# taz.de -- Fotoausstellung Daniel Josefsohn: In seiner Wildheit regiert Empathie
> Daniel Josefsohns intime Fotografie zeigt, wie verkommen die
> Magazinpublizistik heute ist – und, wie sie wieder positiv verrückt
> werden könnte.
IMG Bild: Ein Knäuel im trüben Brackwasser an einem warmen Strand: Daniel Josefsohn, 2007
Es gibt gleich zwei gute Gründe, traurig zu sein, dass Daniel Josefsohn,
dieser deutsche Fotograf mit jüdischer Seele, tot ist. Der eine ist
offensichtlich: Er ist viel zu früh an den Folgen eines Schlaganfalls
gestorben – 2016, vor fast zehn Jahren. Da war er gerade einmal 54 Jahre
alt.
Den anderen führt uns zurzeit die Ausstellung „Unseen“ in der Berliner
Galerie Crone vor Augen: Josefsohns kompromisslose Gegenwartsfotografie
erinnert daran, wie rebellisch, wie melancholisch, wie lebensecht
Pop-Publizistik in Deutschland früher sein konnte.
Klar, eigentlich ist [1][über Josefsohn – den stilprägenden
Magazinfotografen], den 1990er-Jahre-Chronisten, den hedonistischen
„Berserker“, wie ihn viele im deutschen Feuilleton nannten – schon alles
geschrieben worden. Genauso über seine Werbe-Mode-Kunstfotografie.
Trashig wie die von Martin Parr soll sie sein und verletzlich wie die von
Nan Goldin. Natürlich wurde Josefsohn, der Fotograf mit Skater-Karriere,
auch mit seinen Zeitgenossen [2][Wolfgang Tillmans] und [3][Jürgen Teller]
verglichen.
## Ein perfekt unperfekter Zeitcontainer
Kurzum: Josefsohns seit 1989 entstandenes, megalomanisches Gesamtwerk ist
der perfekt unperfekte Zeitcontainer für die Mauerfall-Rave-Dekade – und
für alles, was davon nach 9/11 übrigblieb. Mit seinen Haudrauf-Kampagnen,
wie der für MTV 1994, und seinen Coverfotos für Magazine wie Tempo, Jetzt,
Neon oder das Zeitmagazin hat er Medienikonen geschaffen.
Bilder, die mir, uns, denen, die die 1990er Jahre im Kinderwagen
verschlafen haben und erst zum Jahrtausendwechsel in einer
unterfinanzierten Journalismus-Branche aufgewacht sind, ein unfair
nostalgisches Gefühl geben: Früher war das Gras wirklich grüner.
Diese Nachgeborenen-Nostalgie kann aber keine Antwort auf die Frage sein,
was Daniel Josefsohn heute relevant macht. Nein, mehr als Retro-Euphorie
wäre da nicht drin. Und wegen genau der stecken wir ja gerade
gesamtkulturell im Morast fest. Was Josefsohn relevant für die Gegenwart
macht – und die gegenwärtige Kulturstarre lockern könnte –, findet sich in
der Ausstellung bei Crone.
Da hängen eben nicht die epochal-fetten Ikonen an den Wänden, sondern
bislang ungedruckte, ungesehene, kleinformatig-tagebuchartige
Momentaufnahmen, dicht an dicht, wie auf einem angestaubten Analog-Film.
Was der zeigt? Josefsohns nonkonformistische Haltung.
Die beweist er zum Beispiel, wenn er vor die eigene Kamera tritt. Meistens
ist er dabei so nackt und erigiert wie die jungen, exzessiven Körper seiner
Modelle. In Josefsohns Wildheit regiert aber Empathie: Als Mann mit Kamera
verhält er sich egalitär.
Das heißt, dass er seine Modelle, gerade Frauen, trotz der sexuellen
Aufladung, nicht zu Fetischobjekten degradiert. Er scheint vielmehr genauso
verkommen, verliebt und verballert zu sein wie sie. So zumindest
suggerieren seine Fotografien. Er ist dieser eine Freund, der im
gemeinsamen Rausch den peinlich schönen Snapshot macht.
Und der sieht dann so aus: Ein junger Mann, der mit gespreizten Beinen auf
einem abgewetzten Mid-Century-Schreibtisch sitzt und masturbiert.
Verschwitzte, erschöpfte Gesichter, die zwischen aufgewühlten Laken
hervorschauen. Das ineinander verschlungene Liebespaar, das mit vom Rave
verschmutzten Lederstiefeln im Bett liegt und auf einem Fernseher
Fesselpornos schaut.
Alles verletzliche Szenen, in die die Kehrseite des Exzesses – das up and
down und die Vergänglichkeit – schon unabwendbar eingeschrieben sind.
Josefsohn schmiegt sich an diese Momente, als ob er sie vor dem
Verschwinden retten will.
Das ist seine Qualität als Dokumentarist: Er zeigt das Leben, wie es ist,
und setzt sich selbst dazu in Beziehung. In seiner Arbeit steckt ein
enormes Bedürfnis nach Verbindungen, nach einem neuen, freien, aber
unideologischen Typ von Gemeinschaft.
