URI:
       # taz.de -- Neue Bomben auf Gaza: Israel tötet Hamas-Minister und Zivilisten
       
       > Unvermittelt bombardiert die israelische Armee den Gazastreifen, es
       > sterben mindestens 400 Menschen. Eine Bodenoffensive könnte folgen.
       
   IMG Bild: Nach der Aufforderungen zur Evakuierung durch die israelische Armee: Menschen verlassen am Dienstag den Norden des Gazastreifens
       
       Jerusalem taz | Mit heftigen israelischen Luftangriffen ist der Schrecken
       des Krieges am Dienstagnacht nach Gaza zurückgekehrt. „Ich zittere noch am
       ganzen Körper“, sagt Dschuwaher aus Deir al-Balah am Telefon. Gegen zwei
       Uhr seien sie und die Familien ihrer Geschwister von Explosionen in ihrem
       Viertel aus dem Schlaf gerissen worden. „Unser Albtraum geht weiter“, sagt
       die Frau, deren Nachname der Redaktion bekannt ist.
       
       Mehr als 400 Menschen sind seitdem bereits [1][getötet und Hunderte weitere
       verwundet] worden, wie die Gesundheitsbehörden im Gazastreifen meldeten.
       Unter den Toten sind, wie von der Hamas bestätigt, mehrere politische
       Anführer und Minister der Hamas, darunter der Chef des Innenministeriums,
       Mahmud Abu Wafta. Notärzte melden zahlreiche getötete Frauen und Kinder.
       Ein Angriff in der Stadt Rafah im Süden Gazas soll 17 Mitglieder einer
       Familie getötet haben.
       
       Mit den massiven Bombardierungen bricht Israel eine Waffenruhe, die trotz
       zahlreicher Verstöße beider Seiten seit zwei Monaten gehalten hatte. Die
       Armee hat gegen 2.30 Uhr mitgeteilt, „umfassende Angriffe gegen Terrorziele
       der Hamas“ auszuführen. Demnach solle die Operation „so lange wie nötig“
       fortgesetzt werden.
       
       Die Hamas wirft Israel vor, das Abkommen aufzukündigen und die noch in Gaza
       verbliebenen 59 israelischen Geiseln „einem ungewissen Schicksal
       auszusetzen“. Berichten zufolge hätten Vermittler am Dienstag auf die
       Freilassung weiterer Geiseln gedrängt – im Gegenzug für eine Deeskalation.
       
       ## Bald Bodentruppen?
       
       Bisher setzt Israel noch keine Bodentruppen ein, hat aber die Bewohner
       mehrerer Gebiete nahe der israelischen Grenze zur Evakuierung „gefährlicher
       Kampfzonen“ aufgefordert. „Wir haben weder die Kraft noch das Geld, ein
       weiteres Mal zu fliehen“, sagt eine Frau im betroffenen Beit Hanun im
       Norden Gazas am Telefon. „Wir hatten gerade gewagt, durchzuatmen. Nun
       sollen wir erneut gehen.“ Ein Foto zeigt einen Trümmerhaufen: ihr
       Familienhaus, das bereits vor Monaten zerstört wurde.
       
       Dem Angriff waren Wochen ergebnisloser Verhandlungen vorangegangen. Die
       Hamas hatte auf die ursprüngliche Vereinbarung bestanden, die ab Anfang
       März einen vollständigen Abzug israelischer Truppen sowie ein permanentes
       Ende des Krieges vorgesehen hätte. Israels Regierungschef Benjamin
       Netanjahu schließt seit Langem ein Ende des Krieges vor einer militärischen
       und politischen Zerstörung der Hamas aus.
       
       Israel nahm die für Anfang Februar geplanten Gespräche über die zweite
       Phase des Abkommens daher nie auf, obwohl laut Umfragen rund zwei Drittel
       der israelischen Bevölkerung ein Ende des Krieges im Gegenzug für die
       Rückkehr aller Geiseln unterstützen. Das Forum der Geiselfamilien warf der
       Regierung am Dienstag vor, eine Wiederaufnahme der Angriffe „tötet die
       Gefangenen“.
       
       Den Brückenvorschlag des von US-Sondergesandten Steve Witkoff, der eine
       Verlängerung der Waffenruhe um mehrere Wochen vorsah, hatte die Hamas zwar
       akzeptiert. Statt der geforderten fünf lebenden Geiseln wollte die Gruppe
       jedoch nur den US-Israeli Edan Alexander und vier israelische Leichen
       übergeben.
       
       ## Luftangriffe mit den USA abgestimmt
       
       Die Luftangriffe waren mit Washington abgestimmt. „Die Hamas hätte die
       Geiseln freilassen und die Waffenruhe verlängern können“, sagte die
       Sprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, dem US-Sender Fox News.
       Auch Netanjahus Büro machte die „wiederholten Ablehnungen“ der Hamas
       verantwortlich.
       
       Experten hatten im Vorfeld gewarnt, dass ein Einlenken der Hamas ohne
       Garantien für ein Kriegsende unwahrscheinlich sei, da die Geiseln deren
       einziges Druckmittel seien. Daran dürfte auch neuer militärischer Druck
       wenig ändern, glaubt der israelische Analyst und ehemalige
       Geheimdienstoffizier Michael Milstein. Er halte es „für unwahrscheinlich,
       dass die Hamas bereit sein wird, ihre roten Linien aufzugeben“, sagte
       Milstein der New York Times. Stattdessen könnte Israel ein
       „Zermürbungskrieg“ bevorstehen.
       
