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       # taz.de -- Kampf ums Wasser: Red Bull verleiht Dürre
       
       > In einer Brandenburger Kleinstadt kauft Red Bull Anteile einer
       > Mineralwasserfabrik. Der Widerstand in der Bevölkerung wächst. Wem gehört
       > das Wasser?
       
       Weißer Dampf quillt aus einem Schornstein. Er zieht über den blauen
       Januarhimmel, wabert weg mit dem Westwind. Vor der grauen Fabrikhalle liegt
       eine karge Wiese, das Gelände ist umschlossen von einem Zaun. Die Fabrik
       steht zurückgesetzt, von dem menschenleeren Parkplatz aus betrachtet sieht
       sie aus wie ein Containerschiff, das am Horizont verharrt. Auf den
       betonierten Stellplätzen davor stehen wenige Lkw – es wäre noch Platz für
       viele mehr.
       
       Die Getränkefabrik in Baruth im südlichen Brandenburg gehört zwei
       Großkonzernen: Rauch und Red Bull. Ein gelber Aufsteller an der Einfahrt,
       darauf das schlichte Logo mit der Silhouette einer Apfelsine, weist nur auf
       die Fruchtsaftfirma Rauch hin. Kein Hinweis auf die zweite Marke, nirgends
       das Bullen-Logo. Dabei produziert Red Bull hier schon seit 2023 den
       weltbekannten Energy-Drink. Die Firma Rauch übernimmt lediglich das
       Abfüllen. Zur Verfügung steht den Partnerkonzernen eine größere Wassermenge
       als der Tesla-Fabrik in Grünheide. Und Red Bull will noch mehr.
       
       Die zwei Konzerne haben vor zwei Jahren das Unternehmen Brandenburger
       Urstromquelle gekauft. Und mit der Fabrik und ihrem Markennamen auch die
       Erlaubnis, die wichtigste Ressource der Region anzuzapfen: das Grundwasser.
       Und das ist begrenzt. In Brandenburg stammt fast das gesamte Trinkwasser,
       über 95 Prozent, aus dem unterirdischen Vorkommen. Das Problem: [1][Der
       Klimawandel und der steigende Wasserverbrauch] von Industrie,
       Landwirtschaft und Privathaushalten schöpfen es zunehmend ab. Schwinden die
       Grundwasserspeicher, dauert es sehr lange, bis sie sich wieder füllen –
       wenn überhaupt.
       
       In Baruth leben rund 4.000 Menschen. Eine Hauptstraße führt durch den Kern
       der Stadt, vorbei an einer Kirche, an zweistöckigen Häusern und einer
       Apotheke. Lastwagen donnern die Straße entlang. Hier gibt es seit dem
       Verkauf der Mineralwasserfabrik Streit. Es ist ein Konflikt, bei dem es um
       Käfer und Kiefern, Alu-Dosen und Bürger*innenbeteiligung geht, um
       die Macht globaler Konzerne – und vor allem um die Frage, wer eigentlich
       Zugang hat zum Wasser.
       
       Seit ihrer Gründung nach der Wende hat die Brandenburger Urstromquelle hier
       Mineralwasser abgefüllt. Bis zuletzt gehörte sie zur Firmengruppe
       Altmühltaler mit bundesweit vier Fabriken, die den Eigentümer Michael
       Schäff zum Multimilliardär machten. Auch, weil Wasserpreise für Unternehmen
       in Deutschland deutlich niedriger sind als für Privathaushalte – in manchen
       Bundesländern sogar kostenlos. Recherchen der Süddeutschen Zeitung zufolge
       wollte Schäff seine Getränkefabriken seit 2022 loswerden. Die vier
       Standorte gingen schließlich an Krombacher, Aldi Nord und, in Baruth: an
       Red Bull und Rauch. Energy-Drinks statt Mineralwasser.
       
       Der Wasserversorger in Baruth darf über das Wasserwerk Baruth/Mark jährlich
       2,5 Millionen Kubikmeter Grundwasser entnehmen. Laut Genehmigung stehen
       davon der Brandenburger Urstromquelle in der Hand von Red Bull und Rauch
       etwa 92 Prozent zu. Das war zwar auch zuvor schon so, doch Red Bull will
       die genehmigte Wassermenge weiter ausschöpfen, als dies bisher der Fall
       war. Acht Prozent bleiben als Trinkwasser für die Bevölkerung.
       
