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       # taz.de -- Schwarz-rote Koalition: Als Kanzler muss sich Friedrich Merz verscholzen
       
       > Nur noch ein Viertel der Bevölkerung ist mit seiner Arbeit zufrieden.
       > Dabei hat Merz' Kanzlerschaft noch nicht einmal begonnen. Was er ändern
       > müsste.
       
   IMG Bild: Friedrich Merz, Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Bundesvorsitzender, spricht im Paul-Löbe-Haus, Berlin, am 9. März 2025
       
       Als Friedrich Merz am Mittwoch am Redepult im Paul-Löbe-Haus steht, könnte
       das ein großer Moment für ihn sein. Schwarz-Rot hat sich auf einen
       Koalitionsvertrag geeinigt, bald werden Union und SPD ihn zum Kanzler
       wählen. Doch Merz findet nicht die passenden Worte. In Spiegelstrichmanier
       zählt er auf, was die künftige Koalition sich so alles vorgenommen hat.
       Statt eines großen Bogens: Klein-Klein.
       
       Merz hat seine Rolle als Kanzler noch nicht gefunden. Und eine
       sinnstiftende Erzählung, die diese Koalition grundieren sowie beflügeln
       kann, fehlt auch. „Verantwortung für Deutschland“ steht auf dem
       Koalitionsvertrag, das klingt maximal uninspiriert. Und so lesen sich die
       144 Seiten auch.
       
       Nun kann man sagen: In diesen kritischen Zeiten, in denen die Demokratie
       von außen und innen unter Beschuss steht, braucht das Land vor allem
       Stabilität. Und eine Regierung in der politischen Mitte, die die Probleme
       angehen will – das ist doch schon was. Das stimmt. Doch auch für den Erfolg
       einer solchen Regierung braucht es mehr als einen Kanzler, der erst
       gnadenlos polarisiert und dann mühsam vereinbarte Einzelmaßnahmen
       auflistet.
       
       Viele Jahre lang hat Merz politisch als „Anti“ funktioniert, das ist seine
       Art, Politik zu machen. Erst stand er in Gegnerschaft zu Angela Merkel, als
       diese noch Kanzlerin und CDU-Chefin war. Dann war er Gegenspieler zur
       Ampel, den Grünen und SPD-Kanzler Olaf Scholz. Als Oppositionsführer hat
       das funktioniert.
       
       Im Wahlkampf aber ging Merz in seinem Populismus zu weit: Beim Thema
       Schulden hat er nicht die Wahrheit gesagt und haltlose Versprechen bei
       Migration, Sozialem und Steuererleichterungen gemacht. Das hat der Union
       zwar den Wahlsieg, aber ein schlechtes Ergebnis eingebracht – mit nur einer
       einzigen Koalitionsoption und starken Rechtsradikalen im Bundestag.
       
       Merz’ Glaubwürdigkeit – von der gemeinsamen Abstimmung mit der AfD ohnehin
       angeschlagen – hat noch weiter gelitten, die Zustimmungswerte sind
       runtergerauscht: Laut Umfragen ist nur noch ein Viertel der Bevölkerung mit
       seiner Arbeit zufrieden. Merz zieht geschwächt ins Kanzleramt.
       
       Er muss jetzt den Schalter umlegen: das Polarisierende und Spalterische,
       das Disruptive ablegen. Und sich stattdessen darauf besinnen, was ein
       Kanzler einer lagerübergreifenden Koalition nun einmal tun muss, wenn
       diese Erfolg haben will: nicht nur führen, sondern auch integrieren und
       moderieren.
       
       Das gilt nicht nur innenpolitisch, sondern auch mit Blick auf Europa, wo
       Deutschland eine herausgehobene Rolle zukommt. Man könnte auch sagen:
       [1][Merz muss sich verscholzen,] ein bisschen zumindest. Manche seiner
       Anhänger*innen werden dann umso lauter „Verrat!“ schreien. Aber anders
       wird es nicht gehen. Ob Merz das kann? Als Vorsitzender seiner Partei ist
       ihm das intern zumindest zum Teil gelungen.
       
       ## Jetzt ist solide Arbeit nötig
       
       Doch das Problem liegt weit tiefer als in Merz’ Persönlichkeit und seiner
       Art, Politik zu machen. Die Christdemokratie steht, wie der Konservatismus
       überall in Europa, unter dem Druck rechtsradikaler Populist*innen. Und
       hier wie dort finden sie keine Antwort darauf. Die Union hat sich von der
       AfD in einen populistischen Wahlkampf treiben lassen, hat sich ihr in Ton
       und Inhalt angenähert, insbesondere bei der Migration, aber auch, was den
       Umgang mit den Grünen, der Linken und der Zivilgesellschaft angeht.
       
       Nach der Wahl und in Koalitionsverhandlungen ist sie wieder in der Realität
       angekommen. Zwar hat sie [2][Verschärfungen etwa im Bereich Asy]l und beim
       Bürgergeld durchgesetzt – auch weil die SPD weiß, dass ein Teil ihrer
       Klientel genau das will. Erkennen musste die Union aber auch: Wer eine
       demokratische Regierung will, muss Kompromisse machen. Und einsehen, dass
       man nicht einfach alle Fortschritte zurückdrehen kann.
       
       Nun ist die Lage der deutschen Christdemokratie im Vergleich zu anderen
       konservativen Parteien in Europa bislang noch einigermaßen stabil. In
       Umfragen hat die AfD aber gleichgezogen. Aufhalten wird die Union diesen
       Trend nicht mit Populismus, Ressentiments und politischen Forderungen am
       Rande der Legalität, die ihnen später Gerichte um die Ohren hauen.
       Vielleicht aber mit dem, was man früher auch mit Konservatismus verband:
       solider Arbeit in einer Koalition; Kompetenz beim Thema innere und äußere
       Sicherheit; und dem Einsatz für einen Staat, der funktioniert.
       
       Ansätze dafür stecken durchaus im schwarz-roten Koalitionsvertrag. Nicht
       bei allem werden die gesellschaftliche Linke und Linksliberale klatschen,
       sondern manches politisch bekämpfen und zu verhindern suchen. Aber so ist
       das in der Demokratie. Wenn die Konservativen anständig bleiben, geht das
       in Ordnung.
       
       12 Apr 2025
       
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