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       # taz.de -- NS-Geschichte des Basketball: Hakenkreuze an den Körben
       
       > Hermann Niebuhr brachte Basketball 1935 nach Deutschland. Bis heute wird
       > er als Pionier geehrt. Doch laut Zeitzeugen war er stramm auf Nazi-Linie.
       
   IMG Bild: Für deutsche Augen ein Exotensport: Im Olympischen Basketballturnier 1936 spielten die Philippinen gegen Mexiko 32:30
       
       Das Büchlein, das die erste Grundlage für den [1][Basketballsport] in
       Deutschland schuf, ist dünn. Es hat gerade einmal 72 kleinformatige Seiten.
       Vor 90 Jahren wurde es aufgelegt, 1935. Der Ratgeber, viel mehr ist es
       nicht, erschien im Wilhelm-Limpert-Verlag und im Auftrag des
       Reichsfachamtes Handball/Basketball im [2][Deutschen Reichsbund für
       Leibesübungen], der Nazi-Sportbehörde. Autor Hermann Niebuhr überschrieb
       seine Erklärungen und Ausführungen zur richtigen Handhabung des Spielgeräts
       mit „Basketball, das neue Korbball-Spiel“.
       
       Der Gymnasiallehrer erklärt im Vorwort, dass andere Nationen, allen voran
       die US-Amerikaner, mithin Erfinder des Spiels, den Deutschen weit voraus
       seien, doch mit der Aufnahme des Basketballs ins [3][Olympische Programm
       1936] wolle man hierzulande den Sport „einspielen“ und das wenig beachtete
       Korbball, das vor allem von turnerisch organisierten Frauen gespielt wurde,
       ablösen. „Damit sei Basketball das neue deutsche Korbballspiel!“, schreibt
       er im Vorwort programmatisch.
       
       Hermann Niebuhr ist der zentrale Ingenieur im Entwicklungslabor des
       deutschen Basketballs – und zugleich ein Zeitgenosse, der die Brüche in
       seiner Biografie nur mühsam kaschieren konnte. Seine Geschichte ist
       beispielhaft für den deutschen (Nachkriegs)-Sport.
       
       Niebuhr lernt den US-College-Basketball auf dem damals höchstem Niveau
       kennen und ist sofort bestrebt, den „Kampfsport“ in der Deutschen
       Oberrealschule in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, zu etablieren. Die
       Schüler machen schnell Fortschritte. 1933 gewinnt eine von Niebuhr
       trainierte Mannschaft die „Junior-Meisterschaft“ Konstantinopels.
       
       ## Nazis machen Basketball olympisch
       
       Niebuhr kehrt nach Deutschland zurück. Es kommt ihm zupass, dass die
       deutschen Olympiaausrichter, allen voran Reichssportführer Hans von
       Tschammer und Osten, eigentlich ein eingefleischter Handballfreund,
       plötzlich und wie aus dem Nichts Basketball promoten.
       
       Der Sporthistoriker Alexander Priebe vermutet, dass dies kalkuliert
       geschah: „Die Aufnahme von Basketball war ein Versuch, der Boykottbewegung
       in den USA gegen die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Berlin
       entgegenzuwirken.“ Der nazifreundliche Präsident des Olympischen Komitees
       der USA, [4][Avery Brundage], macht sich für Basketball in Deutschland
       stark, um die kritischen Stimmen in den USA zu befrieden.
       
       ## Basketball in der HJ und bei der SS
       
       Basketball rückt ins 36er-Programm, obwohl es gar keine Hallen dafür in
       Berlin gibt und deutsche Spieler Mangelware sind. Gespielt wird dann auf
       den olympischen Tennisplätzen, die Deutschen – mit Hermann Niebuhr –
       erleiden drei heftige Niederlagen gegen die Schweiz, Italien und die
       Tschechoslowakei. Das Finale (USA–Kanada 19:8) versinkt im Schlamm,
       dribbeln ist praktisch unmöglich. 
       
