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       # taz.de -- Ewigkeits-Chemikalie TFA: Ein Stoff für die Ewigkeit
       
       > Das Chemiewerk in Bad Wimpfen hört auf, Trifluoressigsäure in den Neckar
       > zu leiten. Doch das Gift ist da. Und geht auch nicht mehr weg.
       
   IMG Bild: Neckar bei Bad Wimpfen: Von hier fließt das Gift weiter in den Rhein
       
       Jetzt regnet’s auch noch, ausgerechnet, so ein Mist! Denn alles spricht ja
       dafür, dass über den Regen das Gift hierher kommt, auf den Hang hinter der
       Chemiefabrik. Das hatte auch Karin Haug vom BUND gesagt, und die ist in der
       Sache schon seit Jahren aktiv. Die Fabrik liegt unten an der Straße, nahe
       am Neckar. Links schimmert die Doppelreihe ihrer zehn Destillationstürme
       weiß durchs Geäst. Sie ähneln Silos, zwei tragen ein elegantes hellblaues
       S, das Logo des Solvay-Konzerns.
       
       Direkt gegenüber recken sich die mittelalterlichen Türme der
       Ritterstiftskirche von Bad Wimpfen im Tal gen Himmel. Die Klosteranlage ist
       von hier oben kaum zu sehen. Der Hang ist zu dicht bewachsen und im Grunde
       ist es ohnehin Quatsch, hier auf der Suche nach den Waldquellen in
       Mörderbrombeeren und Weißdorn rumzurutschen. Einen Pfad zu den ominösen
       Betonbrunnenhäuschen gibt’s nicht, und dort angekommen, fehlt ein Schlüssel
       fürs rostfleckige Vorhängeschloss. Die Tür bleibt zu.
       
       Nur: An einer dieser Quellfassungen war im vergangenen Herbst eine
       exorbitante [1][Belastung des Wassers mit Trifluoressigsäure festgestellt
       worden], TFA, fast 320 Mikrogramm pro Liter. Das weitgehend unbekannte TFA
       ist eine „Ewigkeits-Chemikalie“. Es baut sich nicht ab. Es gilt als
       fortpflanzungsgefährdend, so viel weiß man mittlerweile, also als
       „reproduktionstoxisch, Kategorie 1B: Kann das Kind im Mutterleib schädigen.
       Kann vermutlich die Fruchtbarkeit beeinträchtigen“, so der amtliche
       Eintrag.
       
       Zugleich ist es laut Umweltportal Baden-Württemberg [2][derjenige
       menschengemachte Stoff, der mittlerweile im Grundwasser am häufigsten
       gefunden wird]. Und 320 Mikrogramm, das ist das Fünffache des deutschen
       „gesundheitlichen Leitwerts“ für Trinkwasser. Was der rechtlich heißt,
       bleibt vage. Vor allem ist er vergleichsweise lasch: In den Niederlanden
       und in der Wallonie, also dem französischsprachigen Teil Belgiens, wo
       Solvay ja herstammt, wird Trifluoressigsäure als Gesundheitsgefahr ernster
       genommen. Dort darf Trinkwasser höchstens 2,2 Mikrogramm enthalten.
       
       Aber Bad Wimpfen liegt ja in Deutschland, und ohnehin gehört der Brunnen
       nicht zum Trinkwassersystem. „Was Trinkwasser angeht, sind wir in Bad
       Wimpfen absolut safe“, sagt Bürgermeister Andreas Zaffran (CDU) im Gespräch
       mit der taz im Rathaus. Den größten Teil seines Trinkwassers beziehe die
       Stadt vom Bodensee. Und die drei Quellen, wo der Rest herstammt, die liegen
       ganz auf der anderen Seite von Bad Wimpfen, Zaffran macht eine Geste gen
       Nordwesten, „mindestens zwei Kilometer von der betroffenen Quelle
       entfernt“, außerdem noch mal rund 100 Meter höher. Eine Kontamination lässt
       sich ausschließen.
       
       Trotzdem ist etwas in Bewegung gekommen, als im Frühjahr diese
       Messergebnisse durchgesickert waren. Nach einer nicht öffentlichen
       Befassung im Gemeinderat hatte das regionale Online-Magazin Kontext
       [3][darüber geschrieben], der SWR war aufgesprungen, [4][die Heilbronner
       Stimme auch].
       
