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       # taz.de -- Kollege von Sacharow-Preisträger: „Lukaschenko weiß, dass diese Menschen seine ‚Währung‘ sind“
       
       > Der Journalist und Sacharow-Preisträger Andrzej Poczobut sitzt in Belarus
       > im Gefängnis. Doch er bleibe unbeugsam, sagt sein Kollege Bartosz
       > Wieliński.
       
   IMG Bild: Der Journalist Andrzej Poczobut 2023 in einem Gerichtssaal in Grodno, Weißrussland
       
       Nach seinem ersten Gefängnisaufenthalt im Jahr 2011 schrieb [1][Andrzej
       Poczobut] in einem Text für die „[2][Gazeta Wyborcza]“: „Ich sollte mich
       entschuldigen und Lukaschenko um Gnade bitten, doch mir tat nichts davon
       leid“. Damals wurde er nach kurzer Zeit freigelassen. Heute sitzt er seit
       mehr als vier Jahren in Haft. 
       
       taz: Herr Wieliński, Sie sind ein enger Vertrauter und Kollege von
       Poczobut. Wenn Sie diese Worte heute lesen – was sagen sie Ihnen über
       seinen Charakter und seine Überzeugung? 
       
       Bartosz Wieliński: Das Zitat beschreibt ihn perfekt. Andrzej ist unbeugsam,
       lässt sich nicht erpressen und handelt immer aus Überzeugung. Für viele
       Deutsche ist das schwer zu verstehen, aber in Polen haben wir diese
       romantische Tradition. In der Schule lesen wir über Menschen, die für ihr
       Vaterland sterben, über Helden, die ihre Freiheit opfern. Andrzej ist durch
       diese patriotische Haltung geprägt. Für ihn war das kein Ideal, sondern
       seine Art zu leben. Er hätte fliehen, er hätte eine Erklärung
       unterschreiben oder um Gnade bitten können, aber das tat er 2011 und tut er
       heute nicht. Er leidet sehr, aber er bleibt sich treu. Er ist eine Figur,
       wie man sie aus der Geschichte von damals kennt.
       
       taz: Welche Themen oder Berichte haben Poczobut besonders gefährlich
       gemacht? 
       
       Wieliński: Bereits 2011 wurde er verhaftet, weil er Lukaschenko in einem
       Artikel als Diktator bezeichnet hatte. Er wurde zwar freigelassen, aber der
       Präsident hat das nie vergessen. Lukaschenko hasst Polen, denn er ist ein
       Relikt aus Sowjetzeiten. Andrzej ist Teil der großen polnischen Minderheit
       in Belarus, die von Warschau lange unterstützt wurde, mit Schulen,
       Kulturzentren und weiterer Infrastruktur. Poczobut war eine wichtige Figur
       der Minderheit. Das hat dem Regime nicht gefallen. [3][Dazu kommt, dass
       freier Journalismus verboten ist, jeder unabhängige Journalist gilt als
       Staatsfeind.]
       
       taz: Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen? 
       
       Wieliński: Das war kurz vor seiner Festnahme im Jahr 2021. Ich sagte ihm:
       „Andrzej, du musst fliehen.“ Aber er antwortete: „Auf keinen Fall. Ich
       bleibe.“ Einige Wochen später wurde [4][eine andere Journalistin
       verhaftet]. Andrzej schrieb auf Twitter, in welcher Polizeistation sie
       festgehalten wurde, er wusste genau, dass er sich damit selbst gefährdet
       und auch er bald dran sein könnte. Trotzdem blieb er zu Hause. Am nächsten
       Morgen kam der KGB und nahm ihn fest.
       
       taz: Unter welchen Bedingungen lebt Poczobut heute in Haft? 
       
       Wieliński: Er hat eine Wallfahrt durch das belarussische Strafsystem hinter
       sich, durch fünf oder sechs verschiedene Gefängnisse. Er war in Grodno, in
       Minsk, in Nawapolazk. In einem Gefängnis wurde er absichtlich dem
       Coronavirus ausgesetzt. Besonders symbolisch ist, dass er an denselben
       Orten eingesperrt war, in denen früher polnische Aufständische nach dem
       Zweiten Weltkrieg festgehalten wurden. Die Geschichte wiederholt sich. Der
       Druck auf ihn ist enorm. Einmal hieß es, er sei in eine
       Hochsicherheitsabteilung in Minsk verlegt worden, in der sonst Häftlinge
       auf ihre Hinrichtung warten. Das war reine Schikane.
       
       taz: Haben Sie Informationen über seinen aktuellen Gesundheitszustand? 
       