       Im Völkischen Beobachter wird das Debakel trotzdem gepriesen, doch einige
       Funktionäre sind mit dem Abschneiden der Deutschen nicht zufrieden. Der
       Fachamtsleiter Handball/Basketball, Richard Herrmann, SS-Brigadeführer,
       findet den Auftritt „kläglich“. In der Zeitschrift Leibesübungen und
       körperliche Erziehung bekrittelt man Basketball grundsätzlich: „Ein Spiel,
       das von Anfang an so intellektuell überlastet wird, ist eigentlich kein
       rechtes Spiel mehr.“
       
       Hermann Niebuhr, nunmehr Gaugruppen-Sportwart, versucht sich zu wehren, er
       wendet sich gegen die „üblichen Kritiker und Verneiner“. Heeressportlehrer
       Hugo Murero, seit 1936 Referent des Fachamtes, erregt sich über Tendenzen
       der „Verdeutschung“ und spricht sich für den Namen „Basketball“ aus, statt
       Korbball.
       
       Der Sport wächst trotz der Widerstände. Hermann Niebuhr verankert ihn in
       Bad Kreuznach an der Schule und dem VfL 1848, freilich auch in der
       ortsansässigen Hitlerjugend, in der er sich engagiert. Murero sorgt dafür,
       dass an der Heeressportschule Wünsdorf ambitioniert Basketball gespielt
       wird, auch auf der Luftwaffenschule Spandau dribbelt man nun fleißig. In
       der Junkerschule Braunschweig geht man gleichfalls auf Korbjagd.
       
       Richard Herrmann steigt auf zum Chef des Amtes für Leibesübungen im
       [5][SS-Hauptamt]. Fortan spielt auch die SS Basketball – in bis zu 17
       Mannschaften: „Die Sportgemeinschaft der SS hat alles in der Hand, weite
       Kreise unserer Volksgenossen das Weltspiel Basketball zu einem festen
       Begriff zu machen“, dekretiert Herrmann. Bei den Olympischen Spielen von
       Tokio 1940 soll das deutsche Basketballteam reüssieren, doch es kommt
       anders. Die Nazis brechen den Zweiten Weltkrieg vom Zaun, die Spiele werden
       abgesagt.
       
       ## Niebuhr wird Offizier einer Spionageeinheit
       
       Hermann Niebuhr wird als Offizier einer Spionageeinheit zur Wehrmacht
       eingezogen. Er tut Dienst in Frankreich und Nordafrika. Als der Krieg zu
       Ende ist, möchte er seine Tätigkeit an der Bad Kreuznacher Schule wieder
       aufnehmen, aber daraus wird nichts. Er muss sich einem
       Entnazifizierungsverfahren stellen, das Henk Wedel 2003 in einer Facharbeit
       akribisch nachgezeichnet hat.
       
       Die Vorwürfe, die damals Zehntausende Deutsche betrafen, lauten wie folgt:
       Mitgliedschaft in der [6][NSDAP] seit Mai 1933, verschiedene Ämter in
       NS-Organisationen, starke Werbung für die Hitlerjugend; Mitgliedschaft in
       dieser Jugendorganisation von 1934 bis 1939 (Fähnleinführer im Jungvolk),
       Denunziation von Lehrerkollegen sowie Spionagetätigkeit vor und während des
       Krieges. 
       
       Nun muss man wissen, dass es damals fünf Kategorien der Verstrickung in die
       NS-Diktatur gab: Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und
       schließlich Entlastete. In einem ersten Verfahren 1946 wird Niebuhr hart
       bestraft. Ein einstimmiger Beschluss zur Entlassung aus dem Schuldienst
       ohne Pension wird gefasst. Er sei einer der stärksten Werber für die HJ
       gewesen, habe auch in HJ-Uniform Unterricht abgehalten und Zeltlager nach
       rein nationalsozialistischem Muster durchgeführt.
       
       ## Niebuhr sei stramm auf Linie gewesen
       
       Er soll auch „mit dem Gestapo-Mann Buchwald aus Bad Kreuznach und dem
       Bannführer der HJ, Röhling, immer in engster Verbindung gestanden haben“,
       dokumentiert Wedel. Niebuhr widerspricht. Es dauert drei Jahre, bis eine
       „Berufungsspruchkammer“ das Urteil revidiert. Niebuhr wird in die Kategorie
       „Mitläufer“ eingestuft, einzig die Parteimitgliedschaft wird ihm noch zur
       Last gelegt. 
       
