# taz.de -- Politologin über Polarisierung: „Raus aus der selektiven Empathie“
> In ihrem Buch „Muslimisch-jüdisches Abendbrot“ suchen Saba-Nur Cheema und
> Meron Mendel nach Gemeinsamkeiten im Unterschiedlichen.
IMG Bild: Leben und schreiben zusammen: Saba-Nur Cheema (l) und Meron Mendel
taz: Frau Cheema, Sie führen eine muslimisch-jüdische Ehe – da ist das
Private derzeit ziemlich politisch, oder?
Saba-Nur Cheema: Das Private ist doch immer politisch, oder? Wir schreiben
bereits [1][seit einigen Jahren gemeinsam] die Kolumne
„[2][Muslimisch-jüdisches Abendbrot]“. Insofern haben wir uns auch bewusst
dazu entschieden, bestimmte Themen, die uns privat betreffen, öffentlich
zum Thema zu machen. Häufig sind wir aber auch mit Projektionen von außen
konfrontiert.
taz: Wie muss man sich die Diskussion bei Ihnen beim Abendbrot vorstellen?
Cheema: Wahrscheinlich so wie bei allen anderen Paaren. Wir haben Spaß
daran, miteinander zu diskutieren. Häufig sind wir auch ganz anderer
Meinung, was auch damit zu tun hat, dass wir sehr unterschiedlich
sozialisiert worden sind. Meron ist sehr säkular in einem Kibbuz in Israel
aufgewachsen. Ich bin in Frankfurt aufgewachsen, in einer sehr
muslimisch-religiösen Familie. Er ist ein „echter Migrant“, mir wird es
immer nur zugeschrieben, obwohl ich hier geboren wurde. Die Diskussionen
unter uns sehen aber doch wiederum anders aus.
taz: Es geht also nicht immer um die großen Fragen der Zeit.
Cheema: Es geht natürlich auch ums große Ganze. Vor [3][dem 7. Oktober] war
der Nahost-Konflikt immer wieder ein Thema – gerade mit dem Blick darauf,
wie stark der Konflikt in den beiden Communitys polarisiert und wie er
jüdisch-muslimische Beziehungen und den Dialog insgesamt beeinflusst oder
erschwert.
taz: Was hilft es, kulturelle Alltagserfahrungen von anderen mitzubekommen,
wenn es doch gerade um die Frage von Krieg und Frieden geht?
Cheema: Worum es uns gerade mit Blick auf die Nahost-Debatte geht, ist,
zunächst etwas [4][gegen die Polarisierung] zu tun. Wir sehen noch immer,
dass es Menschen sehr stark unter Druck setzt, sich für eine Seite
entscheiden zu müssen. Viele Menschen positionieren sich eher ideologisch
und haben häufig keinen persönlichen Bezug zu Israel oder Palästina. Da
spielt Projektion eine ganz große Rolle. Man übernimmt irgendwelche
Positionen, die man in sozialen Medien gelesen hat. Dazu kommt, dass viele
ihre Informationen dort beziehen, allerdings wissen wir: Es werden
ordentlich Desinformationen darüber verbreitet, was in Israel und Palästina
„tatsächlich“ geschehen würde.
taz: Wie soll man auf so einer Grundlage diskutieren?
Cheema: Mir geht es eher darum, auch die Perspektive des Gegenübers zu
akzeptieren. Auch wenn ich nicht zustimme, sollte man versuchen, die andere
Perspektive anzuerkennen und raus aus diesem Modus der selektiven Empathie
kommen. Man kann eben pro-israelisch und pro-palästinensisch sein, indem
man sich auf die Seite der friedlichen Kräfte stellt. In der öffentlichen
Debatte hierzulande dominieren leider die jeweiligen extremistischen
Positionen.
taz: Sie und Ihr Mann werden immer wieder für Ihre Positionen und den
„Verrat“ an Ihren Religionsgemeinschaften kritisiert. Wie gehen Sie damit
um, ständig die „falsche“ Position zu vertreten?
Cheema: Der Konformitätsdruck ist innerhalb der jüdischen und auch der
muslimischen Gemeinden sehr groß – gerade mit Blick auf den
[5][Nahostkonflikt]. Man will irgendwie zusammenhalten, aber jeder, der
eine Meinung vertritt, die nicht dem „Mainstream“ entspricht, kriegt es mit
Hass und Hetze zu tun. Ich finde es wichtig, dass wir einander konstruktiv
kritisieren – auch innerhalb der Communitys. Aber es ist etwas anderes,
wenn mir abgesprochen wird, Muslimin zu sein, und ich als „Verräterin“
beschimpft oder bedroht werde. Dann sind wir natürlich nicht mehr bei
Kritik.
taz: Wie gehen Sie damit um?
Cheema: Wir wissen beide, dass wir allein mit dieser Konstellation für
viele eine Provokation darstellen. Insofern ist das etwas, was wir erwartet
haben. Wir versuchen uns, auf die positiven Stimmen zu konzentrieren und
jene Menschen, die die Polarisierung auch satt sind. Davon gibt es mehr,
als wir denken oder soziale Medien uns glauben lassen.
21 Jun 2025
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## AUTOREN
DIR Quirin Knospe
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