       ## Das Chemiewerk gehört dazu
       
       Das berührt die Identität des Ortes. Das historische Bad Wimpfen [5][ist im
       Wesentlichen dreigeteilt]: Es besteht aus Wimpfen im Tal mit der gotischen
       Kirche am Neckar und aus Wimpfen am Berg. Dort stehen Kaiserpfalz, Rathaus,
       Cafés und die Geschäfte. Den Platz dazwischen besetzt, wie ein eigener
       Stadtteil, die Fabrik. Das Chemiewerk, vor über 100 Jahren aus der Saline
       hervorgegangen, gehört hier einfach dazu. Man lebt mit ihm.
       
       Bad Wimpfen war beunruhigt, ja aufgeschreckt. Der BUND hatte
       Info-Veranstaltungen gemacht, auch eine große Diskussion, und als Experte
       war der Chemie-Professor Michael Müller aus Freiburg angereist. Es war
       einer der wirklich heißen Tage im August gewesen. Die Hütte war voll.
       
       Manchen ging das zu weit. Da sei auch „etwas Panik geschürt worden“, sagt
       Axel Obermeyer vom Nabu Bad Friedrichshall, Ortsgruppe Bad Wimpfen. „Die
       Leute hören hier TFA und sind nur noch verzweifelt.“ Zumal kein
       Lösungsansatz benannt worden sei. „Mir fehlt da die Ausgewogenheit.“ So
       hatte Kontext TFA als „besonders aggressiv“ bezeichnet. Dabei handele es
       sich bei dem Stoff ja „um einen eher harmlosen Vertreter“, als Doktor der
       Chemie kennt er da ganz andere Gifte.
       
       Tatsächlich liegt die mittlere tödliche Dosis (LD50) von TFA bei über 200
       Milligramm pro Kilo Körpergewicht; bei Arsenik beträgt dieser Wert 1,4
       Milligramm, bei Rizin sogar 3 Mikrogramm. Außerdem, so Obermeyer, handle es
       sich bei Solvay um einen der „reputabelsten Hersteller von Fluorchemie in
       Deutschland“. Tatsächlich spielt es für den Wasserkreislauf keine Rolle, wo
       TFA produziert wird. Der ist schließlich global.
       
       Und dann hat das Management des Konzerns den Stecker gezogen. Gerade, als
       die Wimpfener Waldquellendiskussion Fahrt aufnahm und sich Anfang September
       auch noch die Deutsche Umwelthilfe mit einer Klagedrohung zu Wort gemeldet
       hatte, hat es versprochen auszusteigen. Solvay, das immerhin viertgrößte
       Unternehmen Belgiens, werde das Kapitel Trifluoressigsäure beenden, und
       zwar for good. Man werde „by early 2026“, so Solvay-Sprecher Peter
       Boelaert, die „Produktion von TFA und all seinen Derivaten konzernweit
       eingestellt haben“. Gleichzeitig schließt man das Werk im niedersächsischen
       Garbsen mit 40 Mitarbeitern und baut in Wimpfen 100 der 240 Stellen ab.
       Alles eine Reaktion auf den aufkeimenden lokalen Protest?
       
       Mit diesem harten Schnitt hatten die Aktivist*innen von BUND und
       Umwelthilfe kaum gerechnet. Dann aber, wer will es ihnen verdenken, hatten
       sie den Einspeiseverzicht schon gern auch als Erfolg verbuchen wollen.
       „Unser jahrelanger beharrlicher Einsatz gegen die Verseuchung unserer
       Umwelt durch Ewigkeits-Chemikalien scheint sich in Bad Wimpfen in Teilen
       auszuzahlen“, hatte die BUND-Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch
       mitgeteilt.
       
       ## Unternehmen widerspricht
       
       In Wimpfen hat das Gerücht Kurs, BUND und Umwelthilfe wären Schuld am
       Stellenabbau. Das Unternehmen aber widerspricht der Erzählung: „Die
       Entscheidung, organische Fluoride, die auf TFA basieren, auslaufen zu
       lassen, ist Teil einer umfassenderen strategischen Portfolio-Optimierung“,
       so Boelaert.
       
