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       # taz.de -- BSW-Generalsekretär über Umfragetief: „Wir haben keinen Welpenschutz“
       
       > Hat die Migrationsdebatte dem Bündnis Sahra Wagenknecht geschadet?
       > Generalsekretär Christian Leye über Flüchtlinge und die politische
       > Konkurrenz.
       
   IMG Bild: Konkurrieren miteinander: Christian Dürr von der FDP, Sahra Wagenknecht von BSW und Heidi Reichinnek von der Linken beim TV-Triell
       
       taz: Herr Leye, bei den Wahlen im vergangenen Jahr hat Ihre Partei einen
       [1][Höhenflug] erlebt, jetzt schwächelt sie in den Umfragen. Warum? 
       
       Christian Leye: Uns gibt es jetzt seit gerade mal einem Jahr und ein paar
       Wochen. Als junge Partei haben wir noch keine Stammwähler, da müssen wir
       uns anstrengen. Aber das machen wir. Und ich bin sehr optimistisch, dass
       wir mit unseren Themen verstärkt durchdringen. Die großen Fragen werden
       aktuell kaum aufgegriffen: Wie kommt das Land gerecht aus der Krise? Wie
       machen wir uns zukunftssicher? Was tun angesichts zunehmender Spannungen
       und [2][Aufrüstungsgetrommel]?
       
       taz: Die [3][Migrationsdebatte] hat alle andere Themen in den Hintergrund
       gerückt. Ist das ein Grund dafür, dass die Partei in den Umfragen abgesackt
       ist?
       
       Leye: Es war eine Riesendummheit, die da in der letzten Sitzungswoche im
       Bundestag gelaufen ist. Alle anderen Parteien haben die AfD in den
       Mittelpunkt gestellt. Da muss man sich fragen, ob die keine strategischen
       Berater haben?!
       
       taz: Was meinen Sie damit?
       
       Leye: Friedrich Merz hat das Migrationsthema von sich aus ohne Not auf die
       Tagesordnung gesetzt. Er wollte zeigen, dass er ein harter Hund ist, der
       seine Forderungen zur Not auch mit der AfD durchsetzt.
       
       taz: Merz hat die Morde in Aschaffenburg und in Magdeburg aufgegriffen, um
       der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ist das nicht nachvollziehbar?
       
       Leye: Das ist natürlich ein Thema, das die Menschen umtreibt. Aber ob man
       das so aufgreifen musste, wie es in der letzten Plenarwoche aufgegriffen
       wurde, da habe ich Zweifel. Auf der anderen Seite haben SPD und Grüne so
       getan, als würde jetzt der Faschismus vor der Tür stehen. Dabei hätten sie
       die Kuh noch am Freitag vom Eis holen können: Es war immerhin ein Antrag,
       der bei der Ministerpräsidentenrunde bereits auch von ihnen mitgetragen
       wurde, da wurde bloß noch ein Wort geändert. Sie haben das nicht gemacht,
       weil sie Friedrich Merz nicht aus der Patsche helfen wollten, in die er
       sich selbst hineinmanövriert hat. Allen ging es nur um Wahlkampf. Und dann
       wurde am gleichen Tag auch noch mal der AfD-Verbotsantrag diskutiert. All
       das hat der AfD geholfen, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Ich habe das
       als eine Eselei wahrgenommen.
       
       taz: Das BSW hat im Bundestag für das „Zustrombegrenzungsgesetz“ von Merz
       gestimmt. [4][Hätten FDP und Union geschlossen dafür gestimmt, hätte es mit
       den Stimmen der AfD eine Mehrheit erhalten.] Warum? Hat das BSW damit nicht
       auch manche Wähler abgeschreckt?
       
       Leye: Viele Menschen sind der Meinung, dass die Einwanderung stärker
       reguliert werden muss. Die Kombination mit dem Thema Frieden und der
       sozialen Frage spricht viele Wählerinnen und Wähler an und macht unser
       Profil aus. Darin sehen wir unser Potenzial.
       
       taz: [5][Sieben von zehn BSW-Abgeordneten haben im Bundestag für den Antrag
       von Merz gestimmt], drei haben gar nicht abgestimmt – darunter Sie. Hatten
       Sie Bedenken?
       
       Leye: Ich hatte einen Termin und war deswegen verhindert. Das war vorher
       auch bekannt.
       
       taz: Bei der Linkspartei haben Sie früher andere Positionen zur Migration
       vertreten und sich zum Beispiel an die Seite von Bewegungen wie der
       Seebrücke gestellt. Warum haben Sie Ihre Haltung in dieser Frage geändert?
       