       ## Brandenburg ist besonders trocken
       
       Auch wenn beide Firmen die Brandenburger Urstromquelle besitzen, arbeiten
       sich die Gegner*innen des Deals vor allem an Red Bull ab. Zum einen
       liegt das am Image des Unternehmens. Red Bull stellt den meistverkauften
       Energy-Drink weltweit her, im Jahr 2024 verkaufte es nach eigenen Angaben
       12,6 Milliarden blau-silberne Dosen mit dem süßen Getränk. Red Bull
       investiert in Extremsport, [2][besitzt Fußballclubs] und ein Formel-1-Team.
       Der inzwischen gestorbene Gründer Dietrich Mateschitz finanzierte eine
       eigene rechtsgerichtete „Investigativplattform“, die wieder pleite ging und
       baute den österreichischen Sender Servus TV auf, der in der Corona-Pandemie
       bei der Querdenken-Bewegung beliebt wurde. 2024 kassierten die Eigentümer
       von Red Bull 984 Millionen Euro allein aus Dividenden. Und das Unternehmen
       wächst weiter.
       
       In Baruth will Red Bull außerdem zukünftig nicht nur den Energy-Drink
       abfüllen lassen, sondern auch die Dosen dafür selbst produzieren. Neben
       einer weiteren Fabrik zu diesem Zweck ist auch ein Logistikzentrum geplant.
       Dafür wird noch mehr Wasser nötig sein, zeigen Pläne der Stadt, die der taz
       vorliegen. Und weil dadurch mehr Abwasser entsteht, soll auch eine neue
       Kläranlage her. Ein Waldstück, teils im Wasserschutzgebiet, soll für die
       Dosenfabrik gerodet werden. Aus Sicht der Gegner*innen des neuen
       Bauvorhabens setzt die Stadt damit falsche Prioritäten: Industrie vor
       Bevölkerung. Doch die Stadtverordneten haben die Bebauungspläne bereits
       angepasst. Umweltverbände warnen vor der Erweiterung, die Politik
       argumentiert mit bis zu 120 neuen Arbeitsplätzen. Bei Red Bull und Rauch
       arbeiten derzeit rund 400 Personen.
       
       Baruth sitzt auf einem Schatz. Das jahrtausendealte Grundwasser im
       Urstromtal hat eine besonders gute Qualität. Doch die Klimakrise ist in
       Baruth längst angekommen, Brandenburg zählt insgesamt zu den trockensten
       Bundesländern – und es wird noch trockener. Der zurückliegende
       Brandenburger Winter war der trockenste in ganz Deutschland. Nirgends fiel
       weniger Niederschlag. Auch in Baruth versanden Brunnen, etwa die, die es
       zum Löschen braucht. Rund 30 Waldbrände gibt es hier im Jahr.
       
       Baruth ist deshalb ein gutes Beispiel für eine Frage, die in Zukunft für
       alle wichtig wird: Wie viel Wasser haben wir? Und wem gehört es, wenn es
       knapp wird?
       
       Gespräche mit Hydrolog*innen zeigen: Es ist kompliziert. Genaue
       Mengenangaben zum unterirdischen Wasserspeicher sind fast unmöglich – weder
       für Baruth noch anderswo.
       
       [3][Eigentlich funktioniert Grundwasser] so: Regen versickert langsam im
       Boden. Zuerst füllt er das oberflächennahe Grundwasser, das etwa die Bäume
       versorgt und mit Fließgewässern verbunden ist. Ein Teil des Wassers sickert
       bis in einen zweiten Speicher, in 50 bis über 100 Metern Tiefe, manchmal
       liegen darunter noch weitere Grundwasserspeicher. Das Wasser in diesem
       Speicher ist in Bewegung, wenn auch nur sehr langsam, seine Schichten und
       Kammern sind miteinander verbunden. Deshalb ist es schwer, es als Einheit
       zu erfassen.
       
