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       # taz.de -- Goldene Ehre für Tilda Swinton: Suche nach dem Immerneuen
       
       > Der Ehrenbär der Berlinale geht dieses Jahr an die Schauspielerin Tilda
       > Swinton. Sie kann sich Rollen ebenso aneignen wie in ihnen verschwinden.
       
   IMG Bild: Tilda Swinton in Peter Wollens Film „Friendship’s Death“ (1987)
       
       Berlin taz | Unter den großen Schauspieler*innen gibt es solche, die,
       egal in welcher Rolle, unverkennbar bleiben – man denke an Tom Cruise –,
       und solche, die sich bis zur Unkenntlichkeit an eine Rolle anpassen – hier
       kommt Daniel Day-Lewis in den Kopf. Und dann gibt es noch Tilda Swinton,
       der die Quadratur des Kreises gelingt, indem sie sich bestimmten Figuren
       ganz und gar anverwandelt und dabei doch unübersehbar als Tilda Swinton zu
       erkennen ist.
       
       So geschehen etwa in [1][Luca Guadagninos Horrorfilm-Remake „Suspiria“
       2018]. Darin spielte Swinton ganz offiziell die einschüchternde
       Tanzschullehrerin Madame Blanc, aber es gab da noch die Figur eines 82
       Jahre alten Psychoanalytikers namens Josef Klemperer.
       
       Und obwohl an dessen Äußerem nichts, aber auch gar nichts an Swinton
       erinnerte, ging gleich nach der Premiere auf dem Festival von Venedig das
       Gerücht um, dass der ältere Herr in Wahrheit unter Schichten von Schminke
       von Swinton verkörpert würde.
       
       Die Anekdote ist charakteristisch für Swinton, weil in ihr einerseits zum
       Ausdruck kommt, wie ganz und gar sich die Schauspielerin ihren jeweiligen
       Projekten verschreibt, andererseits aber auch, wie sehr sie dabei von einer
       Lust an Spaß und sogar Schabernack getrieben ist. Die Frage, ob sie Josef
       Klemperer spiele, hat sie immer verneint. Es musste erst jemand fragen, ob
       sie jener Lutz Ebersdorf sei, der laut Credits Klemperer spielt, um ihren
       Auftritt offiziell zu bestätigen.
       
       ## Höhere Tochter macht brotlose Kunst
       
       Swinton ist 1960 in London als Spross einer alten und größtenteils adligen
       schottischen Familie zur Welt gekommen. Es ist eine Herkunft, die dem
       veralteten Klischee nach für ein Studium in „Oxbridge“ und die
       entsprechende Karriere prädestiniert. Swinton aber wählte gewissermaßen die
       Höhere-Töchter-machen-brotlose-Kunst-Revolte, die sie nach den
       traditionellen britischen Bildungsstätten für Privilegierte schließlich zu
       den radikalen Ausläufern des britischen experimentellen Theaters und Films
       brachte.
       
       Ihre Schauspielerinnen-Karriere begann sie 1984 als Mitglied der Royal
       Shakespeare Company. 1986 aber spielte sie ihre erste Filmrolle in
       [2][Derek Jarmans so eigensinnigem wie verzaubernden Biopic „Caravaggio“].
       Es wurde mehr draus, wie man so sagt: In allen sechs Spielfilmen, die
       Jarman vor seinem Tod 1994 noch realisieren konnte, war sie dabei und
       etablierte sich mit ihrer androgynen Präsenz damit zu einer festen Größe im
       europäischen Arthouse-Kino.
       
       Dass sie bestimmte Regisseure über längere Zeit hin begleitet, ist auf
       seine Weise ihr Markenzeichen geworden. Im Fall von Luca Guadagnino spielte
       sie schon 1999 in dessen Regiedebüt „The Protagonists“, zehn Jahre später
       übernahm sie die Hauptrolle in seinem Film „I am Love“ – bis heute einer
       ihrer emotionalsten und berührendsten Auftritte – und 2015 gab sie in
       [3][„A Bigger Splash“] eine alternde Rocksängerin.
       
       Jim Jarmusch besetzte sie seit „Broken Flowers“ (2005) in fast jedem seiner
       Filme, genauso Wes Anderson, mit dem sie seit „Moonrise Kingdom“ (2012)
       zusammenarbeitete. So verschieden die Rollen sind, die Swinton in all
       diesen Filmen einnimmt, jedes Mal versucht sie aufs Neue etwas Unerwartetes
       zu präsentieren, eine Seite von sich zu zeigen, die man so noch nicht
       gesehen hat. Wie zuletzt wieder in [4][David Finchers „The Killer“], wo sie
       gegenüber Michael Fassbender eine sowohl in Worten wie Taten überraschend
       gewiefte Auftragsmörderin gibt.
       
       ## Mut zur Hässlichkeit
       
       Diese Suche nach dem Immerneuen hat Swinton bis in die Welt der Blockbuster
       („Doctor Strange“) getragen, wobei sie auch dort besonders gern Rollen
       spielt, die das konterkarieren, was man schönen Frauen wie ihr mit
       alabasterfarbenem Teint und hochgewachsener Gestalt gern auf den Leib
       schreibt. In den Filmen des koreanischen Regisseurs Bong Joon-ho bewies sie
       besonderen Mut zur Hässlichkeit, nicht nur psychologisch als sadistisches
       Diktatoren-Monster wie in der Klimakatastrophen-Dystopie „Snowpiercer“
       (2013), sondern auch äußerlich wie in der Öko-Parabel „Okja“ (2017), wo sie
       mit unvorteilhafter Pony-Frisur und Gebiss-Prothese zwei je verschieden
       unschöne Zwillingsschwestern verkörpert.
       
       Fast könnte man sagen, dass solche spektakuläre Verwandlungen „gegen ihren
       Typ“ für Swinton zu dem geworden sind, was für Tom Cruise das Klammern an
       startende Flugzeuge ist: Stuntauftritte – wenn auch mit etwas weniger
       Risiko.
       
       Ein besonderes Verhältnis seit Studientagen verbindet Swinton mit der
       britischen Independent-Regisseurin Joanna Hogg, in deren erstem Kurzfilm
       sie schon 1986 spielte. Hogg besetzte Tochter Honor Swinton Byrne in den
       autobiografischen Filmen „Souvenir“ (2019) und „Souvenir II“ (2021) als
       eigenes Alter Ego, während Tilda als deren Mutter ganz ohne Mätzchen in
       einer Nebenrolle zu sehen war.
       
       [5][In Hoggs letztem Film „Eternal Daughter“ (2022) übernahm sie dann
       gleich beide Rollen selbst,] die der Mutter und die der Tochter. Auch das
       eine Art Stunt, wenn man so will, den sie letztens in Pedro Almodóvars
       Löwengewinner-Film „The Room Next Door“ noch einmal wiederholte.
       
       Bislang nennt Tilda Swinton erst einen Oscar ihr eigen: den als beste
       Nebendarstellerin für ihren Auftritt in Tony Gilroys „Michael Clayton“. In
       ihrer von exzentrischen Rollen geprägten Filmografie bildet das Porträt
       einer hemmungslos ehrgeizigen Unternehmensjuristin fast eine Ausnahme des
       „Konventionellen“ – was natürlich bei genauem Hinschauen auch wieder nicht
       stimmt. Denn mit einer so unsympathischen Frauenrolle einen Oscar zu
       gewinnen, kann wahrscheinlich nur einer Schauspielerin von Swintons Kaliber
       gelingen.
       
       14 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Schweizerhof
       
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