URI:
       # taz.de -- Bezirksbürgermeister von Neukölln: Hikel will nicht weitermachen
       
       > Weil er zu wenig Rückhalt in seiner eigenen Partei sieht, zieht Martin
       > Hikel eine erneute Kandidatur als Bezirksbürgermeister überraschend
       > zurück.
       
   IMG Bild: Martin Hikel, aktuell noch Bezirksbürgermeister von Neukölln
       
       Die Neuköllner SPD hat es gerade nicht so mit ihren Führungsfiguren und
       löst – offenbar unbeabsichtigt – ein politisches Erdbeben aus. Nach einem
       Wahlergebnis von „nur“ 68,5 Prozent der Stimmen der Kreisdelegierten
       verzichtet der amtierende SPD-Landeschef Martin Hikel auf seine erneute
       Kandidatur für das Amt des Neuköllner Bezirksbürgermeisters im kommenden
       Jahr.
       
       Bei der Versammlung am Samstag hatte es Kritik von Parteilinken gegeben,
       die Hikel vorwarfen, sich medial zu sehr für sogenannte Verbundeinsätze von
       Polizei, Zoll und Ordnungsamt gegen „Clankriminalität“ einzusetzen. Auch
       dass er sich weigere, den Begriff „antimuslimischer Rassismus“ zu benutzen,
       wurde kritisiert. Schon Hikels Vorgänger*innen im Amt, Franziska Giffey
       und Heinz Buschkowsky, hatten sich öffentlich immer stark gegen
       „Clankriminalität“ positioniert – was bei vielen Neuköllner*innen, die von
       den häufigen Razzien in Kleingewerbebetrieben betroffen sind, nicht so gut
       ankommt.
       
       Es sind also Chaos-Wochen bei der hiesigen SPD: Erst vor gut einer Woche
       hatte sich der Neuköllner Kreisverband dagegen entschieden, der ehemaligen
       Landeschefin und amtierenden Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey einen
       sicheren Listenplatz für die Abgeordnetenhauswahl im nächsten Jahr zu
       geben. Ihr bleibt jetzt nur die Möglichkeit, über das Direktmandat in Rudow
       wieder ins nächste Abgeordnetenhaus zu kommen – dafür wurde sie am Samstag
       vom Kreisverband aufgestellt. Ihre Chancen sind so lala: 2021 siegte sie in
       Rudow, doch bei der letzten Wahl verlor sie den Wahlkreis an die CDU. Für
       ihre politische Karriere in Berlin ist das ein schwerer Dämpfer.
       
       Im Fall Hikel wurde am Samstagabend die Wahlversammlung abgebrochen. Das
       Ergebnis seiner Wahl zum Spitzenkandidaten gebe ihm nicht „ausreichend
       Rückenwind für einen erfolgreichen Wahlkampf als Bezirksbürgermeister, um
       die Herausforderungen in Neukölln in den kommenden Jahren zu bewältigen“,
       begründete Hikel seine überraschende Entscheidung.
       
       Giffey kommentierte dies auf Facebook mit „Bedauern“, sie könne die
       Entscheidung aber nachvollziehen, eine Spitzenkandidatur könnte man nur mit
       voller Rückendeckung der Partei durchstehen. „Das ist keine gute
       Entwicklung für die SPD. Ich hoffe, dass jetzt schnell ein guter Umgang mit
       dieser neuen unerwarteten Situation gefunden wird“, schrieb sie.
       
       Auch der Kreisvorsitzende der Neuköllner SPD, Joachim Rahmann, bedauerte
       gegenüber der taz Hikels Schritt, den er „menschlich verständlich“ nannte.
       Er wies zugleich darauf hin, dass andere Politiker*innen mit ähnlichen
       Wahlergebnissen am Samstag nicht zurückzogen hätten – auch er selbst habe
       bei der Wahl für die Liste zur Abgeordnetenhauswahl nicht mehr bekommen.
       „Wir haben in der Pause mit Martin Hikel gesprochen und ihn gebeten, dass
       mit uns durchzuziehen.“ Dass er sich anders entschieden habe, müsse man
       respektieren.
       
       ## Nicht links freidrehend
       
       Rahmann, der sich selbst dem linken Parteiflügel zuordnet, wehrt sich
       zugleich gegen die Darstellung, die am Montag in einigen Medien zu lesen
       war, ein links freidrehender Kreisverband lasse nun führende
       Politiker*innen fallen, weil die für „mehr Sicherheit“ sind. Bei der
       an Hikel geäußerten Kritik sei es nicht um Sicherheit an sich gegangen, so
       Rahmann, sondern zum einen um die mediale Betonung des Themas
       „Verbundeinsätze“, während Hikel zu anderen Themen wie Verdrängung durch
       hohe Mieten weniger offensiv auftrete. Zum anderen gebe es durchaus
       legitime Kritik am Begriff Clankriminalität: „Clan ist ein Familienverbund.
       Aber wir verfolgen Straftäter, keine Familienangehörigen, wie auch Martin
       Hikel immer betont.“ Wenn man gleichzeitig aber immer wieder den Begriff
       „Clankriminalität“ verwende, empfänden dies Teile der Partei als unstimmig.
       