       Laut eines Gutachtens, auf dem die Genehmigung für die Baruther Wasserwerke
       beruht, gibt es um Urstromtal noch ausreichend Grundwasser. Doch das
       Gutachten ist von 2006 – und damit überholt. Denn wegen der Klimakrise gibt
       es weniger Regen und mehr Dürren. Das Umweltbundesamt schätzt, dass in
       Brandenburg bis 2050 rund 40 Prozent weniger neues Grundwasser entstehen
       könnte.
       
       Was man an Messungen des Landesamtes für Umwelt sehen kann: Das Grundwasser
       im oberen Speicher wird in Brandenburg immer weniger, auch in Baruth. Die
       Werte schwanken je nach Messstelle. Eine zeigt aber einen klaren Trend:
       Seit 1991 sinkt der Spiegel hier um 2,6 Zentimeter im Jahr. Also 78
       Zentimeter allein in den vergangenen 30 Jahren.
       
       Das Wasser im zweiten Speicher des Urstromtals, noch tiefer unter der
       Erdoberfläche, stammt laut dem Umweltbericht der Stadt Baruth aus
       eiszeitlichen Ablagerungen. Es liegt unter einer dicken,
       wasserundurchlässigen Schicht, ähnlich einer versiegelten Flasche. Weil von
       oben kaum neues Wasser nachsickern kann, erneuert es sich nur extrem
       langsam. Dieses tiefe, jahrhundertealte Wasser dürfen Red Bull und Rauch
       nutzen.
       
       Fanny Frick-Trzebitzky, Co-Leiterin der europäischen Forschungsgruppe
       „regulate“, die die Grundwasserentwicklung in Europa untersucht, weist
       zudem auf eine steigende Wassernutzung hin: „Ältere Daten spiegeln daher
       nicht unbedingt die aktuelle oder zukünftige Wasserverfügbarkeit wider“,
       sagt sie. Die Messungen, auf deren Basis entschieden wird, welche Mengen
       aus dem Boden entnommen und verkauft werden dürfen, seien – auch bundesweit
       – oft nicht zuverlässig, da sich die Bedingungen verändert hätten. Einmal
       geleerte Reserven ließen sich kurzfristig nicht wieder auffüllen. Wenn zu
       wenig Grundwasser da sei, sei es „im Prinzip zu spät, um gegenzusteuern“,
       sagt Frick-Trzebitzky. Deshalb sei es wichtig, frühzeitig zu handeln,
       Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen und verantwortungsvoll mit dem Wasser
       umzugehen.
       
       In einem Waldstück nahe des Grundstücks, auf dem Red Bull bald seine Dosen
       produzieren will, liegt die Radeland Siedlung. Wochenendhäuser stehen
       verstreut zwischen den rotbraunen Hälsen der Kiefern, überdacht von
       nadeligen Schirmen. Die Dosenfabrik, die Red Bull in Baruth bauen lassen
       will, soll hier auf etwa 17 Hektar Fläche entstehen. Jetzt steht da noch
       der Kiefernwald, der im Westen fast an die Radeland Siedlung grenzt. In der
       Fabrik sollen dann die Aludosen für Red Bull geformt, befüllt und mit
       Schwertransporten von Baruth aus etwa nach Nord- und Nordosteuropa
       geliefert werden. 2027 soll es losgehen.
       
       Im Dezember 2024 hat der Verein der Radeland Siedlung eine Online-Petition
       veröffentlicht, Titel: [4][„Demokratie schützen – Missstände in Baruth/Mark
       aufdecken“]. Die Verfasser*innen halten es für falsch, das Baruther
       Grundwasser an den Megakonzern zu verkaufen. Sie finden, die Stadt habe die
       Bevölkerung nicht ausreichend an der Planung beteiligt.
       
