URI:
       # taz.de -- Die Wahrheit: Ursuppe für die Nerven
       
       > Wenn die handelsüblichen Entspannungsmethoden nicht funktionieren, gibt
       > es noch ein paar abseitige, aber sehr wirksame Mittel, Gelassenheit zu
       > finden.
       
       Wenn man beim Meditieren einschläft oder die Natur schützt, indem man sie
       nicht betritt, oder Kiffen albern findet oder auf Alkohol tanzen und
       knutschen will, werden Entspannungsmöglichkeiten rar.
       
       Dennoch konnte ich einige finden. Beispielsweise die Livestream-Übertragung
       der „Centennial Bulb“, jener seit 124 Jahren fast durchgehend leuchtenden
       Glühlampe in einer Feuerwache nahe San Francisco. Bereits der
       Bildausschnitt verringert den Bluthochdruck aufs Angenehmste: Weil die
       Livecam in Deckenhöhe angebracht und nur auf die an einem brüchigen
       schwarzen Kabel hängende Vier-Watt-Birne gerichtet ist, bekämen Zuschauer
       nicht mal mit, wenn sich der große Brand wiederholte, der die Stadt nach
       einem Erdbeben im Oktober 1906 fast komplett zerstörte.
       
       Während meiner langjährigen Birnenentspannung habe ich selten überhaupt
       Bewegung auf dem Fußboden der Wache wahrgenommen – einmal wackelte die
       Birne leicht, vermutlich wurde ein Fenster auf Kipp gestellt; einmal
       tauchte ganz kurz etwas Ballartiges im Sichtfeld auf. Und einmal rückte
       tatsächlich ein Feuerwehrauto aus, dessen Dach man am Rand des dämmrigen
       Bildes sieht. Ich bekam fast einen Herzinfarkt, musste die tonlose
       Liveübertragung ausschalten und mich mit der Lektüre von Günter Herburgers
       aus den Siebzigerjahren stammenden Kinderbüchern „Birne kann alles“ und
       „Birne kann noch mehr“ beruhigen.
       
       Seitdem nutze ich in solchen Fällen Alternativen: In Thailand kocht seit
       knapp 50 Jahren durchgehend die gleiche Suppe. Die „Neua Tune“, eine
       Rindfleisch-Nudelsuppe, köchelt in einem Bangkoker Restaurant mittlerweile
       in der dritten Generation und wird anscheinend jeden Tag ohne fatale
       Konsequenzen an Gäste ausgegeben.
       
       Der Trick ist so einfach wie nachhaltig: Suppenreste schüttet man nicht
       weg, sondern lässt sie beherzt drin, ganz im Sinne von Quentin Crisps
       Überzeugung, Wohnungen nicht zu reinigen, denn „nach den ersten vier Jahren
       wird der Schmutz nicht mehr schlimmer“.
       
       Besucher beschreiben die Suppe lakonisch als „Kaleidoskop der Aromen“,
       gegenüber unwissenden Gästen aus dem Westen könnte man auch einfach
       „Umami-Geschmack“ sagen. Leider hat die Suppe noch keine eigene Livecam,
       aber es gibt ein paar Videos, die einen riesigen, mit trübem braunen Brack
       und weißen Stippen gefüllten Topf zeigen, in dem erfreulich gesund
       aussehende Köche mit kleinen Netzen herumfischen.
       
       Als Gast kann man sich glücklich schätzen, wenn einem beim Genuss der
       Methusalem’schen Suppe tatsächlich ein Klumpen Siebzigerjahrefleisch auf
       dem Teller landet – waren die Gräser damals nicht grüner, die Rinder
       gesünder, die Lüfte sauberer und man selbst in besserer Verfassung?
       
       Der Gedanke an die diesige Ursuppe beruhigt die Nerven stante pede. Und
       auch die Sorge um den Verzehr abgelaufener Lebensmittel löst sie in Luft
       auf.
       
       7 Sep 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Zylka
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Entspannung
   DIR Meditation
   DIR Suppe
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: Kann man Wellensitticheier essen?
       
       Zierliche Lebensmittel wie Wachteleier entzücken das Auge. Aber nicht alle
       tierischen Niedlichkeiten darf man mit gutem Gewissen verspeisen.
       
   DIR Die Wahrheit: Die Angeber-Akademie
       
       Die momentan hohe Anzahl abgrundtief schlechter Angeber in der Politik
       verschleiert, dass es auch gute Angeber mit hervorragenden Fähigkeiten
       gibt.
       
   DIR Die Wahrheit: Meinem Namen zur Ehre
       
       „ … Natürlich wäre es großartig, wenn jemand einen Cocktail nach mir
       benennt. Aber wer sollte das tun, und warum? …“.
       
   DIR Die Wahrheit: Das sofortige und endgültige Rucksackverbot
       
       Es müsste im Alltag vielmehr vernünftige Verbote geben, den Anfang machen
       könnte ein Edikt gegen den Buckel in Pottwalgröße auf dem Rücken.
       
   DIR Die Wahrheit: Traumjob mit Wackelaugen
       
       Berufswahlwünsche verändern sich im Laufe des Lebens. Spannend wird es,
       wenn Champagner, Pompons, Wackelaugen und Kork in die nähere Auswahl
       kommen.
       
   DIR Die Wahrheit: Nazi statt Satan
       
       Mit dem richtigen Song lässt sich ein Alienentführungs-Ganzkörperkostüm
       auch im politischen Kampf einsetzen.