       Was militärischer Druck erreichen soll, ist unklar. Obwohl die Armee nach
       dem Hamas-Überfall binnen 15 Monaten weite Teile des Gazastreifens zerstört
       und mehr als 48.000 Palästinenser getötet hat, ist es nicht gelungen, die
       Hamas zu besiegen.
       
       Ein neuer Krieg dürfte vor allem die rund zwei Millionen Bewohner treffen
       und könnte noch zerstörerischer aussehen: Von US-Präsident Donald Trump ist
       mit Blick auf zivile Opfer kaum Widerspruch zu erwarten. Israel blockiert
       bereits seit Anfang März ohne Mahnungen seitens der USA humanitäre
       Hilfslieferungen in das Gebiet.
       
       ## Wechsel in israelischer Führung
       
       Auch in der israelischen Führung gab es jüngst [2][mehrere Wechsel], die
       für einen noch härteren Kurs sprechen. In den vergangenen Monaten waren
       Armeechef Herzi Halevi zurückgetreten und Verteidigungsminister Joav Galant
       entlassen worden. Beide hatten sich zuletzt für Verhandlungen
       ausgesprochen.
       
       Halevis Nachfolger Eyal Zamir hingegen versprach bei seinem Antritt, die
       Hamas zerschlagen zu wollen. Galants Nachfolger Israel Katz zeichnet sich
       vor allem durch seine Loyalität zu Netanjahu aus und hat bisher wenig
       Begeisterung für Diplomatie gezeigt. Am Sonntag gab Netanjahu zudem
       bekannt, [3][die Absetzung von Ronen Bar einzuleiten], dem Chef des
       Inlandsgeheimdienstes Schin Bet und eines weiteren Befürworters eines
       Abkommens.
       
       Kritiker des Regierungschefs vermuten zudem innenpolitische Gründe hinter
       der Wiederaufnahme der Kämpfe: Unter den Wählern von Netanjahus teils
       rechtsextremer Regierungskoalition gibt es weiterhin eine Mehrheit für eine
       Fortsetzung des Krieges.
       
       Der zu Beginn der Waffenruhe aus Protest ausgetretene Ex-Polizeiminister
       und messianische Siedler Itamar Ben-Gvir kündigte am Dienstag an, in die
       Regierung zurückzukehren. Kurzfristig braucht Netanjahu, der wegen
       Korruption vor Gericht steht, die Stimmen seiner Koalitionspartner
       dringend: Bis Ende des Monats muss ein neuer Haushalt verabschiedet sein,
       sonst drohen Neuwahlen.
       
       Umfangreiche Hilfslieferungen während der Waffenruhe haben die
       [4][humanitäre Lage im abgeriegelten Gazastreifen] nur kurzzeitig
       verbessert. Bei manchen Bewohnern herrscht Verzweiflung: „Ich weiß nicht
       mehr, wie ein Leben ohne den Lärm des Krieges, ohne die ständige Angst und
       die Wut aussieht“, sagte eine Bewohnerin von Nuseirat am Telefon. „Ich
       würde gehen, wenn ich könnte.“
       
       18 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!6076708
   DIR [2] /Umstrittene-Justizreform-in-Israel/!6074044
   DIR [3] /Geheimdienst-Chef-Bar-muss-gehen/!6076617
   DIR [4] /Humanitaere-Lage-im-Gazastreifen/!6073971
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Wellisch
       
       ## TAGS
       
   DIR Israel
   DIR Benjamin Netanjahu
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Gaza
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Israel
   DIR Gaza
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Anti-Hamas-Proteste: Helden in Gaza
       
       Zum ersten Mal seit Beginn des Krieges regt sich Widerstand gegen die
       islamistische Führung in Gaza. Die Demonstranten riskieren viel.
       
   DIR +++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++: Laut Hamas Gespräche mit Vermittlern im Gange
       
       Seit zwei Tagen greift Israel wieder massiv Ziele im Gazastreifen an. Bei
       den Angriffen gibt es zahlreiche Tote, darunter UNRWA-Mitarbeiter.
       
   DIR Israels Krieg im Gazastreifen: Hunderte Tote nach zwei Tagen israelischen Bombardements
       
       Israel setzt seine neuen Angriffe im Gazastreifen fort. Ihre arabischen
       Verbündeten stoßen Netanjahu und die USA damit vor den Kopf.
       
   DIR Krieg im Nahen Osten: Definitionsmacht eines Genozids
       
       Die Völkermord-Anklage gegen Israel erlebt eine Renaissance. Dieser Vorwurf
       ist haltlos – eine Replik auf einen Text in der taz.
       
   DIR Nahostkonflikt: Ringen um Gaza und Geiseln
       
       Israelische Opferfamilien fordern eine staatliche Untersuchung des 7.
       Oktobers. Arabische Länder präsentieren einen Gaza-Plan.
       
   DIR Israel und Palästina: Nahöstliche Grautöne
       
       Frauenrechte, Religion und säkulare Werte spalten viele palästinensische
       Familien. Sechs Protokolle aus dem Westjordanland, Israel und Deutschland