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       # taz.de -- Musikerin Jens Ausderwäsche: Sie pflegt lieber Marotten statt Selbstoptimierung
       
       > Wenn dem Kapitalismus die Schminke zerläuft, hilft nur Schrulligkeit.
       > Diesem Motto folgt die Musikerin Jens Ausderwäsche aus Chemnitz.
       
   IMG Bild: Da ist sicher irgendwo ein Baumarkt: Jens Ausderwäsche in Chemnitz, Sommer 2025
       
       Wer sich auf die mühsame Suche nach dem Wort „Kurzarbeit“ in der
       deutschsprachigen Poplyrik macht, wird passenderweise fündig in Chemnitz,
       von 1953 bis 1990 Karl-Marx-Stadt genannt, im 19. Jahrhundert als
       „sächsisches Manchester“ tituliert und aktuell Kulturhauptstadt Europas.
       Dort, im Stadtteil Sonnenberg, lebt und arbeitet Jens Ausderwäsche.
       
       Der wenig groovige Begriff „Kurzarbeit“ kommt in einem unbedingt
       tanzflächentauglichen Song der ostdeutschen Musikerin vor. „Dagmar wird
       böse“ heißt er, und so viel kann schon mal verraten werden: Dagmar ist
       nicht allein, wenn es gegen den „beschissenen Luxus für jeden“ geht.
       
       Das Pseudonym Jens Ausderwäsche hat der Künstlerin ein Freund gegeben, und
       sie mag das Überraschungsmoment, dass Jens bürgerlich Jenny Kretzschmar
       heißt, geboren 1995 im sächsischen Rochlitz, aufgewachsen in Geringswalde.
       Gäbe es die Stadt zwischen Leipzig, Chemnitz und Dresden nicht tatsächlich,
       könnte sie eine Wortschöpfung von Jens Ausderwäsche sein.
       
       Jens war bereits musikbegeistert, als sie in Döbeln einen Schreibkurs der
       Autorin Sylvia Eggert besuchte. „Für mich war das eine Möglichkeit, zum
       ernsthaften Ausdruck zu kommen“, erinnert sich Jens im Gespräch mit der
       taz. Sie nahm an Lesungen teil. Drei Monate zuvor war sie noch eine
       Schülerin gewesen, die selbst gestaltete Hefter mit eigenen Gedichten bei
       sich trug.
       
       ## Mit zwölf zum Schreibkurs
       
       Eine Klassenkameradin erzählte davon der Geografielehrerin, die kannte
       Eggert; und die Germanistin und Anglistin machte die damals zwölfjährige
       Jenny Kretzschmar mit Techniken wie der des Automatischen Schreibens, derer
       sich die Surrealisten bedienten, vertraut.
       
       Ihr erster musikalischer „Crush“, wie Jens ihn nennt, war Elvis. Da war sie
       acht, neun Jahre jung und vernarrt in die Serie „Full House“, speziell in
       Onkel Jesses Erzählungen vom King. Jens lieh sich deshalb CDs und Kassetten
       aus der städtischen Bibliothek und behielt sie ein halbes Jahr. Danach
       folgte eine Popphase, die sie rückblickend „komisch“ nennt. Jens hat VIVA
       und MTV schwer „gesuchtet“. Exakt so sagt sie das. Dann begegneten ihr
       Oasis und Babyshambles, etwas später klassischer Rock, Nirvana und Lou
       Reed, dessen Werk sie ein ganzes Jahr lang hörte. Vom elektrisch
       verstärkten und literarisch versierten Grantler Reed war es nicht mehr weit
       zu Outsider-Sounds, zu „Musik fast schon an der Grenze zur Musik“.
       
