# taz.de -- Social-Media-Konsum als Guilty Pleasure: Instagram, der gruselige Spiegel
> Unsere Autorin hat viele gute Beziehungen, doch ihr Algorithmus auf
> Instagram weiß mehr: Er kennt ihren Alltag und Wünsche – was macht das
> mit ihr?
IMG Bild: Kurz mal schauen, wer man eigentlich ist
Immer wieder bin ich leider fasziniert davon, wie gut der
Instagram-[1][Algorithmus] ist. Als ich letztes Jahr ein paar Monate in
Amsterdam wohnte, verstand die App das sofort. Ich bekam lauter Content
über die Stadt eingespielt: Gastro- und Ausgehtipps, lustige Memes über das
Wetter und das viele Fahrradfahren. Instagram erkannte, dass ich Expat war,
und servierte mir Reels für diese Zielgruppe. Zum Teil auf Niederländisch
ohne englische Untertitel: Dass meine Sprachkenntnisse ausreichten, wusste
die App auch.
Als ich anschließend in Berlin in eine neue Wohnung zog und mir zum ersten
Mal in meinem Leben eine Zimmerpflanze kaufte, bekam ich ab sofort
Pflanzencontent eingeblendet. Lag es daran, dass mir eine Freundin ein
Pflanzen-Reel weiterleitete? Daran, dass ich in meinem Feed nun an einem
Beitrag über Pflanzenpflege hängen blieb, den ich vorher nie beachtet
hatte? Ich weiß es nicht.
[2][Instagram weiß hingegen], dass ich eine Läuferin bin und Yoga
praktiziere, dass ich auch gegenüber zahlreichen anderen Sportarten nicht
abgeneigt bin. Dass ich mich für Geopolitik, Kunst und Ballettaufführungen
interessiere. Welche Art von Büchern ich lese und dass ich selber schreibe.
Dass ich wahnsinnig gerne Kaffee trinke und neue Länderküchen ausprobiere.
Dass ich schon viel gereist bin und noch sehr viel sehen will. Dass ich es
liebe, viel zu früh am Flughafen zu sein, um mit einem überteuerten Kaffee
am Gate zu sitzen und das Rollfeld zu beobachten. Dass ich währenddessen
etliche Male überprüfe, ob mein Reisepass noch da ist.
Instagram weiß auch, dass ich keine Kinder habe und nicht verheiratet bin,
sodass der Algorithmus mir regelmäßig lustigen Content anzeigt à la:
[3][Der einzige Gang], den ich entlanggehe, ist der im Flugzeug – nicht der
zum Altar.
In der Vergangenheit [4][wusste der Algorithmus] nicht nur, dass ich Single
war. Er wusste auch, dass ich es schon ziemlich lange war. Ich bekam
ständig selbstironische Witze über Langzeit-Singles eingeblendet.
Er wusste, dass ich verletzt wurde, dass Dinge mit Menschen nicht so
gelaufen waren, wie ich mir das gewünscht hatte. Ich bekam Reels angezeigt
über Akzeptanz, Loslassen, Selbstliebe. Ihr Tenor: Du bist toll. Menschen
haben verschiedene Werte. Manche Menschen sind nur kurz in unserem Leben,
um uns etwas über uns zu zeigen. Der richtige Mensch ist da draußen noch
irgendwo. Aber eigentlich brauchst du auch niemanden. Mach dir mit dir
selbst eine gute Zeit.
Mittlerweile weiß der Algorithmus, dass ich wieder eine Beziehung habe. Es
ging los mit Couple-Content über Restaurantbesuche: lieber neben- als
gegenüber einander sitzen; Essen teilen; er isst meine Reste auf. Nun
bekomme ich permanent Reels über ein verliebtes animiertes Pinguin-Paar
eingeblendet, das sich kaputtlacht, weil einer pupst (der Mann natürlich).
