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       # taz.de -- Kunst über das Leben im Plattenbau: Variationen über ein heruntergekommenes Kulturgut
       
       > Die Schau „Wohnkomplex“ im Potsdamer Minsk zeigt Kunst über das Leben im
       > Plattenbau. Mit geisterhaften Betonlandschaften, Mief und
       > Rechtsterrorismus.
       
   IMG Bild: Scharfe Linien und grafische Raster: Uwe Pfeifer, „Häuser am Abend“, 1972
       
       Die „Platte“, dieses schon immer ambivalente Stück
       DDR-Architekturgeschichte, ist jetzt im Museum. Also jene Wohngebäude nach
       Einheitsbausystem, die von den 1960ern bis zu den 1980ern massenhaft vor
       ostdeutschen Städten emporwuchsen. Sie galt zu DDR-Zeiten als Ausweis der
       sozialistischen Leistungskraft, als „Arbeiterschließfach“ im Volksmund, und
       – wie in [1][Brigitte Reimans Kultbuch „Franziska Linkerhand“] – als Symbol
       für die ideologische Verkrustung der Gesellschaft.
       
       Fast ein Viertel aller DDR-Bewohner lebte in einer Platte. Besonders häufig
       verbaute man die Wohnbauserie WBS 70 vom Architekten Wilfried Stallknecht.
       Ihr Prototyp in Neubrandenburg steht mittlerweile unter Denkmalschutz.
       Ohnehin schaut man auf die nach der Wende zum traurigen Spielort der
       Baseballschlägerjahre gewordene, vielfach abgerissene oder farblich
       aufgepeppte Platte heute anders. Sie stellte eben für sehr viele Menschen
       in Deutschland eine „Sozialisationsumgebung“ dar. So bezeichnet es der
       Kurator Kito Nedo, selbst in Leipzig aufgewachsen.
       
       In Nedos Ausstellung „Wohnkomplex“ im Potsdamer Kunsthaus Das Minsk scheint
       der Plattenbau nun zu einem musealen Objekt erklärt, zum
       erinnerungswürdigen Kulturgut.
       
       So wirkt es, wenn die Schau mit Markus Drapers Architekturmodellen im
       klischeehaften Betongrau beginnt (es sind die Rekonstruktionen der
       tatsächlichen Wohnbauten, in denen die Stasi flüchtige RAF-Mitglieder
       unterbrachte), wenn der Architekturforscher Philip Meuser eine Chronologie
       der Platte vom ersten Versuchsbau 1953 bis zum nie realisierten Typ WBS 90
       von 1989 aufführt und der Katalog ein Glossar bietet, das so abhanden
       gekommene Begriffe klärt wie das „IWC“, die begehrte Toilette in der
       Wohnung.
       
       Doch wie das so ist mit den Dingen, die als erinnernswert gelten, sie sind
       nicht immer einfach. Das bringt schon der Ausstellungstitel „Wohnkomplex“
       zum Ausdruck. Der Begriff, aus der UdSSR in die DDR übergeschwappt,
       beschreibt eigentlich ein Ensemble aus Wohnbauten für rund 5.000 Personen
       mit Nahversorgungszentrum. Es geht aber nun um das komplexe, das
       gesellschaftlich schwierige Kulturgut Plattenbau, dem sich die Potsdamer
       Schau mit 60 teils zu Ostzeiten, teils nach 1990 entstandenen Kunstwerken
       von an sich schon sehenswerten Künstlern wie [2][Ruth Wolf-Rehfeldt],
       Manfred Pernice oder [3][Wenke Seemann] annähert.
       
       ## Verträumte Momente zwischen der Sachlichkeit
       
       Scharfe Linien und grafische Raster bildet die bis an den Horizont
       reichende geisterhaft unbewohnte Architektur von Halle-Neustadt auf den
       Malereien von Uwe Pfeifer aus den 1970er Jahren. Manchmal schiebt Pfeifer
       verträumte Momente in seine durchkomponierte Sachlichkeit: eine rote
       Wäscheleine im Morgennebel, eine Steinkette im Wind.
       
       Auf [4][Sybille Bergemanns Fotoserie] aus dem Berlin-Lichtenberg der späten
       1970er hat der monotone Wohngrundriss der Platte jeglichen Individualismus
       verschlungen. Jede der menschenleeren Innenaufnahmen zeigt den gleichen
       Wohnzimmermief. Von der resignierten Eingerichtetheit der Bewohner eine
       Epoche und den Mauerfall später werden zwei Raver aus Berlin-Mitte im Film
       von Nina Fischer und Maroan el Sani ernüchtert, die in Marzahn erfolglos
       eine coole Clublocation suchen.
       
       Von Enge, Mief und Ausbruchsfantasien künden auch die expressiven
       Gouache-Malereien auf Raufasertapete von Sebastian Jung. Wie die
       Fassadenkacheln manch ostmodernen Baus hängen 26 knallbunte abstrakte
       Gesichter nebeneinander mit vor Schreck geöffneten Mündern – [5][Munchs
       „Schrei“] denkt man, „Ost-Schrei“ betitelt Jung sie 2025.
       
       Jung stellte kürzlich noch in heruntergekommenen Plattenbauten in Leipzig
       aus. Und auch erst vor Kurzem eröffnete in Chemnitz ein
       Dokumentationszentrum zur Neonazi-Terrorgruppe NSU. Deren politischen
       Anfängen in einer Siedlung von Jena-Winzerla spürt Henrike Naumann in der
       Potsdamer Ausstellung mit der beklemmenden Rekonstruktion zweier
       Plattenbau-Jugendzimmer nach. Wir sind also noch mittendrin in der
       Aufarbeitung der Platte. Und hinterrücks wird klar, dass man eine museale
       Distanz zu diesem betonschweren Kulturgut jetzt nicht haben kann, das will
       die Schau auch gar nicht. Die Platte ist ja Gegenwart.
       
       14 Sep 2025
       
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