       Das gesamte Wasser für die Dosen- und Getränkeproduktion erhalten Red Bull
       und Rauch von der Wabau, dem Wasser- und Abwasserbetrieb der Stadt Baruth.
       Aktuell verbrauchen sie nicht einmal die Hälfte der genehmigten Menge, doch
       der Wasserverbrauch soll steigen: „Durch die geplante Umstrukturierung wird
       zukünftig deutlich mehr Rohwasser benötigt und es fällt deutlich mehr
       Abwasser an“, heißt es im aktuellen Wirtschaftsplan der Wabau. Noch unklar
       ist, aus welcher Grundwasserschicht das zusätzliche Wasser kommen soll, das
       für die Dosenproduktion nötig ist.
       
       Die Radeländer*innen haben Unterschriften gesammelt, die sie dem
       Kreistag Teltow-Fläming vorlegen wollen. Ihre Petition hat den Konflikt
       über die Stadtgrenze hinaus getragen. Sie hat 424 Unterschriften. Die
       Unterzeichner*innen wollen wissen: Wie viel des Baruther Wassers wird
       Red Bull für die Dosenfabrik bekommen?
       
       Wenn es nach Lukas W. ginge, hat Red Bull in Baruth nichts zu suchen. Für
       ihn passt der Deal der Stadt mit den Unternehmen nicht zur landesweiten
       Situation: „Ich lese die ganze Zeit von Knappheit, und da wird jetzt aus
       dem Wasser, das uns hier in Baruth bleibt, ein gesundheitsschädliches
       Produkt abgefüllt, in Dosen, die umwelttechnisch nicht zeitgemäß sind“,
       sagt er.
       
       Lukas W. ist Mitte 30 und arbeitet als kaufmännischer Angestellter. Sein
       voller Name soll nicht in der Zeitung stehen, er möchte im Internet nicht
       gefunden werden. „Wieso verscherbelt man diesen Schatz an ein Unternehmen,
       das kein Interesse hat, lokal und nachhaltig zu produzieren?“, fragt er.
       
       Lukas W. hat kurz vor der Corona-Pandemie ein Haus in der Siedlung gekauft.
       In den vergangenen Jahren hat er die Sitzungen des Bauausschusses besucht
       und die Verwaltung mit Fragen per Mail gelöchert. Er findet, dass das
       Wasser allen gehört. Und dass es deshalb alle etwas angeht, was die Stadt
       mit Red Bull und Rauch verhandelt hat. Doch Antworten zu bekommen, ist
       schwierig.
       
       Die Wabau gibt Details zu dem Wasserliefervertrag mit Red Bull nicht raus.
       Sie begründet dies mit Geschäftsgeheimnissen. „Ich frage Sie doch auch
       nicht nach Ihrem Arbeitsvertrag“, sagt Frank Zierath, der Leiter des
       Wasserversorgers, im Gespräch mit der taz Ende Januar.
       
       In seinem Büro stehen vor einer knallorange gestrichenen Schräge
       reihenweise Miniatur-Lkw. Auf einem ist ein Foto der DDR-Rockband Puhdys
       drauf. Im Jahr 1990, „direkt mit der Wende“, kam der 64-Jährige zur Wabau.
       Als Chef spielt er dort heute eine wichtige Rolle: Sein Unternehmen
       verwaltet die Werke und Brunnen, die Baruth und seine Industrien mit Wasser
       versorgen. Keine zwei Minuten nach Gesprächsbeginn zieht Zierath eine Karte
       aus dem Aktenordner und fährt mit dem Zeigefinger die feinen Linien der
       unterirdischen Wasserwege nach.
       
       Ihm gegenüber sitzt der zweite wichtige Vertreter der Stadt aus den
       Verhandlungsrunden mit den Konzernen: Bürgermeister Peter Ilk. Auch er ist
       ein „Urgestein“, wie er sich und Zierath nennt, seit den 1990ern als
       parteiloser Bürgermeister engagiert, seit 2003 hauptberuflich im Amt. „Ohne
       mich dreht sich hier kein Rad“, sagt Ilk, der sonst im Gespräch
       zurückhaltend ist.
       
       Die beiden verteidigen den Verkauf der Brandenburger Urstromquelle seit
       Monaten gegenüber Bewohner*innen und der Presse. Zierath sagt, weder
       „wir“ noch „die nachfolgenden Generationen“ würden Wasserknappheit erleben.
       Er bezieht sich damit auf das fast 20 Jahre alte Gutachten von 2006. Mit
       „wir“, sagt er auf Nachfrage, meint er die Baruther*innen, „die Region“.
       Mit den nachfolgenden Generationen: Mindestens die nächsten hundert Jahre.
       Und danach?
       