       Das ist plausibel. [6][Seit gut drei Jahren lässt sich der Umbau
       verfolgen]. Dem Kurs der Aktie [7][schadet er nicht.] Denn weltweit ändern
       sich gerade die Rahmenbedingungen. Schon 2023 hatte der ungleich größere
       amerikanische Chemie-Konzern 3M versprochen, sich weltweit aus der
       Herstellung von „Ewigkeits-Chemikalien“ zurückzuziehen. Gerade hatte das
       Unternehmen in den USA einen Vergleich [8][über 12,5 Milliarden US-Dollar
       mit Wasserversorgern geschlossen], ein ziemliches dickes blaues Auge. Zudem
       hatte es noch mit etwa einer weiteren Milliarde Prozesse in den Staaten
       Alabama, Michigan und Minnesota weggedealt, und auch in New Jersey.
       [9][Dort] hat auch Solvay zusagen müssen, an die Staatskasse 393 Millionen
       Dollar für die Beseitigung [10][seiner Schadstoffe] zu überweisen.
       
       In Europa sind die Summen noch nicht so hoch. Aber das kann noch kommen. In
       Belgien beschäftigt das Thema die Zivilgerichte. Und in Italien wurden die
       elf Manager des Konzerns Miteni im Sommer zu 141 Jahren Knast verurteilt,
       weil der große Teile des Veneto mit Ewigkeits-Chemikalien verseucht hatte.
       
       Zwar sichern die deutschen Wirtschaftsminister*innen den Herstellern
       gleichsam freies Geleit zu. Aber über die Donau strömen aus
       Baden-Württemberg und Bayern erhebliche TFA-Mengen nach Österreich, Ungarn,
       über den Balkan und bis in die Westukraine. Mindestens jeder Staat ist ein
       möglicher Kläger. Und der Neckar fließt in den Rhein, der das Gift in die
       Niederlande bringt. Dahin, wo die Grenzwerte so streng sind.
       
       „Also Sie werden da nicht viel sehen können“, hatte Karin Haug vom BUND
       Regionalverband Heilbronn-Franken gewarnt, der gut neun Jahre gegen Solvays
       TFA-Einleitung in den Neckar gekämpft hat. Nicht viel heißt konkret nichts.
       Bis oben auf die Altenberger Schanze, von deren Rand der Hang mit den
       Quellen zur Fabrik abfällt, war die promovierte Chemikerin
       freundlicherweise mitgestiefelt, durchs verwunschene Tal.
       
       „Das ist die Mersch oder manche hier nennen sie auch den Mörschbach“, hatte
       Haug den lieblich plätschernden Wasserlauf vorgestellt. „Die hat so 30
       Mikrogramm pro Liter.“ Merkt man ihr nicht an. Wie auch: Mikrogramm, also
       millionstel Gramm, das ist ohnehin eine Gewichtsklasse, die sich dem bloßen
       Auge entzieht. Aber auch in größeren Mengen macht TFA optisch nichts her.
       Es ist farblos und wasserlöslich, eine schwer fassbare Substanz. Eine, die
       lange für unbedenklich erklärt worden war. Selbst die neue
       Trinkwasserverordnung, [11][die am 12. Januar in Kraft tritt], begrenzt
       zwar die Konzentration anderer, komplexerer Ewigkeits-Chemikalien, nicht
       aber die von TFA.
       
       Das Problem an TFA ist: Die Substanz ist sehr mobil. Sie verbreitet sich
       rasend schnell über den Wasserkreislauf und akkumuliert in Organismen, um
       dann schließlich irgendwann als Gift zu wirken, nicht jetzt, auch nicht
       morgen. Sie hat dafür aber auch alle Zeit der Welt: TFA gehört zum
       Haltbarsten, was Menschen je geschaffen haben. Von allein zerfällt es gar
       nicht.
       
