URI:
       # taz.de -- Kunstpreis für inhaftierte Hanna S.: Die Kunst ehren, nicht das politische Handeln
       
       > Die Kurt Eisner Kulturstiftung zeichnet jetzt Hanna Schiller aus, obwohl
       > die Künstlerin kürzlich im Budapest-Komplex zu einer Haftstrafe
       > verurteilt wurde.
       
   IMG Bild: Damit bewarb sich Hanna Schiller auch für den 27. Bundespreis: „Ohne Titel“, 2022, zur Kette geknüpftes Papier
       
       Kann man Kunst und Künstlerin trennen? Wird eine Person verurteilt, kann
       man es dann auch mit ihrer Kunst tun? Das widerfuhr neulich der Künstlerin
       und Antifaschistin Hanna Schiller. Sie erhielt im März gemeinsam mit sieben
       weiteren Künstler:innen den Bundespreis für Studierende. Einer der
       wichtigsten Auszeichnungen für junge Künstler:innen in Deutschland,
       finanziert vom Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und
       Jugend. Doch dann verschwand ihr Name wieder von der Liste, die gestern
       eröffnete Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn mit allen
       Preisträger:innen zeigt Hanna Schillers fragile, verstörende Objekte
       nicht.
       
       Warum? Hanna Schiller, Jahrgang 1994, wurde nach vielen Monaten in
       Untersuchungshaft kürzlich vom Oberlandesgericht München zu fünf Jahren
       Haft verurteilt. Sie soll an einem gewalttätigen Angriff auf Neonazis in
       Budapest beteiligt gewesen sein, die sich dort zum alljährlichen „Tag der
       Ehre“ versammelten. Vielen weiteren Linken wird [1][im Budapest-Komplex]
       gerade der Prozess gemacht. Schon vor ihrer Verurteilung im September
       hatten rechte Medien ordentlich gegen die Nominierung von Hanna Schiller
       gehetzt, „Linksextremistin kriegt 45.000 Euro und Kunstpreis“ titelte die
       Bild. Blogger [2][sollen gar Druck auf Jurymitglieder des Bundespreises
       ausgeübt haben], sodass Zweifel aufkommen, wie unabhängig das Preiskomitee
       noch agieren konnte, als es Hanna Schillers Auszeichnung im Zuge ihres
       Gerichtsprozesses wieder aussetzte.
       
       Nun aber bezieht die Münchener Kurt Eisner Kulturstiftung Stellung in der
       Frage, ob man nun mit der Kunst auch das politische Handeln der Künstlerin
       ehre. Gerade verkündete sie, dass sie Hanna Schiller mit dem diesjährigen
       Kurt Eisner Preis auszeichenen möchte, „für ihre herausragende
       künstlerische Praxis“. Mit keinem Wort geht die Stiftung in ihrer
       Pressemitteilung auf Hanna Schillers antifaschistische Aktvitäten ein, auch
       nicht auf ihr kürzliches Hafturteil am [3][Münchener Oberlandesgerichts,
       das Kritiker:innen als „politisch motiviert“ und als „Gesinnungsurteil“
       deuten].
       
       ## Nicht die Person, sondern die Kunst
       
       Nicht auf die Person Hanna Schillers, sondern allein auf ihre Kunst will
       die Stiftung mit dieser Auszeichnung aufmerksam machen. Die mache
       „kontinuierlich drängende politische Themen wie etwa das Erstarken
       rechtsextremer Strömungen, die damit verbundene Krise der Menschenrechte in
       der aktuellen Migrationspolitik oder zum Beispiel strukturellen Sexismus,
       in hoher Reflexion einer Diskussion zugänglich“, heißt es in der
       Pressemitteilung.
       
       Hanna Schillers Objekte sind fein und verstörend: Ein Fußabtreter aus
       Frauenhaar, eine filigrane Kette aus Gesetzestexten, deren einzelne Glieder
       im Mittelmeer ertrunkene Geflüchtete versinnbildlichen. Haar, Garn und
       Papier verbindet Schiller, die bis zu ihrer Haft noch an der Akademie der
       Bildenden Künste Nürnberg studierte, scheinbar selbstverständlich mit
       handwerklichen Techniken. Ihre Kunst ist eindrücklich und irritierend, sie
       ist ästhetisch und sie ist sehr politisch.
       
       Vor Hanna Schiller hatte die Kurt Eisner Kulturstiftung seit 1988 eine
       ganze Reihe politischer Künstler:innen ausgezeichnet, Hans Haacke,
       Christian Boltanski, Olaf Metzel, zuletzt Silke Wagner und Friedemann
       Derschmidt. „Kunst kann nur gedeihen in vollkommener Freiheit … Der
       Künstler muss als Künstler Anarchist sein …“ zitiert die Stiftung ihren
       Namensgeber Kurt Eisner aus seiner Rede vor dem provisorischen Nationalrat
       am 3.1.1919.
       
       Die Ankündigung, den Preis an Hanna Schiller zu verleihen, fällt nicht nur
       auf die Eröffnung der Ausstellung zum Bundespreis für Kunststudierende in
       Bonn, deren Teilnehmer:innen übrigens vorab doch noch Hanna Schillers
       Arbeiten in einer Konterausstellung öffentlich zeigten. Im November 2025
       jähren sich auch die revolutionäre Beendigung der Adels- und
       Militärdiktatur in Deutschland [4][und die Gründung des Freistaats Bayern
       durch Kurt Eisner], den pazifistischen Revolutionär und ersten
       Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, zum 107. Mal. Es geht bei dem
       Ganzen natürlich um ein politisches Statement, aber auf der Ebene der
       Kunst.
       
       7 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Urteil-im-Budapest-Komplex/!6116073
   DIR [2] https://antifainfoblatt.de/aib147/kein-kunstpreis-fuer-hanna-eine-rechte-inszenierung
   DIR [3] /Prozesswelle-gegen-Antifas/!6116034
   DIR [4] /100-Jahre-Prozess-Hitler-Putsch/!5991766
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sophie Jung
       
       ## TAGS
       
   DIR Textile Kunst
   DIR Politische Kunst
   DIR Kurt Eisner
   DIR Linke Szene
   DIR Schwerpunkt Antifa
   DIR Social-Auswahl
   DIR Ungarn
   DIR Bildende Kunst
   DIR wochentaz
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Angriffe in Budapest: Mit welchen Mitteln gegen den Faschismus?
       
       Die Studentin Hanna S. steht wegen versuchten Mordes an Neonazis vor
       Gericht. Statt eines Kunstpreises droht ihr nun eine lange Haftstrafe.
       
   DIR Gasag-Kunstpreis für Mariechen Danz: Für Augen und Ohren, Bauchhirn und Kopfhirn
       
       In Mariechen Danz’ Körperbildern spiegeln sich Wissensordnungen. Ihre
       Ausstellung in der Berlinischen Galerie funktioniert wie eine begehbare
       Karte.
       
   DIR Ernst Tollers „Jugend in Deutschland“: Krieg und Revolution
       
       Ernst Tollers politisches Vermächtnis „Eine Jugend in Deutschland“ erschien
       1933 im Exilverlag Querido. Nur wird es reanimiert.