URI:
       # taz.de -- Anschlag auf italienischen Journalisten: Lange Liste der Verdächtigen
       
       > Sigfrido Ranucci ist mit seinem TV-Magazin „Report“ ein Star des
       > investigativen Journalismus in Italien. Nun wurde sein Auto in die Luft
       > gesprengt.
       
   IMG Bild: Autoteile nach dem Sprengstoffanschlag vor dem Haus des Journalisten Sigfrido Ranucci nahe Rom
       
       [1][Sigfrido Ranucci] war erst seit einer halben Stunde zu Hause in Campo
       Ascolano, einem kleinen Ort direkt am Meer vor den Toren Roms, am
       Donnerstagabend um 22 Uhr, als eine Explosion direkt vor der Tür seines
       Hauses sein Auto komplett zerstörte und den Wagen seiner Tochter schwer
       beschädigte, das Gartentor ebenso wie Blumenkübel in Mitleidenschaft zog.
       
       „Diese Explosion hätte jemanden umbringen können“, erklärte der prominente
       Investigativjournalist und verwies darauf, dass seine Tochter nur wenige
       Minuten vor dem Anschlag an dem Wagen vorbei ins Haus gegangen sei.
       
       Der 64-jährige Ranucci selbst weiß genau, dass er viele Feinde hat. Er ist
       seit acht Jahren Chef und Moderator der TV-Sendung [2][„Report“,] die
       regelmäßig heiße Eisen anfasst, die sich mit Mafia und Politik, mit
       Großkonzernen wie der Erdölfirma ENI befasst – und die deshalb immer wieder
       angefeindet wird, aus der Politik genauso wie aus der Wirtschaft.
       
       Lang ist die Liste der Politiker*innen vor allem aus den
       Rechtsparteien, die in den letzten Jahren immer wieder Anzeigen gegen den
       Journalisten gestellt haben, vornehmlich wegen Verleumdung, zuletzt im
       letzten August, als [3][Giovanbattista Fazzolari] – Staatssekretär im Amt
       der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni – Anzeige stellte, weil „Report“ die
       Rolle der Regierung in den Übernahmeschlachten zwischen diversen
       italienischen Banken beleuchtet hatte.
       
       ## Druck aus der Politik
       
       Ranucci selbst zählte insgesamt 176 Klagen, „aber ich habe ein sauberes
       Vorstrafenregister“. In der Tat kam es bisher zu keiner einzigen
       Verurteilung.
       
       Ungebrochen blieb in den letzten Jahren jedoch der Druck aus der Politik
       auf „Report“ und seinen Chef. So wurde Ranucci im Jahr 2022 vor den
       parlamentarischen Kontrollausschuss der staatlichen RAI geladen und dort
       mit dem absurden Vorwurf konfrontiert, er habe in seiner Redaktion tausende
       Dossiers über ihm unliebsame Personen angelegt.
       
       Und so ging die Spitze der von den Rechtsparteien kontrollierten RAI mit
       kleinen und größeren Schikanen gegen Ranucci vor, leitete zum Beispiel vor
       einigen Monaten ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein, weil er
       „unautorisiert“ anderen Medien Interviews gegeben habe.
       
       Und so kürzte die RAI die neue, am 26. Oktober beginnende Report-Staffel
       von 28 auf 24 Folgen, obwohl die Sendung einer der zuverlässigsten
       Quotenbringer des Staatssenders ist. Erst vor wenigen Tagen hatte Ranucci
       die Themenschwerpunkte der kommenden Sendungen bekanntgegeben, von den
       staatlichen (und oft undurchsichtigen) Finanzierungen im Kulturbetrieb über
       Windkraftanlagen (in die auch die Mafia gerne investiert) zu Italiens
       Banken und den Missständen im Gesundheitswesen.
       
       ## Die Berlusconis wieder
       
       Anfeindungen erlebt der Journalist aber auch von außen. Als „Report“ sich
       im letzten Januar mit der Rolle des engen Berlusconi-Mitarbeiters
       [4][Marcello Dell’Utri] bei einer Mafia-Anschlagsserie des Jahres 1993
       befasste, forderte Silvio Berlusconis Tochter Marina die RAI unverblümt
       auf, die Sendung abzusetzen.
       
       Noch gröber wurde die Tageszeitung Il Foglio, früher einmal in
       Berlusconi-Besitz. Ranucci habe „Tonnen von Scheiße in den Ventilator
       geworfen“, schrieb das Blatt, erinnerte dann daran, dass Ranucci ja im Jahr
       2005 auch aus dem Tsunami-Gebiet in Ostasien berichtet hatte – und brachte
       sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass der Journalist nicht selbst zu den
       Tausenden Opfern gehörte.
       
       Ranucci steht schon seit 2014 unter Polizeischutz, weil es Mafia-Drohungen
       gegen ihn gab, und im Sommer 2024 fand er zwei Patronenhülsen vom Kaliber
       P38 vor der Haustür, wie er jetzt nach dem Bombenanschlag bekanntgab.
       
       Er selbst sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der systematischen
       Delegitimierung, der er ausgesetzt sei, und dem jetzt erfolgten Anschlag.
       Nach dem Attentat aber stellen sich alle auf seine Seite, die
       Ministerpräsidentin Giorgia Meloni („volle Solidarität“) genauso wie die
       Senderspitze der RAI.
       
       17 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.journalismfestival.com/speaker/sigfrido-ranucci
   DIR [2] https://www.rai.it/programmi/report/
   DIR [3] /Der-Stratege-der-Fratelli-dItalia/!5881408
   DIR [4] /Mafiaprozess-in-Palermo/!5500162
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Italien
   DIR Investigativer Journalismus
   DIR Social-Auswahl
   DIR Italien
   DIR Italien
   DIR Italien
   DIR Mafia
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Regionalwahlen in Italien: Rechts und Mitte-links verteidigen ihre Hochburgen
       
       Auf den ersten Blick hat sich nichts geändert. Aber die Linke hat jetzt
       offenbar gelernt, dass sie nur geeint eine Chance gegen die Rechten hat.
       
   DIR Italienischer Medienriese: Berlusconi junior
       
       Die Mediengruppe der Familie Berlusconi will ihren Anteil bei
       ProSiebenSat.1 aufstocken. Das würde die Medienmachtstruktur in Deutschland
       verändern.
       
   DIR Italienisches Politmagazin „Report“: Gemütlich investigativ
       
       Das Politmagazin „Report“ gehört zu den unbequemen Sendungen im
       italienischen TV. Politiker scheuen auch vor Verleumdung nicht zurück.
       
   DIR 10 Jahre Mafia-Morde von Duisburg: Die graue Zone
       
       Am Dienstag jähren sich die Morde von Duisburg. In ihrer Ursprungsregion
       Kalabrien ist die ’Ndrangheta eher noch mächtiger geworden.