       Es gibt Fachleute, die das mit dem Geschäftsgeheimnis anders sehen. Die
       Transparenzplattform Frag den Staat vereinfacht Bürger*innen Anfragen an
       Behörden und hilft juristisch nach, wenn der Staat Informationen versteckt.
       Wenn es sein muss, mit Klagen. So wie jetzt in Baruth.
       
       ## Stadt schickt unvollständige Pläne
       
       Im Juli 2023 ist die Anfrage eine*r Bürger*in über die Plattform an die
       Stadt herausgegangen. Die Person, mit der sich die taz getroffen hat und
       die nicht öffentlich genannt werden will, will wie Lukas W. wissen: Wie
       viel Grundwasser erhält Red Bull insgesamt, wie viel zahlt das Unternehmen
       dafür?
       
       Antworten gab es keine, die Stadt hat die Anfrage abgelehnt. Begründung:
       Die Vertragsinhalte würden als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gelten.
       Die Juristin Ida Westphal arbeitet für Frag den Staat. Sie sagt, Teile des
       Vertrags könnten zwar Geschäftsgeheimnisse enthalten, deshalb den ganzen
       Vertrag unter Verschluss zu halten, sei aber „nicht überzeugend“. Der
       Vertrag bereite Baumaßnahmen für die Ansiedlung großer Unternehmen vor. „Es
       ist im öffentlichen Interesse zu erfahren, zu welchen Konditionen die Stadt
       sich mit Red Bull geeinigt hat.“ Mit Unterstützung von Frag den Staat hat
       der*die Anfragesteller*in nun Klage gegen die Stadt eingereicht.
       
       Umweltverbände bewerten oft Bauvorhaben wie die Dosenfabrik. Der BUND
       lehnte den Bau der Fabrik bereits im Juli vergangenen Jahres ab, gemeinsam
       mit anderen Naturschutzverbänden. In Stellungnahmen, die der taz vorliegen,
       warnen sie vor „erheblichen Belastungen nahezu sämtlicher Schutzgüter“ und
       einem deutlich höheren Gefährdungspotenzial für das Grundwasser.
       
       Vor allem kritisieren die Verbände die intransparente Beteiligung der
       Öffentlichkeit an den Plänen der Konzerne. Die Stadt habe unvollständige
       Pläne als Grundlage für die Bewertung geschickt. Sie seien „teilweise
       unleserlich“, Seiten hätten „große Flecken“ oder seien leer eingescannt
       gewesen. Eine Einschätzung sei so nicht möglich.
       
       Am Nachmittag desselben regnerischen Tags im Januar stehen auf dem
       Parkplatz vor einem Supermarkt zwei Zimmermänner in schwarzen Cordhosen und
       Westen. Auf die Dosenfabrik angesprochen, antwortet der eine: „Kenne
       keinen, den das stört“. – „Kumpels von uns arbeiten da. Die kriegen jetzt
       sogar mehr Geld, glaub ich“, ergänzt der andere. Eine Verkäuferin im
       Supermarkt sagt: „Hab davon gehört. Vielleicht haben sie die Mitarbeiter
       übernommen? Die machen das schon alles sehr still und heimlich.“
       
       Maik M. kommt aus der Region und wohnt seit fünf Jahren in Baruth. Er ist
       42 Jahre alt und arbeitet bei einem großen Unternehmen als kaufmännischer
       Assistent. Nach wenigen Minuten wird deutlich: Er ist wütend. Auf die
       Stadt. Auf Red Bull.
       
       Er sorgt sich, dass Red Bull massive Wassermengen entnimmt, bis es sich für
       das Unternehmen nicht mehr lohnt. „Wenn es knapp wird, verschwinden sie
       einfach, hinterlassen einen leergesaugten Boden. Und wir haben gar nichts
       davon.“ Er zweifelt daran, dass Red Bull aktuell überhaupt Gewerbesteuern
       an die Stadt zahlt. Denn Unternehmen können ihre Steuerlast durch
       Investitionen reduzieren, die steuerlich geltend gemacht werden können. Red
       Bull plant in Baruth, die Produktion zu erweitern. Dafür muss der Konzern
       investieren.
       