       Jens Ausderwäsche spielt durch seltsame Filter gejagte Popsongs und
       herzlich unakademische Experimentalmusik. Disco und Noise, Grunge und Folk
       gehen bei ihr eine Liaison ein, in der es knistert und knarzt. [1][Bekannt
       geworden ist Jens als Mitglied der Band Baumark]t. Als Duo gegründet,
       spielten Sängerin und Gitarristin Jens und Multiinstrumentalist Florian
       Illing, für zwei Jahre stieß die Bassistin Brontë Klippell hinzu, eine
       kantige Version von Synthie-Punk. Baumarkt nahmen noch an der
       Eröffnungsfeier zur Kulturhauptstadt 2025 in Chemnitz teil und haben sich
       dann im Frühjahr leider aufgelöst.
       
       Noch einmal zu hören sind sie auf „Rövolution“, der gerade erschienen
       zweiten Compilation von Rö13 Records, des Labels, auf dem Jens Ausderwäsche
       und ihr Umfeld seit 2020 Songs veröffentlichen. Ihre eigene Musik und das
       Programm des Labels umreißt Jens mit dem Adjektiv „schrullig“ und sagt:
       „Ich gehe offensiv damit um. Rö13 ist ein Schrull-Label. Ich finde es
       wichtig, dass man die Schrulligkeit für neue Generationen warmhält.
       Ansonsten stirbt sie. Ich habe Angst um die Schrulligkeit.“
       
       ## Nachtarbeit statt Abendkleid
       
       Marotten statt Selbstoptimierung, Ticks statt Effizienz, so lässt sich dem
       Kapitalismus, dem die Schminke am Zerlaufen ist, einigermaßen stilvoll
       gegenübertreten. Das hat sich Rö13 auf die Fahnen geschrieben. „Rövolution“
       enthält dazu einige Zustandsbeschreibungen, begnügt sich aber nicht damit.
       „Nachtarbeit statt Abendkleid“ heißt es in dem energischen Wave-Punk der
       nach einem [2][Roman von Autorin Paula Irmschler] benannten Band
       Superbusen, in der Jens Ausderwäsche ebenfalls mitspielt.
       
       Zusammen mit der Schauspielerin Magda Decker bringen Superbusen der
       Popmusik noch ein paar mehr Begriffe bei, etwa „Lohnstreik“ und
       „Mindestlohn“. „Ich bin phänomenal / phänomenal egal“, singen Superbusen.
       Willkommen in Deutschland 2025, willkommen beim „DHL-Lifestyle“. Und hier
       kommt ein Text, der Manifestcharakter hat: „Das ist keine Kunst, das ist
       Schmutz / Das ist keine Musik, das ist Krach / Das ist kein Gemälde,
       sondern Schmiererei / Das ist keine Poesie, welche schützt vor
       Pöbelei“,sagen die Leute in „Schmutz“, einem Stück Rumpelrock von Benni
       Schurtz. Der verwandelt den Vorwurf in Stolz.
       
       Jens Ausderwäsche ist wieder dabei, wenn die Band Projekt Hässlich den
       „Terror der guten Laune“ persifliert: „Wir blasen die Posaune“. Eigentlich
       will man sich in den Rechner flüchten: „Welt gerettet und nur dreimal
       ausgerastet“, berichtet Augenringemann im Elektro-Schleicher „System
       Overhaul“. Das „Nein“ in der gleichnamigen Mini-Rockoper von Moraffa ist
       allumfassend und wörtlich zu nehmen.
       
       ## Vielleicht das Liebeslied des Jahres
       
       Dabei ist die Musik auf „Rövolution“ alles, aber kein dröger Agit-Prop. Das
       „Geisterhaus“ von Der Anfang könnte das Liebeslied des Jahres 2025 werden.
       „Ananas Ring“ von Polyghost ist ein mustergültiger Popsong, Drumcomputer,
       träumerische Keyboardflächen und Handclaps inklusive. Ein Bandname wie
       Leere Flaschen lässt Fun-Punk befürchten, aber ihr Beitrag „Wie Du tanzt“
       geht als schneidend unsentimentaler Darkwave durch. „Pheromone“ von Frydek
       entwickelt sich von einer Sommerballade zu epischem elektronischem Pop. Und
       mit dem „Igelponyreiter“ von Toni Lihs gibt es ein absurdes Hörspiel im
       Miniaturformat.
       