       Wieliński: Nur sehr wenige. Es gibt fast keine Möglichkeit, mit ihm in
       Kontakt zu treten. Was wir wissen, stammt aus kurzen Mitteilungen von
       Anwälten oder Gerüchten, die aus der Haft geschmuggelt werden. Es gehe ihm
       demnach körperlich schlecht, aber geistig sei er stark geblieben. Er lehnt
       jede Bitte um Gnade weiterhin ab.
       
       taz: Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie gehört haben, dass Poczobut
       den [5][Sacharow-Preis] erhält? 
       
       Wieliński: Ich war bewegt, aber nicht überrascht. Wir wussten, dass seine
       Nominierung diskutiert wurde, auch wenn wir keinen Einfluss auf die
       Abstimmung hatten. Es ist gut, dass Europa endlich auf seine direkte
       Nachbarschaft schaut. Der Preis zeigt, dass Andrzej nicht vergessen ist.
       
       taz: Welche Rolle kann der Preis für eine mögliche Freilassung spielen? Es
       gab ja schon zwei gescheiterte Verhandlungen. 
       
       Wieliński: Der Preis erhöht den politischen Druck. Es laufen ständig
       Gespräche zwischen den Amerikanern und Lukaschenko über politische
       Gefangene. Trump nannte einmal die Zahl von 1.300 Gefangenen, und
       Lukaschenko weiß, dass diese Menschen seine „Währung“ sind. Er wird sie
       nicht alle auf einmal freilassen. Wir hoffen, dass Andrzej bei der nächsten
       Gelegenheit dabei ist. Der Preis hat seine Bedeutung und kann den Ausschlag
       geben, wenn dadurch internationaler Druck wächst.
       
       taz: Was wünschen Sie sich von den polnischen Behörden? 
       
       Wieliński: Die letzte Regierung hat sich nicht genug um Verhandlungen
       bemüht. Wir hoffen, dass der internationale Druck jetzt dabei helfen kann,
       wieder aktiver zu werden. Man könnte zum Beispiel die einzige
       Eisenbahnstrecke zwischen Europa und China, die durch Belarus und Polen
       fährt, zeitweise schließen. Das würde Lukaschenko und seinen Verbündeten
       nicht gefallen.
       
       taz: Wie gehen die Kolleginnen und Kollegen bei der Gazeta Wyborcza mit
       seiner Inhaftierung um? 
       
       Wieliński: Wir schreiben regelmäßig über ihn. Auf Seite zwei steht jeden
       Tag, wie lange Andrzej schon im Gefängnis sitzt, derzeit seit über 1.670
       Tagen. Wenn es Neuigkeiten gibt, berichten wir sofort. Wir schreiben auch
       regelmäßig über die Repressionen gegenüber der Opposition in Belarus. Auch
       wenn das Thema für viele Leser nicht mehr im Mittelpunkt steht, ist es für
       uns eine moralische Pflicht, weiterzumachen.
       
       taz: Was bleibt für Sie persönlich nach all den Jahren der Haft Ihres
       Kollegen? 
       
       Wieliński: Am Anfang dachten wir, es würde wie 2011 sein, als er ein paar
       Monate in Haft war und dann frei kam. Wir glaubten, das Außenministerium,
       internationale Organisationen, vielleicht die EU würden helfen. Wir waren
       überzeugt, dass man mit Druck aus dem Ausland etwas erreichen könnte.
       Ehrlich gesagt war das naiv. Niemand von uns konnte sich das Ausmaß der
       Repressionen vorstellen, das Belarus heute prägt. Doch Lukaschenko hat
       gezeigt, dass ihn nichts davon beeindruckt. Jetzt, nach mehr als vier
       Jahren, müssen wir einsehen, dass unsere Hoffnung damals viel zu
       optimistisch war. Aber trotzdem glaube ich, dass Andrzej durchhält. Er
       zeigt uns, was Mut wirklich bedeutet.
       
       23 Oct 2025
       
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