       Maik M. verfolgt die Stadtverordnetensitzungen meistens online, nimmt an
       den Bürgerfragestunden teil. Auch er ist gegen die Dosenfabrik. Er würde
       gerne mehr Details erfahren. Etwa, wie die Kommune profitiert. Doch er
       fühlt sich nicht ernst genommen. Er hat den Eindruck, seine Fragen würden
       abgebügelt, sagt er. „Es ist eine Zermürbetaktik. Monatelang wartet man auf
       eine Antwort.“
       
       Die taz hat bei der Stadt Baruth nach den Steuereinnahmen gefragt und keine
       Antwort erhalten. Auch Red Bull und Rauch haben eine Anfrage zur
       Grundwassernutzung und zu Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Region bekommen.
       Doch die Konzerne beantworteten keine der gestellten Fragen.
       
       Auch das noch amtierende Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) hat sich
       monatelang mit dem Fall beschäftigt, allerdings aus anderem Grund. Laut
       Handelsblatt prüfte es, ob der Verkauf mit Deutschlands „wirtschaftlichen
       und sicherheitspolitischen Interessen“ vereinbar ist. Denn Red Bull gehört
       zu mehr als der Hälfte der thailändischen Milliardärsfamilie Yoovidhya, das
       habe das BMWK stutzig gemacht. Ein Teil des Firmengeflechts führe über eine
       Holding nach Hongkong. Das BMWK sorgte sich, dass China über Red Bull
       Einfluss auf das Grundwasser und damit auf die kritische Infrastruktur in
       Baruth nehmen könnte. Nach einer Prüfung gab die Behörde schließlich grünes
       Licht. War das Wasser kein Thema? Auf Anfrage heißt es, das sei
       ausschließlich kommunale Angelegenheit, der Bund sei nicht zuständig. Bei
       der Bewertung des Falls sei es ausschließlich um den Einfluss Chinas
       gegangen.
       
       Die Stadt betont, dass die Bevölkerung in der Trinkwasserversorgung stets
       Vorrang habe, legt dazu aber keine Verträge oder Klauseln offen. Laut
       Wirtschaftsplan der Wabau gelten die neuen Verträge mit der Brandenburger
       Urstromquelle – im Besitz von Red Bull und Rauch – für 25 Jahre.
       
       Ein Anruf bei Michael Ganschow. Er ist Landesgeschäftsführer der Grünen
       Liga Brandenburg und spricht bei der Übernahme der Brandenburger
       Urstromquelle von einer „indirekten Privatisierung“. Er sagt, die Stadt
       binde sich vertraglich mit dem Verkauf des Wasser an Red Bull und Rauch
       ohne zeitliche förderrechtliche Vorbehalte. Die Konzerne müssten somit
       zukünftig aufgrund des Vertrags beliefert werden, und die Versorgung der
       Bevölkerung bei eventuellem Trinkwassermangel wäre nur noch zweitrangig.
       
       Laut Heinrich-Böll-Stiftung dürfen in Deutschland Unternehmen auch während
       Dürreperioden Wasser entnehmen, selbst dann, wenn für Bürger*innen und
       Landwirt*innen bereits Einschränkungen gelten.
       
       Dazu kommt: Viele Genehmigungen der Industrie sind jahrzehntealt und werden
       trotz veränderter klimatischer Bedingungen kaum überprüft. Immer wieder
       gibt es Widerstand. Ein Beispiel: 2016 verhinderten Proteste, dass
       Coca-Cola in Lüneburg mehr Grundwasser für die Mineralwassermarke „Vio“
       fördert. Wie in Baruth sorgten sich die Lüneburger*innen um das
       Trinkwasser.
       
