URI:
       # taz.de -- Folgen der Dürre: Der Wasserschock in der Türkei
       
       > Bursa und viele Regionen der Türkei leiden unter extremer Dürre, leeren
       > Staudämmen und Wasserknappheit. Experten warnen vor langfristigem Mangel.
       
   IMG Bild: Die Luftaufnahme vom 13. Oktober zeigt die sinkenden Wasserstände in den Stauseen Doganci und Nilufer
       
       Bursa, die viertgrößte Millionenstadt der [1][Türkei], hat den Beinamen
       Yesil Bursa, das grüne Bursa. Die Bewohner wären noch vor einem Jahr
       niemals auf die Idee gekommen, dass sie einmal unter Wassermangel leiden
       würden. Ganz im Gegenteil: Im Nordwesten des Landes gelegen, sorgten
       reichlich Regen und der Schnee vom nahen Berg Uludag dafür, dass eines der
       größten privaten Mineralwasserunternehmen der Türkei mit seiner Marke
       Erikli, die es am Uludag abfüllt, nicht nur das ganze Land, sondern auch
       Europa mit gutem Trinkwasser beglückt.
       
       Der Wasserschock Anfang Oktober traf die Einwohner von Bursa deshalb
       besonders hart. Die beiden größten Staudämme, die die Stadt mit Wasser
       versorgten, waren praktisch leer. Nur noch rund ein Prozent Füllmenge
       meldete der lokale Wasserversorger BUSKI. Für die erste Oktoberhälfte wurde
       das Wasser scharf rationiert und jeden Tag für 12 Stunden abgestellt. „Nur
       durch eine Notleitung zu einem weit entfernten Damm konnten wir überhaupt
       noch Wasser liefern“, sagte einer der Verantwortlichen von BUSKI vor
       wenigen Tagen.
       
       In anderen Teilen des Landes, vor allem im trockenen Südosten entlang der
       syrischen Grenze oder in Inneranatolien, ist Wasserknappheit nichts Neues,
       aber die Dimension des Wassermangels in diesem Jahr sprengt alle
       Vorstellungen. Nach den Daten der türkischen Wasserbehörde ist das Jahr von
       September 2024 bis September 2025 das schlimmste Dürrejahr seit über 60
       Jahren. Aus der Zeit davor gibt es keine genauen Aufzeichnungen. Die Folgen
       zeigen sich überall. Zunächst rein optisch. In vielen Staudämmen des Landes
       ist so wenig Wasser, dass nicht nur die Minarette wieder sichtbar werden,
       sondern ganze Dörfer auftauchen, die vor Jahren oder Jahrzehnten geflutet
       wurden.
       
       Schon im Sommer musste in den Touristenhochburgen entlang des Mittelmeers
       und der Ägäis Wasser rationiert werden. Dreimal duschen am Tag war nicht
       mehr drin. Im Herbst musste dann auch das Wasser in Izmir jeden zweiten Tag
       teilweise abgeschaltet werden, zentralanatolische Städte wie Konya, Sivas
       und Kayseri sind ebenfalls mit leeren Staudämmen konfrontiert. Laut
       Klimaforscher Professor Mikdat Kadioglu von der Technischen Universität
       Istanbul sind derzeit rund 70 Prozent des Landes von einer schweren bis
       außergewöhnlichen Dürre betroffen.
       
       Das hat außer dem spürbaren Wassermangel in vielen Städten vor allem Folgen
       für die Landwirtschaft. Im Durchschnitt waren von September bis September
       nur 422 Millimeter Regen gefallen, rund 30 Prozent weniger als üblich.
       Avocado-Plantagen, das neue grüne Gold im Süden des Landes, konnten nicht
       mehr bewässert werden und selbst die äußerst genügsamen Pistazienbäume im
       Südosten trockneten aus. Auf Avocados und Pistazien kann man ja zur Not
       noch verzichten, wirklich dramatisch ist die Situation im größten
       Getreideanbaugebiet der Türkei, dem Hochland zwischen Ankara und Konya.
       Hier versuchen die Bauern den Mangel an Regen durch intensives Abpumpen des
       Grundwassers auszugleichen, wofür sie immer tiefer bohren müssen, was
       bereits häufig zu plötzlich entstehenden, tiefen, großen Löchern geführt
       hat, weil die Erde angesichts der Hohlräume in der Tiefe einfach
       einstürzte.
       
       Bislang sah sich die Türkei trotz dieser Engpässe im Prinzip immer noch auf
       der sicheren Seite. Anders als in den Nachbarländern Irak, Syrien oder den
       südlichen Mittelmeeranrainerstaaten kamen auf schlechte Jahre gute Jahre
       und aus dem Taurus-Gebirge im Süden und den Gebirgszügen entlang des
       Schwarzen Meeres im Norden kam immer noch genug Wasser nach. Das ändert
       sich durch den Klimawandel nun dramatisch. Die „anhaltende Dürre“, sagte
       Professor Kadioglu der Zeitung Hürriyet, „ist kein einmaliges
       Extremereignis, sondern Teil einer langfristigen Entwicklung. Wenn wir
       nicht umgehend handeln, wird die Türkei bereits 2030 unter erheblichem
       Wasserstress leiden und 2035 zu den wasserarmen Ländern gehören“.
       
       Verschiedene Experten fordern ein Bündel von Maßnahmen, um dieser
       Entwicklung entgegenzusteuern. Wassersparende Landwirtschaft,
       Wasserrecycling in der Industrie, mehr Sparsamkeit im privaten Verbrauch
       und den Ausbau der kommunalen Wasserinfrastruktur.
       