       Es ist, ganz im Gegenteil, das, wozu viele andere Ewigkeits-Chemikalien,
       die berüchtigten PFAS, allmählich abbauen: TFA ist historisch der Anfang
       und perspektivisch das Ende dieser „Poly- und Perfluorierten Alkylischen
       Substanzen“. Es verkörpert ihre Ewigkeit. Daher findet es sich längst in
       allem, im Gemüse, in Getreide, es reichert sich im Obst an, in Wirbellosen
       am Meeresboden und, anders, als lange gedacht, im Bluteiweiß der
       Säugetiere; also auch beim Menschen.
       
       Wie genau TFA dort wirkt, werden wir erst noch lernen. Im Tierversuch hat
       es Missbildungen bei Kaninchen-Embryos verursacht. „TFA is in fact
       bioactive“, hat eine Arbeitsgruppe um den Chemie-Professor Reza Ghadiri am
       Scripps-Institut in La Jolla, Kalifornien, [12][Anfang des Jahres
       festgestellt.] Es verursache „dramatische biologische Effekte in mehreren
       gezüchteten Stämmen menschlicher Leberzellen“. Damit bestätigt er die kurz
       zuvor veröffentlichten [13][Ergebnisse der Biochemikerin Aleksandra
       Đurđević Đelmaš und ihrer internationalen
       Forschungsgruppe an der Uni Belgrad].
       
       Die weltweite Diskussion um TFA hatte Ende Mai auch in Deutschland [14][zu
       einer veränderten Gefahreneinstufung geführt] und das war dann in den
       Medien Thema. Doch meist bleibt es eine abstrakte Debatte. Im hübschen Bad
       Wimpfen, gerade erst beim Travelbook Award zur schönsten Altstadt
       Deutschlands gekürt, hatte sie sich durch die Waldquellen für einen Moment
       konkretisiert. Jetzt ist damit Schluss. Es könnte Ruhe einkehren in der
       kleinen Stadt.
       
       ## Ein Pyrrhus-Sieg
       
       Ruhe ist allerdings das, was der Freiburger Chemie-Professor Michael Müller
       fürchtet. „Noch so ein Sieg und wir sind verloren“, so schätzt Müller den
       Vorgang ein. Das ist ein klassisches Zitat. Geschichtserzähler Plutarch hat
       es dem König Pyrrhus als Kommentar zu einer gewonnenen Schlacht in den Mund
       gelegt. Den Triumph hatte sein Volk so teuer erkauft, dass es danach den
       Römern nichts mehr entgegensetzen konnte. Es war ein Pyrrhus-Sieg.
       
       „Das Schließen des Abflussrohrs in Bad Wimpfen hält uns davon ab, richtige
       Aktionen anzugehen“, so Müllers Sorge. Denn dadurch entstehe der Eindruck:
       Jetzt haben wir was erreicht. „In Wirklichkeit haben wir gar nichts
       erreicht.“ Das ist erklärungsbedürftig. Und Müller kann sehr gut erklären.
       Also heißt es: runterfahren nach Freiburg.
       
       Wann die Geschichte mit TFA begonnen hat, lässt sich recht präzise sagen.
       TFA ist eine künstliche Substanz: Es ist Essigsäure, bei der die sonst an
       einem Kohlestoff gebundenen drei Wasserstoff-Atome durch drei Fluor-Atome
       ersetzt wurden. Genau das hat sich Frédéric Swarts vorgenommen. Nach einem
       Verfahren dafür forscht er von 1895 an, also noch bevor er den Lehrstuhl
       für Organische Chemie an der Uni Gent von seinem Vater geerbt hat.
       
       Erst nach dem Ersten Weltkrieg, am 3. Juni 1922 tritt er, mittlerweile
       Vize-Präsident der Internationalen Chemiker-Vereinigung und seit 1919 auch
       Präsident des Institut International de Chimie Solvay, vor die Kollegen der
       königlich-belgischen Akademie. Er hat einen Erfolg zu vermelden.
       
       Swarts war bestimmt ein guter Mensch. Zeitgenossen haben ihn als regelrecht
       schüchtern erlebt. Im Krieg organisierte und finanzierte er den
       akademischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Und er hatte ein
       Faible fürs Schöngeistige, vor allem für Musik. Zugleich mit dem Chemie-
       hatte er ein Geigen- und Gesangsstudium begonnen, bevor er sich, ach!, ganz
       der Forschung zum Wohle der Menschheit widmete, rein zivil.
       