       Das Rö13-Klanguniversum ist weit gestreckt; dabei hat es sich an einem Ort
       entfaltet, in der Rößlerstraße 18 in Altchemnitz. Das Eckhaus aus der
       Gründerzeit ist Kulturdenkmal und war gleichzeitig Austragungsort von
       künstlerischen Begegnungen, Bandsessions und Alltag jenseits der
       Alltäglichkeit. Jens Ausderwäsche hat dort lange gewohnt, bis die Balance
       zwischen bohemehaft und prekär gekippt war.
       
       Zwei Veröffentlichungen von Jens Ausderwäsche stehen in diesem Jahr mit
       Sicherheit noch an. Da ist einmal ihre Interpretation des
       Iggy-Pop-Klassikers „Plastic & Concrete“, einer Studie in Entfremdung und
       Moderne. Erscheinen wird Jens’ Lo-Fi-Cover auf dem Album „Beton Pop“, einer
       von dem Leipziger Alexander Pehlemann kuratierten Compilation als Hommage
       an das steinerne Grau und die darin eingeschlossenen Utopien und lauernden
       Dystopien.
       
       Zum anderen wird es ein neues Soloalbum von Jens Ausderwäsche geben: „Hier“
       ist bereits fertig produziert und wird auch Beiträge von Tom G. Liwa
       enthalten. Der Duisburger Songwriter und Gründer der deutschsprachigen
       Psychedelic-Folk-Band Flowerpornoes darf als Geistesverwandter gelten. Bis
       zum Erscheinen des Albums empfiehlt sich der Backkatalog von Jens
       Ausderwäsche: Da sind die liedhaften, sich einander spiegelnden Songs der
       Doppel-EPs „Gesund und munter“ und „Müde und gesund“ und der doppelbödige
       Pop-Entwurf inklusive „Dagmar ist böse“ des Albums „Mir“, wie auch dessen
       geräuschhaltiger Vorgänger „Dir“. Beide Alben werden mit „Hier“ eine
       Trilogie bilden.
       
       ## Zorn über rassistische Ausschreitungen
       
       Dann ist da die andere Seite derselben Künstlerin: Das eigentliche
       Debütalbum von Jens Ausderwäsche ist das 2018 erschienene „Barbaren“, eine
       zornige Reaktion auf die rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz am 27.
       August 2018. Das Datum, an dem das aktuelle Deutschland begann, ist der
       Titel des Eröffnungsstücks und ein gewollt unangenehmes Beispiel für
       Noise-Rock.
       
       Dabei hat sich für Jens Ausderwäsche ein Kreis geschlossen: Seit 2024
       musiziert sie mit dem aus Karl-Marx-Stadt stammenden [3][Berliner Künstler
       Florian Merkel] unter dem Namen Der Lustige Eidechs. Merkel war 1983
       Mitbegründer der Band Die Gehirne. Um ihn und den Autor und den
       Filmwissenschaftler Claus Löser scharte sich ein Kreis klanglich
       Aufgeschlossener, deren Echos sich auch in der Musik von Jens Ausderwäsche
       wiederfinden. Die Gehirne und deren Seitenprojekt Tropenkoller, Florian
       Merkel mit der Künstlerin und Musikerin Frieda Schmoll, hört Jens auf den
       Alben der Edition Tapetopia des Schriftstellers Henryk Gericke.
       
       Mit Florian Merkel stellt sie mittlerweile auch aus und ist zu Recht stolz,
       wenn er ihr sagt: „Das ist wie in den Achtzigern.“ Mit Nostalgie hat das
       wenig zu tun, wie auch das mythische Jahrzehnt nicht nur aus
       Schulterpolstern und Neonfarben bestand.
       
       12 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Mießner
       
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