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       # taz.de -- Der Hausbesuch: Karriere, Krise, Kraft
       
       > Als Geschäftsführerin einer Messe ist Jennifer Reaves jahrelang auf
       > Karriere eingestellt. Bis sie in eine Lebenskrise gerät.
       
   IMG Bild: Jennifer Reaves in ihrem Ess- und Wohnbereich im Stuttgarter Norden
       
       Jennifer Reaves will erreichen, dass Frauen und Queers sich selbst endlich
       mehr feiern. Seit 2024 organisiert sie ein Festival nur für diese.
       
       Draußen: Der Killesberg ist ein gehobener Stadtteil im Stuttgarter Norden.
       Die grüne, idyllische Umgebung wirkt nicht wie Großstadt und ist es
       dennoch. In einer ruhigen Nebenstraße in beschaulicher Halbhöhenlage lebt
       die Deutsch-Amerikanerin Jennifer Reaves mit ihrer Familie.
       
       Drinnen: Mit einem Lächeln begrüßt sie am Eingang und bittet darum, die
       Schuhe auszuziehen. Vorbei an der offenen Küche führt Reaves ins Ess- und
       Wohnzimmer. Sonnenstrahlen dringen durch das große Fenster, im Raum
       herrscht makellose Ordnung. Im Zentrum ist ein grasgrünes Vitra-Sofa, auch
       sonst gibt es moderne Möbel, verspielt und doch reduziert. Ein paar
       Designobjekte schmücken den Raum, etwa der Rollschuh eines New Yorker
       Labels, kleine Glasvögelchen von Swarovski und Elefanten nachempfundene
       Hocker. „Ich liebe schöne Dinge.“ Aber sogleich schränkt sie ein: „Das
       Schöne ist doch immer relativ und liegt im Auge des Betrachters. Ich habe
       hier einiges, das viele Leute richtig scheiße finden.“
       
       Herkunft: Jennifer Reaves kam 1980 in Zweibrücken in der Westpfalz nahe der
       französischen Grenze als Tochter eines amerikanischen Soldaten und einer
       deutschen Mutter zur Welt. Der Vater verließ die Armee früh, die Familie
       wechselte mehrfach den Wohnort. Einen Tag nach ihrem Abitur zog die Familie
       nach Stuttgart. Die ältere Schwester war ein Jahr zuvor mit der Schule
       fertig geworden und die Eltern arbeiteten beide in der Stadt.
       
       Lernen: „Schule ist mir total leichtgefallen. Ich bin gerne hingegangen und
       ich bin jemand, der sehr gerne diskutiert.“ Die Schule sei dafür der
       richtige Ort gewesen. Sie hatte Glück und gute Lehrer. „Ich bin mit Einsen
       und Zweiern durch die Schule geglitten, hatte Latein und Geschichte als
       Leistungskurs.“
       
       Dazugehören: Schwerer empfand Jennifer Reaves dagegen, anders zu sein als
       die anderen Kinder. „Als Schwarze Deutsche war es nicht einfach, sich
       irgendwo zuzuordnen. Gerade im Alter zwischen 8 und 15 will man nicht
       auffallen.“ Alle wollten die gleichen Klamotten, die gleichen Haare und die
       gleiche Schminke. Aber selbst wenn sie die richtige Kleidung anhatte, hatte
       sie eben keine glatten blonden Haare. „Ich habe nie so richtig dazugehört“,
       erzählt sie. Dann seien da noch ihre Eltern gewesen, die sich nichts aus
       der Meinung anderer gemacht hätten. „Sie sind beide sehr präsent, laut und
       haben Spaß am Leben.“ Ihr Vater könne keine drei Minuten in einer Schlange
       stehen, ohne mit allen eine Unterhaltung anzufangen. „Die Leute liebten
       das.“ Die kleine Jennifer aber fand’s peinlich.
       
       Aufdrehen: Sie kann nicht genau erklären warum, aber irgendwann mit 16 oder
       17 habe sie die Tatsache akzeptiert, dass sie anders aussehe. „Und ich habe
       meine Vorteile daraus gezogen.“ Das sei dann fast ins krasse Gegenteil
       gekippt und es trat das hervor, „was vielleicht immer schon in mir
       geschlummert hat. Einfach, weil mir meine Eltern das so mitgegeben haben.
       Dann kam auch die laute Jennifer, die, die den Raum, den sie betritt,
       eingenommen hat.“
       
       Erster Job: Studieren wollte sie nicht, sich lieber gleich ins Berufsleben
       stürzen. Mit ihrem gewachsenen Selbstbewusstsein, aber ohne genau zu
       wissen, was sie machen wollte, ging sie in ihr erstes Vorstellungsgespräch.
       Eher zufällig hatte sie die Anzeige einer Messegesellschaft für eine
       Praktikumsstelle gelesen. „Da stand groß ‚Trau Dich‘ drauf“, erinnert sie
       sich. Klar, dachte sie, ich trau mich. Später erfuhr sie, dass es sich um
       eine Hochzeitsmesse handelte. Das bringt sie 25 Jahre später noch zum
       Lachen. „Ich saß den Geschäftsführern dann im Spaghetti-Top ohne BH und mit
       einem Eis in der Hand gegenüber und sie haben mich eingestellt.“ Es war
       Sommer und das Leben schien der damals 19-Jährigen unbeschwert.
       