Gleichzeitig verteidigt Josefsohn seine Individualität als Künstler und
Punk-Dandy. Oft greift er deshalb performativ in seine Fotografien ein. So
stellt er sich beispielsweise in Brasilien in einem Bananenkostüm zwischen
zwei schüchtern lächelnde Polizisten und fotografiert sich in ihrer Mitte.
Witzige Interventionen, wie diese, machen ihn zum Situationisten.
Spielerisch untergräbt er Autorität und lässt protzige Machtsymbole auf
Augenhöhe schrumpfen. Eine Subversionstaktik, die nie in Erniedrigung des
Gegners umschlägt. Warum nicht? Weil das nicht zu Josefsohns Haltung passt.
„Ehrlich und cool“ müsse die Kunst sein, wie er selbst in einem Interview
mit dem Kunst-Magazin Monopol mal sagte. Da saß er schon im Rollstuhl und
dokumentierte seinen eigenen Verfall in lakonisch schönen, lebenshungrigen
Bildern.
Josefsohns Haltung zum Leben war schonungslos – und dafür gab es viele
Gründe. Einer davon war sicherlich, dass er Jude war, in Deutschland, im
Land der Mörder seiner Familie. Geboren wurde er 1961 in Hamburg, in eine
Welt, in der er sich früh mit Biss und ausgestreckter Zunge behaupten
musste.
Die Protagonisten dieser Welt waren erfahrungsharte Shoah-Überlebende, die
zwischen Hafen und Bordell, zwischen Aufbruch und Unterwelt, ihren Platz in
der nachkriegsdeutschen Verdrängungsgesellschaft gefunden hatten. Josefsohn
konnte da nur werden, was er später dann auch war: erfolgloser Bankräuber,
aufmüpfiger Profi-Skater und dieser bildersüchtige Künstler ohne
Illusionen.
Heute sind Künstler und Medienleute wie er eine Rarität. Seine
unprätentiöse Versessenheit, sein Nonkonformismus, die selbst behauptete
Autonomie – das alles gibt es gegenwärtig fast nur noch in Form stumpfer
Kopien, die widerspruchslos ökonomischem Nutzen dienen sollen.
Intimste fotografische Alltagsdokumentationen, wie die von Josefsohn,
fluten soziale Medien, sind aber nicht nur stilistisch total normiert –
[4][Plattformregulierungen und KI-Anwendungen formatieren Inhalte] nach
Marketingkalkül oder zunehmend nach restriktiven Politikstandards. Und die
Redaktionen klassischer Medien machen es ihnen immer öfter nach: für Klicks
und aus Angst, den eigenen Anschluss zu verlieren. Influencer, wir alle,
eine ganze Medienökonomie reproduziert sich selbst mit diesen Bildern.
Also doch zurück in die gute alte Zeit? Fragt man wichtige Wegbegleiter von
Josefsohn, was an ihm heute besonders fehle, sind sie sich erst mal einig:
„Daniel war im besten Sinne verrückt“, wie Timm Klotzek, der Chefredakteur
des SZ-Magazin, sagt. Oder Karin Müller, Josefsohns langjährige Partnerin:
„Bei Daniel haben sich Menschen eingefunden, die frei im Kopf waren, also
mutig, lustig, besessen, verliebt, sexy, traurig oder anstrengend.“
Warum das heute nicht mehr geht? „Wegen der Schere im Kopf“, sagt Markus
Peichl, „alle haben Angst vor Überforderung“. Peichl ist nicht nur Inhaber
der Galerie Crone, in den 1980ern gründete er das legendäre
Zeitgeistmagazin Tempo und verhalf damit dem Pop-Journalismus in
Deutschland – genauso wie Josefsohns Karriere – zu seiner intensivsten
Blütezeit.
## Fernab der kleinbürgerlichen Pimmel-Moral
Nostalgie hielte Peichl trotzdem für falsch: „Wir haben damals eine
Freiheit geschaffen, ja, aber die galt dann zu lange als
selbstverständlich. Jetzt führt genau das zu einem Backlash.“ Und es
stimmt: Die Provokation der Öffentlichkeit, mit der poppige Medien einst
triumphierten, ist zum Strategiespiel rechtspopulistischer Maulhelden
geworden.
Ein Beispiel: [5][Julian Reichelt mit seiner ekeljournalistischen Plattform
Nius.] Angetrieben werden die aber nicht vom Wunsch nach radikaler
Autonomie wie Josefsohn oder früher Tempo, sondern von ihrer
kleinbürgerlichen Pimmel-Moral. Aber die bedeutet letztlich Unfreiheit für
alle.
Und um der etwas entgegenzusetzen, so könnte man die frohe Botschaft von
Josefsohns Vergangenheitsschau bei Crone deuten, müssen die Richtigen
weiterhin überfordern. Mit Nonkonformismus. Dann werden Kunst und
Pop-Journalismus auch wieder ehrlich und cool.
21 Oct 2025
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## AUTOREN
DIR Jonathan Guggenberger
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