       Hikel ist seit 2018 Bürgermeister von Neukölln und seit 2024 neben Nicola
       Böcker-Giannini Co-Chef der Berliner SPD. Der 39-Jährige, im ersten Beruf
       Politik- und Mathematik-Lehrer, war bei Amtsantritt jüngster
       Bezirksbürgermeister Berlins. Er folgte auf Franziska Giffey, die damals
       als Familienministerin in die Bundesregierung gewechselt war. Als Politiker
       [1][wolle er für die Bürger*innen „greifbar“ sein und sich für Bildung
       starkmachen], sagte Hikel damals.
       
       Im Amt stellte er sich wie seine Vorgänger Giffey und Buschkowsky gerne als
       „Pragmatiker“ dar. In den Kürzungsdebatten wandte er sich mehrfach im Namen
       des Bezirks gegen die Vorgaben der Landespartei und forderte mehr Geld für
       die Bezirke. Anders könne Neukölln seine selbst gesetzten Schwerpunkte
       nicht aufrechterhalten, darunter Jugendclubs, Kampf gegen Wohnungs- und
       Obdachlosigkeit und Angebote für Senior*innen.
       
       Nach dem Debakel um seine erneute Kandidatur hat der geschäftsführende
       SPD-Kreisvorstand beraten. Er sei zuversichtlich, dass bis Jahresende ein
       Spitzenkandidat gewählt werde, sagte Joachim Rahmann am Sonntagabend. Er
       betonte auch: „Das Team für die Landesebene und die Programmatik stehen.“
       
       Die Neuköllner SPD will nach dem Eklat vom Wochenende in den nächsten
       Wochen einen neuen Bewerber oder eine neue Bewerberin für das Amt des
       Bezirksbürgermeisters finden. Es gebe 3 bis 4 gute Kandidat*innen, ist aus
       Parteikreisen zu hören. Bis Jahresende spätestens will man sich entschieden
       haben.
       
       Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde um 17.25 Uhr aktualisiert.
       
       10 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Berlins-juengster-Buergermeister/!5527770
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
   DIR Uta Schleiermacher
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
   DIR Neukölln
   DIR Bürgermeister
   DIR SPD
   DIR Wahlkampf
   DIR Berliner Bezirke
   DIR SPD Berlin
   DIR AfD-Verbot
   DIR SPD
   DIR SPD
   DIR Mietendeckel
   DIR SPD Berlin
   DIR Neukölln
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Berliner SPD-Spitze tritt zurück: Alle gegen alle
       
       In Berlins SPD knallt es gewaltig. Nun kündigen die Landesvorsitzenden
       Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini überraschend ihren Rücktritt an.
       
   DIR AfD-Verbotsverfahren: Pose trifft Realität
       
       Die SPD stimmt im Abgeordnetenhaus gegen einen Antrag zur Einleitung eines
       AfD-Verbots. Dabei signalisiert die Partei ansonsten ihre Unterstützung.
       
   DIR SPD-Mitgliederbegehren: Wenn das Unbehagen laut wird
       
       Ein SPD-Mitgliederbegehren gegen die Verschärfungen beim Bürgergeld dürfte
       scheitern. Ungemütlich würde es für die SPD-Spitze trotzdem werden.
       
   DIR Drohsel über SPD-Mitgliederbegehren: „Die Stimmung erinnert an die Agenda 2010“
       
       Die ehemalige Juso-Chefin Franziska Drohsel sammelt in der SPD
       Unterschriften gegen schwarz-roten Sozialabbau. Für sie weckt das böse
       Erinnerungen.
       
   DIR Parteitag der SPD Berlin: Alte Tante macht Sachen
       
       Die Hauptstadt-SPD will den Berliner Mietendeckel wiederauferstehen lassen.
       Mit dem derzeitigen Koalitionspartner CDU wird das schwer zu machen sein.
       
   DIR Neuausrichtung der Berliner SPD: Vorläufig unbestimmt
       
       Berlins SPD startet ihren parteiinternen „Zukunftsprozess“. Die neue
       Doppelspitze sagt, sie wolle erst mal hören, was die Mitglieder sich
       wünschen.
       
   DIR Berlins jüngster Bürgermeister: „Manchmal fehlt mir etwas Logik“
       
       Bis zu seinem Amstantritt als Bürgermeister Neuköllns unterrichtete Martin
       Hikel Mathematik. Als Politiker will er greifbar sein.