       Wie schwierig das ist, lässt sich exemplarisch an der größten türkischen
       Stadt Istanbul zeigen. Tatsächlich ist es eine ungeheure Leistung, die rund
       18 Millionen Einwohner mit Wasser zu versorgen. Als vor drei Jahren die
       Staudämme der Stadt bereits einmal fast so leer waren wie jetzt in Bursa
       und die Stadt einer massiven Wasserregulierung nur dank rechtzeitiger
       Regenfälle noch entkam, begann die Stadtverwaltung mit dem kommunalen
       Wasserversorger ISKI zu planen, was man gegen zukünftige Dürren tun kann.
       Der Bau von Staudämmen ist weitgehend ausgereizt, schon jetzt wird Wasser
       aus Staudämmen, die mehrere hundert Kilometer weit entfernt sind, in die
       Stadt geleitet.
       
       Man hat begonnen, bestehende unterirdische Wasserleitungen zu reparieren,
       weil durch schadhafte Leitungen mehr als 30 Prozent des Wassers verloren
       geht. Außerdem wird über große Wasserspeicher nachgedacht. Auf der
       historischen Halbinsel Istanbuls gibt es etliche Zisternen noch aus der
       Zeit von Ostrom und Byzanz, die durch Aquädukte aus dem wasserreichen
       Norden der Stadt aufgefüllt wurden. Die Zisternen sind heute
       Touristenattraktionen, aber mit modernen Wasserspeichern kann man an diese
       Tradition anknüpfen.
       
       ## „Zweiter Bosporus“
       
       Zudem wird über den Bau von Meerwasser-Entsalzungsanlagen nachgedacht, die
       aber sehr teuer sind und an der Schwarzmeerküste auf der europäischen Seite
       der Stadt gebaut werden müssten, weil dort die Wasserknappheit am
       schlimmsten ist. Das ist in der zentralistischen Türkei aber kein
       kommunales – sondern ein nationales Projekt. Präsident Recep Tayyip Erdoğan
       hat aber am Schwarzen Meer ganz andere Pläne für Istanbul. Er will einen
       gigantischen Kanal ähnlich dem Panamakanal, als sogenannten „zweiten
       Bosporus“ vom Schwarzen Meer zum Marmarameer bauen lassen, um den
       vielbefahrenen Bosporus zu entlasten und vor allem mit neuen
       Baugrundstücken und Transitgebühren für die Schifffahrt viel Geld zu
       verdienen.
       
       Nach Einschätzung aller Experten würde ein solcher Bau allerdings eine
       ökologische Katastrophe für das Marmarameer nach sich ziehen und vor allem
       mehrere noch intakte Trinkwasserreservoire im Westen der Stadt zerstören.
       Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu ist deshalb wie die Mehrheit der
       Istanbuler Bürger strikt gegen den Bau des Kanals. Ein Grund für seine
       Verhaftung im März dieses Jahres dürfte der von ihm organisierte Widerstand
       gegen den Kanal sein. Seit er im Gefängnis sitzt, sind die
       Vorbereitungsarbeiten für den Kanalbau jedenfalls wieder intensiviert
       worden. Für die Wasserversorgung Istanbuls könnte das zum Desaster werden.
       
       3 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Tuerkei/!t5404167
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
       ## TAGS
       
   DIR Türkei
   DIR Wassermangel
   DIR Dürre
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Social-Auswahl
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Türkei
   DIR Ekrem İmamoğlu
   DIR PKK
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Klimawandel in Griechenland: Doppelte Herausforderung Wasserknappheit und Starkregen
       
       Athen ruft den Wassernotstand aus. Die Stauseen leeren sich, die
       Wasserreserven schrumpfen. Zugleich regnet es in Teilen Griechenlands
       verheerend.
       
   DIR Türkei-Urlaub: Mysteriöser Tod deutscher Familie in Istanbul
       
       Die Ursachen des Tods einer deutschen Familie sind noch nicht geklärt.
       Denkbar ist eine Vergiftung mit Insektengift. Der Türkei droht eine neue
       Tourismuskrise.
       
   DIR Türkei: Hunderte Jahre Haft für Erdoğan-Gegner İmamoğlu gefordert
       
       Dem aussichtsreichsten Herausforderer des Präsidenten droht eine Haftstrafe
       bis an sein Lebensende. Das Verfahren löst Kritik an der Regierung aus.
       
   DIR Prokurdischer Politiker in der Türkei: Kommt Selahattin Demirtaş bald frei?
       
       Ein rechtsextremer Koalitionspartner des türkischen Präsidenten Erdoğan
       setzt sich für die Freilassung des Oppositionellen ein. Das hat Gewicht.
       
   DIR EU-Klimaziel 2040 beschlossen: Umweltminister legen die Axt an
       
       Die EU-Umweltminister schwächen das EU-Klimaziel und verzögern
       Klimaschutzmaßnahmen. Das gefährde Umwelt und Industrie, warnen Kritiker.
       
   DIR Ohne Flugzeug: Wie Aktivisten zur Klimakonferenz nach Brasilien reisen
       
       Der Ort der Weltklimakonferenz ist schwer zu erreichen, wenn man nicht
       fliegen will. Drei Gruppen versuchen es dennoch – mit verschiedenen
       Methoden.
       
   DIR Hurrikan Melissa überrollt Kuba: Es trifft die ärmsten Provinzen
       
       Auch Teile Kubas wurden von Hurrikan Melissa verwüstet. Doch deutlich
       besser als wenn es die ganze Insel getroffen hätte, so kubanische
       Analysten.
       
   DIR Hoffnung für die Erneuerbaren: Firmen und Entwickler investieren groß in die Energiewende
       
       Eine britische Firma kündigt acht große Batterieprojekte an. Sie sollen
       grünen Strom speichern und Gas ersetzen. Alles ohne Förderung.