       Zwischen den Zeilen seines eher spröden Referats über seine Entdeckung
       meint man, im Understatement den Stolz mitschwingen zu hören, wenn er
       verspricht, dass diese verwandelte Essigsäure „vor allem unter
       physikalisch-chemischen Gesichtspunkten von einigem Interesse“ sein könnte.
       
       Ob er auf den Nobelpreis gehofft hat? Verdient gehabt hätte er ihn. Der
       Stoff ist nicht bloß etwas völlig Neues. Er ist auch unendlich praktisch.
       Das macht ihn ja so verhängnisvoll: Er ist der kleinste Grundbaustein für
       die meisten längerkettigen PFAS. Raketentechnik, Löschschaum,
       Narkoseapparate, Windanlagen, Medikamente, Fungizide, Pizzakartons und
       Pestizide, es gibt zahllose Bereiche, in denen es selbst, seine Derivate,
       direkt oder als prozessbeschleunigendes Hilfsmittel bei der Fertigung zum
       Einsatz kommt. Swarts hat diese Tür aufgestoßen.
       
       Das Institut für pharmazeutische und medizinische Chemie der Uni Freiburg
       sitzt im Otto-Krayer-Haus, unweit vom Bahnhof. Im Labor zeigt Michael
       Müller seine Weinsammlung: alte Flaschen, entstaubt, aber mit Firnis. Ein
       paar ehrfurchtgebietende Einzelstücke sind dabei, ein Portwein aus den
       1920er-Jahren, ein Bordeaux von 1940: Das alles sind Studienobjekte.
       
       Denn, dass es TFA früher nicht gegeben hat, belegen Untersuchungen in
       Eisbohrkernen. Aber wie es in die Welt kam und sich dort verbreitet, lässt
       sich noch präziser durch die Analyse von Wein verfolgen. Guter Wein wird
       immer an derselben Stelle geerntet. Auf den Etiketten steht, woher er
       kommt, und in welchem Jahr die Trauben gekeltert wurden.
       
       ## Kurve fast senkrecht
       
       Erste Spuren von TFA haben Müller und sein Team in den späten 1960ern
       gefunden. Danach ein allmählicher Anstieg, bis zur Jahrtausendwende. Und
       dann schnellt die Kurve nach oben, mittlerweile ist sie fast senkrecht: Die
       Winzerverbände waren sauer, als die Ergebnisse präsentiert wurden, aber sie
       können sich entspannen: „Der Wein ist für uns ein Zeitfenster“, sagt
       Müller. Er dient als Medium, in dem sich die Entwicklung abzeichnet, die in
       allen Pflanzen zu erwarten ist, in Obst, in Gemüse, in Stauden, Blättern
       und in Knollen.
       
       Das ist dramatischer als die Belastung von Trinkwasser. Da gibt es für
       Haushalte zumindest eine theoretische Möglichkeit, den Stoff mit Nanoporen
       rauszufiltern, das wird dann auch mineralstofffreies Wasser. Aber bei
       Zucchini oder Äpfeln geht das eben nicht. In ihren Zellen aber reichert
       sich das TFA an, ähnlich wie längerkettige PFAS beispielsweise in
       Wildschweinleber. Die darf deshalb in Deutschland nicht mehr in den Handel
       gebracht werden. Sie ist zu giftig.
       
       Der Umweltchemiker Hans Peter Arp, Professor am Norwegischen Geotechnischen
       Institut und an der Norwegischen Technischen Uni warnt deshalb, dass TFA
       die planetaren Belastungsgrenzen bedrohe. Auch wenn die Effekte noch nicht
       genau erforscht sind, dass sie eintreten werden ist klar: Allein die
       wachsende Konzentration dieses neuen Stoffs sei ab einem bislang
       unvorhersagbaren Punkt geeignet, disruptive Wirkung zu entfalten, hatte er
       in einer Anhörung im Europaparlament erläutert. Und „da TFA sich global
       anreichert und über einen langen Zeitraum bestehen bleibt, wären negative
       Auswirkungen ebenfalls global und langfristig zu erwarten“, erklärt er der
       taz. „Die Erde würde das Holozän verlassen, in dem sich die Menschen
       entwickelt haben.“
       
