessenen Katastrophen.
taz: Die internationale Hilfe ist stark zurückgegangen, die USA haben sich
unter Präsident Trump komplett zurückgezogen, in anderen Ländern ist
gekürzt worden, auch in Deutschland. Was bedeutet das für die Menschen
dort?
Mijatović: Pro Kopf und Monat stehen für die Versorgung der Rohingya
derzeit 12 US-Dollar zur Verfügung. Vor zwei Jahren waren es schon mal nur
8 US-Dollar. Das verursacht Unterernährung, schlechte hygienische
Verhältnisse, Krankheiten, die sich leicht verbreiten, und dann hohe
medizinische Folgekosten. Was es jetzt dort gibt, ist das absolute Minimum.
Die Finanzierung für diese 1,2 Millionen Menschen muss höchste Priorität
haben. Wenn das Welternährungsprogramm oder Unicef, die das Wasser
bereithalten, gezwungen werden, weitere Gelder einzusparen und weiter zu
priorisieren, dann gibt es eine Triage-Situation: Die Helferinnen und
Helfer vor Ort müssen entscheiden, wer überleben darf und wer nicht.
taz: Das Geld für die humanitäre Hilfe, die im Außenministerium angesiedelt
ist, [2][ist im Haushalt 2025 um mehr als die Hälfte gekürzt worden]. Im
Haushalt 2026, der gerade verhandelt wird, soll es auf diesem niedrigen
Niveau stagnieren …
Mijatović: 2024 gab es für diesen Haushaltsposten im Auswärtigen Amt noch
2,24 Milliarden Euro, jetzt sind wir bei 1,05 Milliarden Euro. Ich hoffe
sehr, dass wir im Haushaltsverfahren des Bundestages auf den letzten Metern
noch etwas korrigieren können. Außenminister Johann Wadephul selbst hat
dafür geworben und auch seine Staatsministerin Serap Güler, die gerade in
Sudan und Tschad war und sich von der dramatischen Lage dort ein Bild
gemacht hat.
taz: Die Kürzung ist kein Spezifikum der schwarz-roten Bundesregierung,
auch die Ampel hatte eine drastische Kürzung für 2025 vorgesehen, damals
war Annalena Baerbock noch Außenministerin.
Mijatović: Ja, das stimmt, aber den Haushalt 2025 haben wir dann ja nicht
mehr beschlossen, vorher ist die Ampel zerbrochen. Ich hatte auch damals
schon gehofft, dass wir während des Verfahrens im Bundestag noch Geld
dazubekommen, das ist schon häufig gelungen. Denn wir im Bundestag
entscheiden den Haushalt – nicht die Regierung. Leider ist im Haushalt des
Auswärtigen Amtes nicht mehr viel Spielraum. Wenn Sie 10 Prozent kürzen
müssen, gibt es nicht viele Möglichkeiten, wenn sie nicht die
Goethe-Institute schließen oder bei den Botschaften massiv sparen wollen.
taz: Können Sie sagen, was die Kürzungen bei den Mitteln, die Deutschland
bereitstellt, konkret bedeuten?
Mijatović: Das hat die Organisation HELP für die Kürzung im Haushalt 2025
sehr genau ausgerechnet. Demnach würden fast 7 Millionen Menschen den
Zugang zu dringend notwendiger humanitärer Hilfe vollständig verlieren.
Statistisch würde das bedeuten, dass 4,3 Millionen Menschen keine
Ernährungshilfe mehr erhalten, 1,5 Millionen Frauen und Kinder den Zugang
zur Basisgesundheitsversorgung verlieren, 1,4 Millionen Menschen der Zugang
zu sauberem Trinkwasser, Sanitäranlagen und Hygienemaßnahmen verwehrt
bleibt, 580.000 Kinder den Zugang zu Bildung verlieren und 300.000
Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt nicht länger unterstützt
werden.
taz: Sie haben die Lage der Rohingya zu Recht eine vergessene Katastrophe
genannt. Gaza und die Ukraine stehen in der öffentlichen Wahrnehmung im
Vordergrund. Wie gehen Sie damit um?
Mijatović: Indem ich etwa dorthin reise. Ich glaube, es ist einer der
großen Erfolge der Weltgemeinschaft, dass sie sich gemeinsam dieser Aufgabe
bedarfsgerecht gestellt hat. Also analysiert hat, welche Hilfe es weltweit
auch jenseits der Aufmerksamkeitsökonomie braucht. Wir haben deshalb in
unserem Änderungsantrag zum Haushalt auch den sogenannten Fair Share
gefordert, das sind 3 Milliarden Euro für die humanitäre Hilfe.
taz: Was heißt Fair Share genau?
Mijatović: Das ist der Anteil, den Deutschland angesichts seiner
Wirtschaftsleistung an dem errechneten Bedarf an humanitärer Hilfe weltweit
leisten sollte. Und wir haben auch vorgeschlagen, 20 Prozent davon für
vergessene Krisen zu reservieren. So könnten wir dem Effekt, dass alle nur
auf das schauen, was gerade aktuell ist, ein bisschen entgegenwirken.
12 Nov 2025
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