# taz.de -- Kinotipp der Woche: Die Ausnahmeschauspielerin
> Das Zeughauskino zeigt Filme der ukrainischen Schauspielerin Anna Sten,
> die es nach Hollywood zog, darunter der verschollen geglaubte „Moi Syn“
> von 1928.
IMG Bild: Anna Sten in Yevgenii Cherviakovs „Moi Syn“ (SU 1928)
Gleich die ersten Szenen von Yevgenii Cherviakovs „Moi Syn“ („Mein Sohn“)
von 1928 machen klar, dass die Dinge nicht zum Besten stehen: das Gesicht
der jungen Frau, die der Zwischentitel eben als „Ehefrau“ eingeführt hat,
lässt daran keine Zweifel aufkommen. Die Augen abgewandt, die Lider halb
gesenkt, der Mund ernst. In der nächsten Einstellung geht sie langsam um
die Ecke eines Flures. Ihr Mann (Gennadii Michurin) folgt ihr, der Blick
der Frau bleibt starr nach vorne gerichtet. Ermattet von ihrem inneren
Ringen lehnt sie den Kopf an einen Türpfosten, erst hier wendet sich ihr
Blick dem Mann zu, der neben ihr stehen geblieben ist, die Augen öffnen
sich, weiten sich – bis schließlich ein Zwischentitel folgt: „Vergib mir,
er ist nicht Dein Sohn.“
In all diesen Szenen liegt über dem Gesicht der Hauptdarstellerin, Anna
Sten, ein dichtes Muster aus Laufstreifen, die von der bewegten Geschichte
des Film zeugen. Ab Samstag folgt das Zeughauskino in einer von dem
Filmhistoriker Philipp Stiasny kuratierten Reihe, der bewegten Karriere der
Schauspielerin. Der Titel der Reihe greift die zentralen Stationen ihrer
Karriere auf: [1][„Kyjiw, Berlin, Hollywood. Die vielen Gesichter von Anna
Sten“].
Cherviakovs Film, [2][der die Reihe eröffnet], galt lange wie viele der
frühen Filme des Regisseurs als verschollen. Erst diesen Sommer
präsentierte das amerikanische Filmarchiv George Eastman House auf dem
Archiv-Filmfestival in Bologna jene Fassung die nun auch in Berlin läuft,
die auf einen Kopienfund in Argentinien zurückgeht. Leider sind nur etwa
drei Fünftel des Films erhalten, aber die sind spektakulär.
Der russische Filmhistoriker Peter Bagrov schreibt zu dem Regisseur „Von
all den kleineren Filmemachern der 1920er Jahre in der Sowjetunion ist
Yevgenii Cherviakov einer der wenigen dessen Stimme gehört wurde, der zu
einem Ereignis wurde. Seine Filme wurden zum Modell eines poetischen Kinos
erklärt. Es wäre genauer, sie als existentiell zu bezeichnen.“ Im Zentrum
der Ästhetik von Cherviakovs Film stehen Nahaufnahmen von Gesichtern, in
denen sich die inneren Regungen virtuos spiegeln.
Das sahen auch Zeitgenossen so. Als der Film im November 1928 in
Deutschland in die Kinos kommt, schreibt der Filmkritiker und spätere
Filmtheoretiker Rudolf Arnheim: „Anna Sten […] schont ihr edles Gesicht
nicht vor den Niederschlägen der dramatischen Handlung. Sie gibt das
hastige Geplapper einer ängstlichen Sünderin ebenso glaubhaft wie die
Starre einer bleichen Totenmaske.“
Als sie wenig später ihre Karriere erst in Deutschland, später in
Großbritannien und den USA fortsetzt, wird die ukrainische Schauspielerin
als Russin vermarktet. Doch über alle Stationen hinweg bleibt Sten eine
Schauspielerin, die weiß, was sie will und kann. Als sie nach Hollywood
kommt, ist der einfachste Weg sie in den Augen der Produzenten zum Star zu
machen, Sten das Star-Gehabe von europäischen Diven wie Greta Garbo und
Marlene Dietrich anzutrainieren.
Die Schauspielerin ist wenig begeistert. 1934 sagt sie der New York Times:
„I am an actress. I came here to work, to study. Not to give a monkey
exhibition!“. Die Filmreihe im Zeughauskino rückt eine
Ausnahmeschauspielerin, die nach den letzten Ausläufern ihrer Karriere in
den 1960er Jahren nur noch wenigen bekannt war, ins schon lange verdiente
Rampenlicht.
1 Oct 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihe/kyjiw-berlin-hollywood/
DIR [2] https://www.dhm.de/zeughauskino/vorfuehrung/moi-syn-13321/
## AUTOREN
DIR Fabian Tietke
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