       Ambitionen: Trotzdem, sie hängte sich rein. Das Unternehmen veranstaltete
       auch eine Trendsportmesse und die Designmesse Blickfang. „Nach sechs
       Monaten Praktikum bot man mir eine Projektleitung an, drei Jahre später war
       ich strategische Leitung. Dann dauerte es nochmal fünf Jahre und ich war
       Geschäftsführerin der Blickfang.“ Nebenher schloss sie eine Ausbildung zur
       Veranstaltungskauffrau ab.
       
       Überholspur: Die Designmesse war absolut ihr Ding. „Innerlich angetrieben“
       forcierte sie die Expansion des Events. Sie brachte die Blickfang in viele
       deutsche Städte, außerdem nach Kopenhagen und Tokio. „Mein Sohn war auf den
       Tag vier Wochen alt, da bin ich mit ihm allein nach Tokio geflogen. Es war
       ja mein Projekt und mir war klar: Das darf auch neben der Tatsache
       bestehen, dass ich Mutter bin.“ Viele hätten gedacht, „das schafft die
       nicht“ oder fanden, sie solle zu Hause bleiben. Aber die damals
       Alleinerziehende wollte voll berufstätig sein – auch als die Tochter zur
       Welt kam. Sie arbeitete bald nach der Geburt wieder, ihr heutiger Mann
       Matthias ging in Elternzeit.
       
       Vollbremsung: Sie wäre weiter durchs Leben gerast, wäre da nicht die
       Pandemie dazwischengekommen. Als Reaves Anfang 2020 von einem Japanurlaub
       zurückkehrt, folgt der erste Lockdown. Alle Messen werden abgesagt. „Ich
       bin von dieser Welle, die ich ritt, sehr tief runtergefallen.“ Kurzarbeit,
       alles absagen, wieder Kurzarbeit, Homeschooling. Kurz zuvor hatte sie eine
       neue Firma gegründet, zerstritt sich mit dem Geschäftsführer und war zum
       ersten Mal arbeitslos. „Ich hatte zwei Kinder, eins vier, eins zwölf, und
       musste mit ihnen zu Hause bleiben. Das war der Horror für mich.“ Ihr Mann
       durfte arbeiten gehen. Er ist in der IT eines medizinischen Unternehmens.
       „Er war richtig gefordert. Ich habe ihn dafür gehasst, dass er jeden Tag
       das Haus verlassen durfte. Da kommen handfeste Eheprobleme dazu.“
       
       Ausgebrannt: Die Monate vergingen. Eines Morgens wachte sie auf und bekam
       keine Luft mehr. Sie wusste nicht, was mit ihr geschah, erzählt sie. Es war
       ihre erste Panikattacke. Und dann sei da plötzlich nur noch Leere gewesen.
       Die Powerfrau Jennifer Reaves fällt in ein Loch. Burn-out. Noch heute fällt
       es ihr schwer, darüber zu sprechen. „Wenn du dein ganzes Leben so führst,
       dass du Dinge immer aus eigener Kraft bewegst, und immer Einfluss hast und
       dich auch über dieses Leisten definierst … und dann zerbrichst du plötzlich
       … dann ist das sehr schlimm.“ Sie holt sich therapeutische Hilfe und geht
       mit ihrem Mann zur Eheberatung. Noch immer seien sie in der
       Aufarbeitungsphase.
       
       Neustart: So ganz kann sie die „Superwoman“ jedoch nicht ablegen, begreift
       sich aber heute als eine mit begrenzten Kräften, mit Schwächen und mit
       Ängsten. Diese Erkenntnis inspirierte sie zu einem beruflichen Neuanfang.
       Sie besann sich auf eine Idee, die ihr schon Jahre im Kopf herumspukte.
       Seit 2024 veranstaltet sie jetzt in Stuttgart [1][das BitchFest]. Das
       Festival spricht Frauen, Lesben und Queers an und versucht den Spagat
       zwischen Unterhaltung und Nachdenklichkeit. Es gibt Konzerte, es wird
       getanzt, es wird Schönes hergestellt. Mädchen können Kurse zur
       Selbstbehauptung machen und bei Paneltalks geht es etwa ums Muttersein,
       ADHS bei Frauen, die Enttabuisierung der Wechseljahre oder wie man sich
       gegen rassistische Sprüche wehren kann. Alles, bloß keine
       Selbstoptimierung. „Ich wollte eine Plattform für alle Frauen schaffen, um
       uns zu feiern, wie wir sind.“ Dass dieses Jahr über 500 Besucher*innen
       dabei waren, macht sie glücklich.
       
       Gegenwart: Die alte Jennifer hätte vermutlich ein Event für erfolgreiche
       Unternehmerinnen veranstaltet. „Ich habe festgestellt, dass wir – egal ob
       als High-Performance-Vorstandsvorsitzende, Alleinerziehende oder Erzieherin
       wie meine Schwester – im Kern oft vor denselben Herausforderungen stehen.
       Und ich finde es viel wertvoller, genau da eine Verbindung zu schaffen.“
       Als „Chief Bitch“, wie sie sich augenzwinkernd nennt, kann sie nun Menschen
       zusammenbringen. Das sei ihr Lebenselixier. Natürlich dreht sich beim
       [2][BitchFest] auch vieles um Design – ihre Leidenschaft.
       
       Zukunft: Der Burn-out hat sie in ihren Grundfesten erschüttert. Das
       BitchFest ist ihr Weg da raus. Jetzt muss es nur noch Geld einbringen.
       Reaves sagt, sie sei empathischer geworden. „Ich mag mich heute mehr.“
       
       21 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.bitchfest.de/
   DIR [2] http://www.bitchfest.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marta Popowska
       
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