       Überall wo TFA gemessen wird, findet sich dieser Anstieg. Dafür gibt es
       Gründe: Einer ist ausgerechnet das Montreal-Protokoll, also die Ächtung der
       FCKWs, um die Ozonschicht zu schließen. Ein wichtiger Erfolg. Ersetzt
       wurden sie seinerzeit allerdings oft durch TFA-haltige Kälte- und
       Triebmittel. Asthmasprays zum Beispiel bringen gegenwärtig 11.000 Tonnen
       der entsprechenden Fluorgase in die Atmosphäre ein – die dann im Regen
       niederfallen.
       
       Perfluorierte Wirkstoffe finden sich auch in Medikamenten, mittlerweile
       gehört fast jeder vierte neue Arzneistoff dazu, erklärt Müller. Mit seiner
       Arbeitsgruppe hat der Pharmazie-Prof zuletzt genau zu diesem Thema
       geforscht. Auf einem großen Flatscreen in seinem Büro sind alle weltweit
       111 PFAS-Arzneistoffe aufgeführt, besonders hervorgehoben die 70, die
       derzeit in Deutschland zugelassen sind. Für sie hat die AG Müller nach
       Alternativen gesucht. Ergebnis: So gut wie jeder PFAS-Wirkstoff ist durch
       einen nicht fluorierten ersetzbar.
       
       Argumentativ ist das entscheidend. Denn Humanmedizin genießt ja in der
       Praxis immer eine Sonderstellung. Das europaweite
       PFAS-Beschränkungsverfahren, das die Umweltbehörden von Belgien, Norwegen,
       Dänemark, den Niederlande und Deutschland 2023 angeregt hatten, spart
       diesen Bereich deshalb vorsorglich aus. Aber dazu bestehe eben kein Anlass,
       sagt Müller: „Es gibt selbst im Medizinbereich die Alternativen. Wenn es
       aber im Medizinbereich Alternativen gibt, wo wäre das alternativlos?“
       
       Man müsste es also wollen, politisch wollen. Die Gelegenheit wäre günstig,
       wo die Hersteller in Europa und den USA zu Beginn des kommenden Jahres die
       Segel streichen. Und Baden-Württemberg, wo im kommenden Jahr gewählt wird,
       ist PFAS-Land. Erst im Mai hatte die Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke
       Bodensee-Rhein Alarm geschlagen: Die TFA-Konzentration im Rhein nördlich
       von Basel hat sich nämlich innerhalb der letzten acht Jahre mehr als
       verdoppelt. Eine Lösung fürs Problem durch Filtertechnik fehlt. Also könne
       man dann irgendwann kein Trinkwasser mehr herstellen, sobald es einen
       Standard dafür gibt. Die Arbeitsgemeinschaft versorgt rund zehn Millionen
       Menschen, weit ins Land hinein, bis hoch in den Kraichgau, nach Bad Wimpfen
       zum Beispiel. Sie fordert ein „konsequentes Verbot aller
       Ewigkeits-Chemikalien“.
       
       ## Krasse Absage
       
       Früher bestand bei dem Thema Dissens zwischen dem grünen Umwelt- und dem
       grünen Wirtschaftsministerium auf Bundesebene. Der neue Koalitionsvertrag
       aber erteilt dem Ziel eines PFAS-Ausstiegs eine krasse Absage. Unter dem
       Vorsitz von [15][Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU)], Baden-Württemberg, hatte
       auch die Wirtschaftsminister*innenkonferenz im Juni erneut
       bekräftigt, dagegen zu sein, und Panik geschürt. Bei einem Verbot würden
       ganze Produktionsbereiche in der EU wegbrechen, hatte Hoffmeister-Kraut in
       Stuttgart gewarnt, und das Gespenst einer drohenden Deindustrialisierung
       heraufbeschworen.
       