       Eindrücklich bleiben allerdings die Aussagen von drei seiner damaligen
       älteren Lehrerkollegen vorm Entnazifizierungsausschuss. Sie bekunden,
       Niebuhr sei stramm auf Linie gewesen und habe zum Ausspähen von
       missliebigen Meinungen ermuntert. Fakt ist, dass ein Riss durch das
       Kollegium in Bad Kreuznach ging, wie auch die Betrachtungen und
       Nachforschungen der Bad Kreuznacher Heimatblätter belegen. „1935 war er
       Nazi und entwickelte sich, je mehr sich die Partei konsolidierte, umso
       schärfer als solcher“, heißt es in einer der Aussagen gegen Niebuhr.
       
       Einerseits gab es die älteren, deutschnational und bürgerlich geprägten
       Lehrer, die eine innere Abwehr gegen die Nationalsozialisten pflegten,
       unter anderem Direktor Karl Post, auf der anderen Seite standen die jungen
       Lehrkräfte, die oft ideologisch entflammten und Schüler indoktrinierten.
       
       ## Aktiver Teil der NS-Bewegung
       
       Ob dieser Zwist zu einem nachträglichen Anschwärzen Niebuhrs führte,
       verbleibt im Nebel des Spekulativen. Zumindest scheint der
       Basketballpionier zu Anfang der 30er Jahre durchaus aktiver Teil der
       NS-Bewegung gewesen zu sein, auch wenn er exkulpierend schreibt, er habe
       sich dem Parteieintritt damals nicht entziehen können; „ein Zug nach
       Eingliederung“ habe ihn erfasst. 
       
       Jahre später kommt es wohl zu einem Aha-Effekt: Niebuhrs Vater,
       Reichsbahn-Oberinspektor, wird wegen missliebiger politischer Ansichten aus
       dem Amt entlassen. Sein Schwiegervater, Rektor Ernst Bernert, wird
       gleichfalls jahrelang angefeindet von NSDAP-Bütteln und Funktionären des
       NS-Lehrerbundes. Niebuhr behauptet nun: „Meine innere Einstellung war seit
       dieser Zeit restlos antinazistisch.“
       
       Er will sich ganz auf die Förderung des Basketballs zurückgezogen haben. Zu
       seiner Entlastung zitiert Niebuhr Kriegskameraden, die seine Distanz zum
       Regime bestätigen. Niebuhr entwirft sogar ein Szenario, das ihn in die Nähe
       der Anti-Hitler-Bewegung rückt, er will des Weiteren mehrere französische
       Staatsangehörige gerettet haben. Am Ende steht der Urteilsspruch: „Der
       Betroffene ist Mitläufer.“
       
       ## 2003 soll eine Straße nach ihm benannt werden
       
       Die Kosten des Verfahrens in Höhe von 500 Mark trägt Niebuhr. Er kann
       wieder im öffentlichen Dienst angestellt werden. Das geschieht. Er gründet
       1949 den Deutschen Basketball-Bund (DBB) mit, wird Schiedsrichterwart des
       Verbandes – und Ehrenmitglied; der DBB scheut sich nicht, die dunklen
       Flecken in der Verbandshistorie zu beleuchten – Der Publizist Hans-Dieter
       Krebs liefert 2012 mit „Basketball – ein deutscher Spätstarter“ eine solide
       Chronik der „Frühgeschichte“ des Sports.
       
       In Bad Kreuznach wird die fragliche Niebuhr-Sache noch einmal aufgespießt,
       als im Jahr 2003 eine Straße nach ihm benannt werden soll. Ein Journalist
       des Öffentlichen Anzeigers, Joachim Rehbein, wendet sich gegen das
       Unterfangen, das auch schon 1989 scheiterte, weil Niebuhr, wie Rehbein
       schreibt, „aktiv für das Regime“ gearbeitet habe und somit moralisch
       disqualifiziert sei. Im Zuge der Auseinandersetzungen hat die Familie einer
       Verwendung des Namens Hermann Niebuhr widersprochen.
       
       „Im Einverständnis mit meiner Mutter und meinem Bruder untersage ich der
       Stadt Bad Kreuznach jetzt und in der Zukunft die Verwendung des Namens
       meines Vaters in irgendeiner Form“, schreibt die Tochter in der Allgemeinen
       Zeitung im Jahr 2003. In der Stadt Detmold gibt es eine
       Hermann-Niebuhr-Straße. Sie ist freilich, wie nach einem Hinweis der
       dortigen Stadtarchivarin deutlich wird, nicht nach dem Basketballfreund
       benannt, sondern nach einem von den Nazis verfolgten Sozialdemokraten.
       
       26 Feb 2025
       
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