       Eine aktuelle Studie des Umweltbundesamts sagt voraus: Nutzungskonflikte
       werden in Deutschland zunehmen. „Der Zugang zu Grundwasser wird immer mehr
       zum Streitthema, und wo es Konflikte gibt, gibt es auch Verlierer“, sagt
       Wasser-Expertin Fanny Frick-Trzebitzky. „Das zeigt, dass die
       Ressourcenverteilung immer stärker in den Fokus rückt und dass es in
       Zukunft wahrscheinlich noch wichtiger wird, den Zugang zu Wasser gerecht zu
       regeln.“
       
       Berlin könnte in wenigen Jahrzehnten bereits nicht mehr genug Trinkwasser
       haben. Schon jetzt werden aufwendige Lösungen gesucht. Etwa, ob entsalztes
       Ostseewasser Berlin versorgen oder Elbwasser in die Spree umgeleitet werden
       könnte.
       
       Michael Rippl-Bauermeister sieht schon jetzt, wie die Natur leidet. Als
       Förster verbringt er seine Tage im Wald. An einem Novembertag sitzt der
       40-Jährige in wetterfester brauner Kleidung auf dem Beifahrersitz im Auto.
       Er zeigt auf eine Abzweigung auf dem Forstweg im Schöbendorfer Busch: Ein
       Naturschutzgebiet, nur 13 Autominuten von dem Industriegebiet entfernt, auf
       dem Red Bulls Fabriken stehen. Seit gut 15 Jahren ist Rippl-Bauermeister
       Förster in Baruth. Er selbst wohnt im nahegelegenen Ludwigsfelde.
       
       „Jetzt links“, sagt er. Der Wagen stoppt. Rippl-Bauermeister steigt aus,
       seine Arbeitsschuhe sinken in das Laub am Boden. Er kennt die Stellen, an
       denen selbst das ungeschulte Auge sieht, dass das Grundwasser schwindet.
       Mit der Hand fährt er über die raue Rinde einer 400 Jahre alten Eiche. Hier
       hat sich der Eichenheldbock ins Holz gefressen. Mit dem Klimawandel sterben
       die Bäume, und mit ihnen der seltene Käfer.
       
       Einen Wald, wie wir ihn heute kennen, werde es so in Zukunft nicht mehr
       geben, sagt der Förster. „Ich bin zufrieden, wenn ich dann überhaupt noch
       einen Baum da habe.“ Er spricht mit ruhiger Stimme. Als wolle er sagen: Ich
       tue, was ich kann.
       
       Nächste Station ist das Hammerfließ. Früher saßen hier Angler*innen, sagt
       der Förster. In diesem Winter ist nur ein Rinnsal zu sehen. Die
       freigespülten Wurzeln der Bäume verlieren ihren Halt. Sinkt der Pegel
       weiter, verschwinden Laichplätze für Amphibien, ganze Arten verlieren ihren
       Lebensraum. „Das hat auch Folgen für uns Menschen“, sagt der Förster. Denn
       das Fließ ist auch Teil des Wasserkreislaufs.
       
       Laut Stadt sind Aufforstungen zum Ausgleich der Rodung für die Dosenfabrik
       geplant, dazu sind Unternehmen ohnehin rechtlich verpflichtet – doch Red
       Bull werde diese Aufforstung nicht direkt in der Region umsetzen.
       Rippl-Bauermeister findet: Wenn Red Bull in Baruth schon Wasser entnimmt,
       sollte der Konzern auch vor Ort in den Grundwasserschutz investieren. Zum
       Beispiel durch die Wiedervernässung von Feuchtgebieten wie Mooren.
       
       Zwei Monate später in der Bäckerei eines Supermarktes in Baruth. Tilo
       Kannegießer kommt während seiner Mittagspause hinein. Seit 15 Jahren ist er
       Stadtverordneter der sogenannten Listenvereinigung, einem Zusammenschluss
       von parteiunabhängigen Bürger*innen. Aus seiner Sicht fehlt es im
       Stadtparlament an Diskussion. Was die Stadt vorschlägt, würde abgenickt,
       die Konsequenzen selten abgewogen. Er sagt: „Es gibt kaum Widersprüche oder
       Einsprüche von unseren Bürgern.“ Für ihn ein Zeichen dafür, dass die Stadt
       nicht so kommuniziere, dass eine Beteiligung der Bevölkerung möglich sei.
       Bauleitverfahren und Einspruchsfristen lägen oft während der Ferienzeiten.
       Der Deal mit Red Bull kommt Kannegießer nicht gut ausgehandelt vor. Es ist
       nicht so, als wolle er die Fabrik abreißen. Aber wenn schon, denn schon,
       findet er. „Jetzt, wo Red Bull da ist, soll der Konzern wenigstens etwas
       für die Stadt machen. Eine Schwimmhalle finanzieren, ein Gymnasium“, sagt
       er.
       
