URI:
       # taz.de -- Jamie xx: „Politik inspiriert mich eigentlich zu überhaupt nichts“
       
       > Der britische Produzent und DJ Jamie xx geht mit seinem Album „In Waves“
       > auf Tour. Hier spricht er über Gegenwart, Nostalgie und Partys ohne
       > Drogen.
       
   IMG Bild: Hände ausnahmsweise nicht an den Plattentellern: Jamie xx
       
       taz: Jamie xx, auf Ihr zweites Soloalbum „In Waves“ musste die Welt neun
       Jahre warten. Das [1][letzte Album Ihrer Band The xx] erschien 2017. Was
       haben Sie seither gemacht? 
       
       Jamie xx: Während der Pandemie erlebte ich erstmals seit meiner Jugend
       einen normalen Alltag zu Hause. Dadurch kam auch der Spaß am Musikmachen
       zurück. Inspirierend fand ich in der Zeit auch das Bedürfnis der Leute, zu
       feiern. Nach dem Lockdown waren Clubs noch geschlossen, in meiner
       Nachbarschaft war trotzdem viel los: Partys fanden etwa auf Booten am Kanal
       in Hackney statt, eigentlich unter fast jedem Baum.
       
       taz: Und doch hat es Clubkultur gerade schwer – viele sehen sie gar
       ernsthaft bedroht. 
       
       Jamie xx: Ehrlich gesagt höre ich das, seit ich selbst ausgehe – also seit
       20 Jahren. Und ja, es ist nicht schön, wenn Orte sich anders verändern, als
       man sich das wünscht. Wie oft war ich todtraurig, wenn ein Lieblingsladen
       geschlossen wurde! Aber so wachsen Städte nun mal. Die ständige Bewegung
       bringt mit sich, dass sich die Clubkultur weiterentwickelt.
       
       taz: Das Problem ist nicht nur die Gentrifizierung, sondern auch, dass es
       junge Leute scheinbar aus verschiedenen Gründen gar nicht mehr so in Clubs
       zieht. 
       
       Jamie xx: Letztes Jahr legte ich zehn Tage am Stück im Londoner Club Venue
       MOT auf. Es war irgendwie tröstlich, wie viele junge Leute da waren – nicht
       unbedingt zum Partymachen, im Sinne von Trinken und Drogen nehmen. Aber sie
       hatten Spaß. In meiner Jugend bin ich vor allem in Clubs gegangen, um Musik
       zu hören. Für mein Album spiele ich aktuell hauptsächlich große Shows – so
       ein Zwischending aus DJ-Gig und einer Performance-Version von Auflegen. Zu
       diesen Abenden kommen tatsächlich eher Leute meines Alters, die ihre Jugend
       wieder aufleben lassen. Trotzdem fühlt es sich lebendig an – alle, die da
       sind, lieben Clubkultur.
       
       taz: Auf „In Waves“ haben Sie viele Gäste versammelt – wie wird das live
       umgesetzt?
       
       Jamie xx: Gäste sind live keine dabei – auch, weil es dann zu sehr auf
       einen Ablauf festgelegt wäre. Ich will variieren und improvisieren; die
       Shows sind eher Rave als Konzert. Leute sollen miteinander tanzen statt
       Richtung Bühne zu schauen.
       
       taz: Die Musik von „In Waves“ klingt durch Samples und Referenzen wie eine
       Reise durch die Geschichte von Clubkultur. Sind Sie nostalgisch? 
       
       Jamie xx: Früher haben mich nostalgische Gefühle sehr inspiriert – was
       damit zu tun hatte, dass ich da noch kaum Lebenserfahrung hatte. [2][Ich
       hatte idealisierte Vorstellungen von den Anfängen der Clubkultur und von
       den 1990er Jahren.] Jetzt, wo ich älter werde und sehe, wie eine jüngere
       Generation eine Ära romantisiert, die ich miterlebt habe – und dort nach
       Anregung sucht – interessiert mich das nicht mehr so. Auch wenn das etwas
       seltsam klingt: Ich will die Gegenwart annehmen.
       
       taz: Aktuell sind wir von fundamentalen Krisen umgeben. Feiern Menschen da
       anders?
       
       Jamie xx: Dass wir mit diesen Krisen konfrontiert sind, beschäftigt mich
       durchaus. Aber wie ich auf Musik reagiere, hat wenig damit zu tun, wie
       schlecht die Welt gerade ist. Politik inspiriert mich eigentlich zu
       überhaupt nichts.
       
       taz: Aufgeladene Zeiten haben oft doch spannende Musik hervorgebracht.
       
       Jamie xx: Ich fände ja toll, wenn noch einmal etwas wie Punk entstehen
       würde. Doch damals hatten Subkulturen Zeit und Raum, sich organisch zu
       entwickeln. Mittlerweile springt einen alles permanent an – Nachrichten,
       aber auch alles andere. Ich sehe wenig Raum für neue Bewegungen, als
       Reaktion darauf, was in der Welt passiert. Eigentlich hat sich keine
       Subkultur mehr entwickelt, seit das Internet so allgegenwärtig ist.
       
       taz: Lange waren Sie der einzige Ihrer Band mit eigenen Projekten.
       Zwischenzeitlich haben Romy Madley Croft und Oliver Sim auch bemerkenswerte
       Soloalben herausgebracht. Hat das die bandinterne Dynamik verändert?
       
       Jamie xx: Wir sind mit dem neuen Album relativ am Anfang. [3][Während der
       ersten Sessions hatten wir endlose Gespräche, wohin wir uns entwickeln,
       weil jeder eine starke eigene Perspektive mitgebracht hat]. Je öfter wir
       aufnehmen, desto mehr finden wir in unseren Modus zurück. [4][Es wird immer
       schöner, wieder zusammenzuarbeiten.]
       
       11 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /The-xx-mit-neuem-Album/!5373875
   DIR [2] /Disco-Kultur-in-New-York/!5379098
   DIR [3] /The-xx-Musiker-Oliver-Sim/!5881260
   DIR [4] /The-xx-mit-neuem-Album/!5373875
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stephanie Grimm
       
       ## TAGS
       
   DIR London
   DIR Popstar
   DIR Tour
   DIR elektronische Musik
   DIR taz Plan
   DIR Synthie-Pop
   DIR Elektro
   DIR Dubstep
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neue Musik aus Berlin: Strudel aus Kraut und Jazz
       
       Im Berlin Jazzanova Recording Studio enstand „Valonia“, das neue Album der
       Band C.A.R aus Köln. Es glänzt mit flirrenden und geisterhaften Tönen.
       
   DIR The-xx-Musiker Oliver Sim: Der unzuverlässige Erzähler
       
       Oliver Sim, Teil des Londoner Pop-Trios The xx, veröffentlicht mit „Hideous
       Bastard“ sein Soloalbumdebüt mit queeren Torchsongs.
       
   DIR The xx mit neuem Album: Intimität als Show
       
       Am Freitag erscheint „I See You“, das neue Album von The xx. Und
       tatsächlich hat sich die britische Band damit neu erfunden.
       
   DIR Album des britischen Popstars Jamie xx: Euphorie, Bass und Melancholie
       
       Jamie xx gelingt auf „In Colour“ ein Spagat zwischen den Klangsignaturen
       von elektronischem Dancefloor und den Hooklines des Indierock.