       Leye: Die Dinge, die ich damals im Kern vertreten habe, die vertrete ich
       immer noch. Ich finde es richtig, Menschen aus dem Meer zu retten, die
       sonst ertrinken würden. Da hat sich bei mir gar nichts verändert, das wäre
       ja fürchterlich. Trotzdem bin ich der Meinung, dass man Migration
       regulieren muss. Und ich glaube, dass man die Probleme ansprechen muss,
       wenn man mit seinen Themen durchdringen will. Ich glaube, da ist in der
       Vergangenheit von linker Seite zu oft ein bisschen weggeguckt worden, was
       die Spannungen und die Spaltung in der Gesellschaft verstärkt hat. Ich
       glaube, wir brauchen einen realistischen Blick auf das Thema, um die
       Spaltung in der Gesellschaft zu überwinden.
       
       taz: Was heißt das? Mehr Abschottung? Oder mehr Wohnungen bauen, um nicht
       so schnell überfordert zu sein, wenn Flüchtlinge kommen?
       
       Leye: Wir brauchen definitiv mehr Wohnungen, das ist unstrittig. Wir dürfen
       in der öffentlichen Diskussion nicht alles mit allem vermischen. Sehr viele
       Probleme unserer Gesellschaft sind unabhängig von Migration entstanden. So
       zu tun, als sei die Migration „die Mutter aller Probleme“, wie es Horst
       Seehofer formuliert hat, das ist daher abenteuerlicher Unsinn. Die
       unterfinanzierten Kommunen, die niedrigen Renten, zu wenig Wohnraum – das
       sind hausgemachte Probleme der deutschen Politik. Aber natürlich
       verschärfen sich bestimmte Probleme durch hohe Zahlen an Zuwanderung, das
       ist auch unstrittig. Gleichzeitig brauchen wir neben einem deutlich
       verbesserten Bildungssystem natürlich auch Migration.
       
       taz: Sie meinen Fachkräfte?
       
       Leye: Ja, denn es wird vermutlich nicht möglich sein, sie ausschließlich
       aus den Menschen zu rekrutieren, die hier sind. Ich bin Ökonom, und aus
       volkswirtschaftlicher Perspektive stellt sich die Frage der Verfügbarkeit
       von Arbeitskräften.
       
       taz: US-Präsident Donald Trump will den Krieg in der Ukraine beenden. Hat
       das BSW dadurch sein Kernthema verloren?
       
       Leye: Wenn es zu einem Frieden kommen sollte, dann wäre das erst mal gut,
       auch für uns. Das ist ja das, was uns politisch antreibt. Ob Trump da
       kurzfristig Erfolge erzielen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Und
       das Thema wird uns erhalten bleiben, denn die USA unter Trump fordern viel
       mehr Aufrüstung ein, und in Deutschland überbietet man sich da bereits.
       Früher war das Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die
       Verteidigung aufzuwenden. Da hat man schon die Ohren angelegt. Heute
       spricht [6][Robert Habeck von 3,5 Prozent und Alice Weidel von 5 Prozent]
       und mehr. Das wären 40 Prozent des Bundeshaushaltes, ein absoluter
       Wahnsinn! Das fordern ja nicht mal die Grünen!
       
       taz: Die AfD sieht sich auch, wie Sie, als „Friedenspartei“ …
       
       Leye: Die AfD macht Politik für die Menschen mit großen Einkommen und
       Vermögen. Dazu gibt es ja auch Untersuchungen, die das bestätigen. Und sie
       ist, wie gesagt, für mehr Aufrüstung. Der US-Außenminister Marco Rubio hat
       Deutschland aufgefordert, mehr Geld für Waffen auszugeben und weniger in
       seine Sozialsysteme zu stecken. Und wenn man sieht, wie die AfD zur
       Amtseinführung nach Washington reist und fröhlich klatscht, dann muss man
       sich fragen: wo stehen die im Konfliktfall? Auf der Seite von den Menschen
       in Deutschland, die einen starken Sozialstaat brauchen? Oder auf der Seite
       des US-Außenministers, der bei ihnen sparen will, damit wir mehr Waffen
       auch aus den USA kaufen? Das sind die Konflikte, die jetzt auf Deutschland
       zukommen. Und da ist klar, wofür wir stehen: Wir sind nicht dafür, diesen
       Aufrüstungswahnsinn mitzumachen, sondern wollen es für soziale Belange
       einsetzen.
       
       taz: Auch SPD und die Linkspartei setzen sich für höhere Löhne und Renten
       und niedrigere Mieten ein. Ist das ein Problem für Sie?
       
       Leye: Ich würde mir wünschen, wir würden viel mehr über diese Themen reden.
       Warum wird so wenig darüber geredet, dass wir in einem extrem ungleichen
       Land leben, dass die Wohnungen fehlen, dass viele Menschen sich
       verschulden? Viele haben durch die Krise Reallohnverluste erlitten, noch
       immer. Die Menschen werden ärmer, und es ist total verrückt, wie große
       Teile des Einkommens oft allein in die Miete gehen. Das sind die Themen,
       die die Menschen umtreiben.
       
       taz: Die Wähler, denen Brot- und-Butter-Themen wie Miete und Rente wichtig
       sind, müssen sich aber entscheiden, ob sie ihr Kreuz bei der SPD, bei der
       Linkspartei oder beim BSW machen. Wie wollen Sie die von sich überzeugen?
       