       An einem Donnerstagabend Anfang Februar ist Stadtverordnetenversammlung in
       Baruth. Sie wird im Internet gestreamt. Es geht um den neuen
       Wirtschaftsplan der Stadt. Die Mitglieder des Bauausschusses sitzen an
       langen Tischen im Sitzungssaal der Stadt. Den Stadtverordneten sitzen
       einige Männer gegenüber, darunter Wabau-Chef Frank Zierath und
       Bürgermeister Peter Ilk. Punkt für Punkt wird der Wirtschaftsplan
       durchgegangen. Spät am Abend steht der Wasserverbrauch der geplanten
       Dosenfabrik von Red Bull auf der Agenda. Und die 22 Millionen Euro teure
       Kläranlage, die nötig ist, um das zusätzliche Abwasser zu reinigen. Mehr
       als die Hälfte der Kosten übernimmt das Land Brandenburg.
       
       Einziger Kritiker ist Tilo Kannegießer: „Warum nehmt ihr Fördermittel, also
       Steuergelder, um die Kläranlage für Red Bull zu bauen? Kann so ein
       milliardenschweres Unternehmen das nicht selber bauen?“ Zierath antwortet:
       „Das Land Brandenburg hat diese Fördermittel genehmigt. Es ist ganz normal,
       dass jeder Investor, egal wie reich er ist, die Möglichkeit hat,
       Fördermittel zu beantragen.“ Am Ende stimmt die Versammlung dem
       Wirtschaftsplan geschlossen zu – Kannegießer enthält sich. Er ist auch
       einer von nur drei Stadtverordneten, die bei einer Sitzung im März 2023
       gegen den Bau der Dosenfabrik gestimmt haben.
       
       Auf einer Erhöhung im Südosten von Baruth öffnet Wabau-Chef Frank Zierath
       eine schwere Metalltür. Im Wasserwerk liegt ein feiner Eisengeruch in der
       Luft. Drinnen ragen zwei große, blaue Filterbehälter auf, verbunden mit
       einem Netz aus silbernen Rohren und Ventilen. Hier wird das Trinkwasser für
       Baruth gereinigt, es durchläuft Schichten aus Quarzsand, die Eisen und
       Mangan herausfiltern.
       
       Nur wenige Meter weiter befindet sich ein Brunnen. Zierath hebt eine Luke
       an. Ein metallener Deckel, eingelassen in Beton, in den Schacht führen ein
       paar Rohre mit Messgeräten. Der Brunnen pumpt hier aus 100 Metern Tiefe,
       was die Region am Leben hält. Und wovon viele einen Anteil wollen.
       
       Frank Zierath schließt den Metalldeckel wieder. Er kennt die Handgriffe,
       das hier ist für ihn Routine. Ähnlich sicher scheint er zu sein, dass es
       die Leute schon zufriedenstellen wird, wenn er sagt: Das Wasser wird
       reichen.
       
       Kurz zuvor hat Zierath noch gesagt: „Baruth wird wachsen.“ Die Stadt
       erschließe bereits ein neues Wohngebiet mit hunderten von Wohnungen. Denn:
       Die nächsten Anfragen der Industrie lägen längst auf dem Tisch. Eine
       Wasserstoffproduktion. Ein Rechenzentrum. Zierath und Bürgermeister Ilk
       freuen sich über die nächsten Anfragen aus der Industrie. Der Standort ist
       begehrt. Aber: „Es gibt noch keine unterschriebenen Verträge“, sagt
       Zierath.
       
       Klar ist: Auch diese Firmen wollen das Wasser aus Baruth.
       
       29 Mar 2025
       
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