       Auf der Homepage des Landes-Umweltministeriums heißt es zwar:
       „Baden-Württemberg steht hinter PFAS-Verbots-Initiative“. Aber in dem
       Brief, den Ressortchefin Thekla Walker (B90/Grüne) in der Sache an
       Bundes-Umweltminister Carsten Schneider (SPD) geschickt hat, ist nur noch
       die Rede davon dass doch bitte die „festgelegten bzw. in Diskussion
       stehenden (Grenz-)Werte auf Widersprüchlichkeit zu prüfen“ seien.
       Harmonisiert wären sie doch viel besser. Ob das zur Profilierung im
       Wahlkampf reicht?
       
       Dabei müsste es darum gehen, die Quelle zu verstopfen, for good: „Was wir
       brauchen, ist ein Konsens“, hatte Müller eine Idee skizziert, wie die
       Menschheit aus der Nummer rauskommen könnte, „ein Konsens von Industrie,
       Politik und Gesellschaft, dass wir auf diese Stoffgruppe verzichten.“ Das
       wäre mal ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt.
       
       7 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ewigkeitschemikalien-im-Wasser/!6111023
   DIR [2] https://umweltportal.baden-wuerttemberg.de/umweltdaten-bericht-2024/trifluoracetat-im-grundwasser
   DIR [3] https://www.kontextwochenzeitung.de/wirtschaft/754/tfa-im-doppelpack-10447.html
   DIR [4] https://www.stimme.de/heilbronn/landkreis-heilbronn/trinkwasser-quelle-bad-wimpfen-untereisesheim-tfa-trifluoracetat-nachgewiesen-werte-grenze-leitungswasser-trinken-buerger-sorge-art-5047053
   DIR [5] https://www.lateinheft.de/caesar/caesar-de-bello-gallico-kapitel-1/
   DIR [6] https://chemanager-online.com/de/news/solvay-treibt-aufspaltung-voran
   DIR [7] https://www.finanzen.net/chart/solvay
   DIR [8] https://ferrarolaw.com/blog/2024/april/historic-125-billion-3m-settlement-marks-a-new-chapter-in-clean-water-advocacy/?utm_medium=organicsearch&utm_campaign=blog&utm_source=google&f_id=a40UR000004m0RdYAI
   DIR [9] https://dep.nj.gov/solvay/
   DIR [10] https://www.reuters.com/sustainability/solvay-settles-drinking-water-pollution-claims-with-new-jersey-2023-06-28/
   DIR [11] https://www.gesetze-im-internet.de/trinkwv_2023/
   DIR [12] https://www.researchgate.net/publication/389759229_Trifluoroacetate_reduces_plasma_lipid_levels_and_the_development_of_atherosclerosis_in_mice
   DIR [13] https://www.researchgate.net/publication/389294862_Perfluoroalkyl_acids_interact_with_major_human_blood_protein_fibrinogen_Experimental_and_computation_study
   DIR [14] /29-zugelassene-Pestizidwirkstoffe-bilden-gefaehrliche-Saeure/!6091048
   DIR [15] https://www.agentur-zukunft.eu/2025/01/4714-lobbyismus-der-ewigkeits-chemikalien-industrie-in-ganz-europa-verbreitet/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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   DIR Schadstoffe in der Luft: Strafanzeige gegen Chemiekonzern
       
       Umweltverbände fordern Konsequenzen aus Emissionen des Treibhausgases SF6
       im Raum Heilbronn. Baden-Württembergs Umweltministerin ruft nach der EU.
       
   DIR Ewigkeitschemikalien im Wasser: Na denn prost!
       
       PFAS sind potenziell toxisch. Der BUND weist aber in 42 von 46
       Wasserquellen Belastungen nach – mancherorts sollen Kinder es nicht mehr
       trinken.
       
   DIR Schadstoffe in Gewässern: Europa will weniger Chemie in Flüssen
       
       Die EU hat sich auf bessere Kontrollen von langlebigen Schadstoffen in
       Gewässern geeinigt. Umweltschützer:innen geht die Richtlinie nicht
       weit genug.
       
   DIR Grüne für Verbot: 29 zugelassene Pestizidwirkstoffe bilden gefährliche Säure
       
       Deutsche Behörden stufen Trifluoressigsäure als fortpflanzungsgefährdend
       ein. Als Konsequenz verlangen die Grünen, mehrere Pestizide zu verbieten.