## Reels schauen um 2 Uhr nachts
Ja, bisweilen eskaliert mein Instagram-Konsum, das gebe ich zu. Vor allem
ist das so, wenn ich allein bin. Dabei freue ich mich an solchen Tagen
immer auf meine Me-Time und plane, mich spätestens um 22 Uhr schlafen zu
legen, um am nächsten Morgen wie neugeboren aufzuwachen.
Stattdessen finde ich mich um zwei Uhr nachts wieder, wie ich mir KI-Videos
anschaue, in denen Planeten durchgeschnitten werden und ihr Inneres
hervorquillt. Inwiefern man die Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und
Neptun durchschneiden kann, erschließt sich zwar nicht, spannend ist es
dennoch. Ebenso, wie es aussähe, könnte man sich die Miniversion der
Planeten aufs Brot schmieren.
Diese Reels leite ich dann alle meinem Freund weiter, inklusive eines
passenden Reels, in dem es darum geht, dass man seinem Freund nachts um
zwei zahlreiche Reels weiterleitet, nachdem man ihm schon Stunden zuvor
„Gute Nacht“ getextet hat. Er fand übrigens, dass der Pluto-Brotaufstrich
am leckersten aussah.
Natürlich ist der Instagram-Algorithmus auch gefährlich. Nicht nur, weil er
uns zu Dopamin-Junkies macht und dafür sorgt, dass ich nicht genügend
Schlaf bekomme. Er ist vor allem gefährlich, weil er Echokammern verstärkt
und so zu Radikalisierung beiträgt.
Dennoch ist Instagram mein persönliches Guilty Pleasure. Ich bin ein sehr
vielseitiger Mensch mit unzähligen Hobbys und Interessen. Obwohl ich viele,
sehr gute Beziehungen in meinem Leben habe, glaube ich dennoch, dass
niemand wirklich alle Facetten von mir kennt. Aber der
Instagram-Algorithmus weiß und versteht alles.
Und wenn manchmal mein Kopf voller Arbeit ist, mich eine Aufgabe komplett
vereinnahmt, ich hektisch mit Terminen jongliere und abends meine
Gehirnkapazität nur noch dafür ausreicht, mich durch Reels zu swipen. Dann
erinnert mich der Algorithmus wieder daran, wer ich bin. Wie bunt und
vielseitig mein Leben ist. Wie viel ich noch sehen, wissen und entdecken
will. Ja, das ist gruselig. Aber es ist auch irgendwie schön.
20 Nov 2025
## LINKS
DIR [1] /Mensch-Maschine-Beziehung/!6087024
DIR [2] /Mensch-und-Internet/!6076162
DIR [3] https://www.tiktok.com/@char_x.o/video/7236261040353316123?lang=de-DE
DIR [4] /EU-Abgeordnete-zur-Digitalstruktur/!6072841
## AUTOREN
DIR Eva Fischer
## TAGS
DIR Instagram
DIR Algorithmen
DIR Daten
DIR Alltag
DIR Social Media
DIR Reden wir darüber
DIR GNS
DIR Digital
DIR Bertelsmann-Studie
DIR Kolumne Was macht mich?
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Digitale Rechte in Europa: Datenschützt euch doch selbst
Die EU plant eine umfassende Deregulierung ihrer Internet-Gesetzgebung.
Kritiker fürchten einen massiven Rückschritt für digitale Grundrechte.
DIR Bertelsmann-Studie zur Bundestagswahl: Algorithmen bevorzugen extrem rechte Inhalte
Beim Bundestagswahlkampf wurden Inhalte von der AfD in den sozialen Medien
bevorzugt angezeigt. Auch die Linkspartei profitierte.
DIR Mensch und Internet: Kapern, was uns längst verwandelt hat
Wir sind Angestellte der Vektorialistenklasse, die unsere Daten zu Geld
macht. Statt apokalyptischer Bros braucht es jetzt zarte Weichheit.