       Leye: Wer soll der SPD das denn jetzt glauben? Vor jeder Wahl dieselben
       Versprechen. Nach dem Ampel-Drama ist das wirklich doppelt unglaubwürdig.
       Und das Problem der Linken ist doch, dass sie die Menschen, um die es geht,
       nicht mehr erreicht. Sie erreichen akademische, urbane Milieus, die finden,
       dass die soziale Frage als Querschnittsaufgabe mitgedacht werden sollte.
       Aber die Leute, die selbst davon betroffen sind, haben seit Jahren nicht
       mehr die Linke gewählt. Zu denen dringen sie einfach nicht durch. So
       ehrlich muss man an dieser Stelle sein.
       
       Mit ihrer aktuellen [7][Kampagne gegen Mietwucher] und [8][ihrem
       Heizkostencheck] hat die Linke schon Erfolg, oder? 
       
       Leye: Ich glaube, wir erreichen Menschen, die von der Linken schon lange
       nicht mehr erreicht wurden, weil sie von dem ganzen Trallala drumherum
       abgeschreckt worden sind – aber auch von der inkonsequenten Haltung beim
       Thema Frieden.
       
       taz: Wie stark hat der [9][Streit in Thüringen] dem BSW geschadet?
       
       Leye: Streit schadet eigentlich immer. In Thüringen haben wir um den
       richtigen Kurs gerungen. Die konsequente Haltung der Partei auf der
       Bundesebene hat aber dazu geführt, dass wir bei den [10][Verhandlungen am
       Ende] noch mehr rausholen konnten. Natürlich hören CDU und SPD auf,
       nachzugeben, wenn sie denken, sie kriegen es auch günstiger.
       
       taz: Und der [11][Streit um den Landesverband in Hamburg]?
       
       Leye: Das ist eine andere Geschichte, und das habe ich mit großer
       Irritation wahrgenommen. Stellen Sie sich mal vor, es gibt in der SPD zwei
       unzufriedene Menschen, die in Nordrhein-Westfalen einen alternativen
       Landesverband gründen, den die dann nicht mal wie die SPD nennen, und die
       stellen dann einen Spitzenkandidaten auf, der pressewirksam erklärt, er
       möchte in den Bundestag, um sich dort auf einer Frauentoilette öffentlich
       zu befriedigen. Ich meine, genau so ist es gelaufen. Bei allen anderen
       Parteien wäre das höchstens eine skurrile Geschichte gewesen. Aber beim BSW
       bekommt dieser Quatsch in sonst seriösen Zeitungen wirklich sehr viel
       Aufmerksamkeit.
       
       taz: Das BSW hat ja nicht so viele Mitglieder wie die SPD, und die sind
       alle handverlesen. Hat da [12][die Einlasskontrolle] nicht geklappt?
       
       Leye: Wir sind gut, aber wir können auch nicht über Wasser laufen.
       
       taz: Andererseits hat die schleppende Aufnahme von Mitgliedern auch für
       viel Unmut gesorgt. Manche sind deshalb enttäuscht abgesprungen.
       
       Leye: Wir werden das Verfahren in diesem Jahr ändern, das haben wir
       angekündigt, und das werden wir tun. Aber es war notwendig. Das erste Jahr
       ist für eine neue Partei immer wie Wilder Westen: Leute kommen zusammen,
       müssen sich sortieren, ringen um den Kurs. Das sorgt für Chaos. Wir hatten
       keinen Welpenschutz, sondern mussten von Tag eins an handlungsfähig sein.
       Deshalb haben wir versucht, diese Kinderkrankheiten zu überspringen. Das
       war vielleicht nicht immer für alle Menschen schön, aber es war einfach
       notwendig, und die meisten haben das auch verstanden.
       
       taz: Wagenknecht hat ihre politische Zukunft jetzt an den Erfolg des BSW
       geknüpft. War das klug?
       
       Leye: Ich erlebe das immer wieder, dass die Leute sich fragen: Was will uns
       Frau Wagenknecht damit sagen? Ich wundere mich immer, dass man so selten
       auf die Idee kommt, dass Frau Wagenknecht genau das sagen möchte, was sie
       sagt.
       
       taz: Was machen Sie, wenn es nicht klappt?
       
       Leye: Es wird klappen. Wir werden mit einer starken Fraktion in den
       nächsten Bundestag einziehen und dort die Politik machen, für die wir jetzt
       werben: für Frieden, Gerechtigkeit und Vernunft und für die arbeitenden
       Menschen im Land. Das hat jahrelang gefehlt und ist ein Grund dafür, dass
       hier die Risse in der Gesellschaft so groß sind.
       
       13 Feb 2025
       
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